Berateraffäre Von der Leyen: „Externe Berater waren notwendig für die Bundeswehr-Digitalisierung“
Von der Leyen stellt sich den Fragen der Abgeordneten zur Berateraffäre
Berlin Ursula von der Leyen betritt den Anhörungssaal des Bundestags-Untersuchungsausschusses allein, ohne Rechtsbeistand. Fast verschwindet die zierliche Frau im pinkroten Sakko, die bis zum letzten Frühsommer Bundesverteidigungsministerin war und heute Präsidentin der EU-Kommission ist, hinter dem riesigen Zeugentisch.
Sie spricht ruhig, und sie lässt sich Zeit, die Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Doch gleich in ihrem Eingangsstatement macht sie klar, wie sie die Berateraffäre ihres einstigen Ministeriums auch in der Rückschau sieht: „Ohne Hilfe von außen war die Digitalisierung der Bundeswehr und des Ministeriums nicht zu stemmen.“
Mit der Befragung von der Leyens enden nach einem Jahr die Zeugen-Anhörungen des Untersuchungsausschusses. Zu Rücktritten wird der Ausschuss nicht mehr führen: All jene, die an Schlüsselpositionen mit der Vergabe von Beraterverträgen zu tun hatten, sind nicht mehr im Ministerium tätig.
Von der Leyen bestreitet nicht, dass „Fehler gemacht worden sind. Das hat der Bundesrechnungshof zurecht kritisiert“, sagt sie. Dann aber beschreibt sie ausführlich, wie die Lage war, als sie Ende 2013 Verteidigungsministerin wurde: Eine Bundeswehr auf Schrumpfkurs habe sie vorgefunden, die zehn Jahre Einstellungsstopp hinter sich hatte.
Doch 2014 habe sich die Lage komplett geändert: Annexion der Krim, IS-Terror in Syrien und dem Irak. Terroranschläge in Europa. Flüchtlingskrise 2015. Es habe schnell gehen müssen mit der Modernisierung. Und komplett analog, wie das Ministerium damals aufgestellt war, wäre die Bundeswehr ihren Aufgaben nicht gewachsen gewesen.
Ungeklärte Verantwortung
Fest steht: Im Verteidigungsministerium wurden von 2015 bis 2018 Verträge mit externen Dienstleistern im Umfang von bis zu 200 Millionen Euro nicht ordnungsgemäß vergeben. Das geht aus Berichten des Bundesrechnungshofs vor. „Es bleibt die Frage, wer das veranlasst hat“, sagte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Hellmich (SPD) zu Beginn der Ausschussarbeit vor einem Jahr.
Die letzte Frage, wer genau in welcher Ministeriumsabteilung und im Koblenzer Bundeswehr-Beschaffungsamt BaainBw für was welche Verantwortung trug: „Da stochern wir weiter im Nebel“, sagte Hellmich am Mittwoch dem Handelsblatt.
Die Opposition ist allerdings überzeugt, dass deshalb so viele Berater beauftragt wurden, weil die damalige Staatssekretärin Katrin Suder lange bei der Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet hatte. Einige McKinsey-Leute bekamen auch in Suders Amtszeit von August 2014 bis April 2018 Jobs im Ministerium.
Der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) findet das wenig erstaunlich: „Juristen ziehen Juristen nach sich, Politologen weitere Politikwissenschaftler, und Berater eben Berater“, sagte er. Von der Leyen begründete die Berufung Suders zur Staatssekretärin mit ihrer IT-Expertise: Suder habe die Bundesagentur für Arbeit schnell und erfolgreich digitalisiert, dasselbe sollte sie nun auch für die Bundeswehr ins Werk setzen. „Ich schätze ihre Kompetenz bis heute“, so von der Leyen.
Anlass für den Untersuchungsausschuss waren zwei Großprojekte, die Suder 2015 angestoßen hatte: Das erste Projekt sollte der Modernisierung der Bundeswehr-IT in der damals neu geschaffenen Abteilung Cyber- und Informationstechnik (CIT) dienen, Projektname CITquadrat. Zweitens ging es um das „Produkt-Lebenszyklus-Management“ der Bundeswehr, Projektname [email protected] Beide Projekte konnte das Ministerium nach Einschätzung auch des Bundesrechnungshofs nicht mit eigenen Beamten umsetzen.
Verstöße bei Vergabe von Rahmenvertrag
Der Bundesrechnungshof kritisierte jedoch die Vergabe über einen Rahmenvertrag der Bundesregierung: Dieser Vertrag war nur für Beratungs- und Unterstützungsleistungen rund um IBM-Software in Bundesministerien vorgesehen – nicht aber für neue IT-Projekte.
Das Verteidigungsministerium hat Verstöße im Vergabeverfahren gegenüber dem Bundesrechnungshof bereits im Herbst 2018 eingeräumt und Besserung gelobt: Inzwischen gebe es ein neues Verfahren für alle Auftragsvergaben an Externe. Den Verdacht der Vetternwirtschaft sieht die Opposition allerdings nach den Zeugen-Anhörungen erhärtet: Die beteiligten Personen kannten sich zu gut, findet der Grünen-Abgeordnete Tobias Lindner.
Beim PLM-Projekt bekam Accenture den Auftrag. Der frühere Leiter der Planungsabteilung im Verteidigungsministerium, General Erhard Bühler, war katholischer Taufpate der Kinder des zuständigen Accenture-Beraters Timo Noetzel.
Noetzel wiederum sagte, er sei seit gemeinsamen McKinsey-Tagen eng mit Suder befreundet, gemeinsame Freizeitaktivitäten mit beiden Familien eingeschlossen. Suder wiederum bestritt während ihrer Befragung im Januar, auf die Auftragsvergabe Einfluss genommen zu haben.
An Details konnte sich die heutige Digitalbeauftragte der Bundesregierung allerdings meist nicht erinnern. Der Ausschuss-Vorsitzende Hellmich spöttelt denn auch nach diesem Jahr der Dauersitzungen, dass er ein Buch füllen könnte mit den Varianten der Aussage: „Ich kann mich nicht erinnern.“
Aufgabenverteilung im Ministerium
Auf einen solchen Satz zieht sich von der Leyen nicht zurück. Sie beschreibt dagegen, was ihre Aufgaben waren, und was die ihrer Staatssekretäre: „Ich war für die großen Linien zuständig, für die Nato und für Europa“, sagt sie. Sie habe entschieden, dass es eine neue IT-Abteilung und das „wichtige Projekt CITquadrat“ gab, die Umsetzung aber sei Sache der Staatssekretäre gewesen.
Dass für die Neuaufstellung Externe hinzugezogen wurden, kann auch die Opposition nachvollziehen. Dass aber das Koblenzer Beschaffungsamt BaainBw noch immer mit den gleichen Problemen kämpft wie 2014, „das wundert mich dann schon“, sagte der Linken-Abgeordnete Matthias Höhn.
Die neue Verteidigungsministern Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sieht deshalb das Wirken der externen Berater wesentlich skeptischer als Vorgängerin. In einer Grundsatzrede vor Bundeswehrgenerälen am 3. Februar kündigte sie an, für die Modernisierung auf die Expertise ihrer Beamten und der Soldaten zu setzen.
Der Grüne Lindner hofft, dass die Ausschuss-Arbeit nicht vergeblich bleibt: „Mein Ziel ist es, dass der Abschlussbericht eine Art Handbuch wird, aus dem hervorgeht, wie Ministerien künftig mit externer Beratung umgehen sollen“, sagte Lindner.
Als persönliche Konsequenzen bleiben: General Bühler durfte zu seinem Karriere-Abschluss nur kurz bei der Nato als Vier-Sterne-General dienen, und er erhält auch nur die Pension eines Drei-Sterne-Generals. „Das habe ich im Lichte der gemachten Fehler bewusst so entschieden“, sagt von der Leyen im Ausschuss. Auch der stellvertretende IT-Abteilungsleiter durfte nicht aufrücken.
Berater Noetzel wiederum wird von seinen Vorgesetzten bei Accenture wesentlich stärker kontrolliert. An Katrin Suder bleibt der Verdacht hängen, dass ihr Abgang 2014 womöglich doch mit der Berateraffäre zusammenhängt – Beweise dafür gibt es nicht, auch ihre frühere Chefin betont, dass Suder ihr Vertrauen nie verloren habe.
Für Ursula von der Leyen wird wohl ein Kratzer auf ihrer politische Glanzbilanz bleiben. Tiefer geworden ist er an diesem Donnerstag nicht. Die „politische Gesamtverantwortung“ hatte sie auch vorher nie bestritten. Und als EU-Kommissionspräsidentin ist sie den Niederungen ihres einstigen Ministeriums endgültig entrückt.
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