Berliner Wahlpannen Muss die Berlin-Wahl wiederholt werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten

Vor manchen der 2257 Wahllokale in 78 Wahlkreisen zur Abgeordnetenhauswahl mussten Wähler lange anstehen.
Berlin „Typisch Berlin“, dürften sich viele heute denken. Just an dem Tag, an dem die Abgeordnetenhauswahl wegen massiver Pannen juristisch in Zweifel gezogen wird, verkündet die Berliner SPD, man habe die Weichen für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Regierung gestellt.
Die Sozialdemokraten waren bei der Wahl am 26. September stärkste Kraft geworden – auf Basis eines Ergebnisses, das nun selbst die Berliner Wahlleitung anfechten will. Landeswahlleiterin Petra Michaelis kündigte an diesem Donnerstag einen Einspruch beim Verfassungsgerichtshof an. Der Grund: In zwei Wahlkreisen habe es Wahlrechtsverstöße gegeben, die Auswirkungen auf die Mandatsverteilung haben könnten.
Welche Folgen das juristische Nachspiel hat – die wichtigsten Fragen und Antworten
Wie gravierend sind die Verstöße?
Der Einspruch der Landeswahlleiterin bezieht sich auf den Wahlkreis 6 in Charlottenburg-Wilmersdorf und den Wahlkreis 1 in Marzahn-Hellersdorf. Hier geht es um die Direktmandate für das Abgeordnetenhaus. Eine Prüfung durch die Landeswahlleitung hat ergeben, dass die „Unregelmäßigkeiten sich in diesen beiden Fällen mandatsrelevant ausgewirkt haben könnten“.
Wie reagiert die Politik auf den Einspruch der Landeswahlleiterin?
Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak hält eine juristische Prüfung vor dem Verfassungsgerichtshof für unzureichend. „Ganz unabhängig davon können wir nach einem solchen Desaster nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern brauchen eine gründliche auch juristische Aufarbeitung“, sagte der Berliner Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt.
Die massiven Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen in Berlin hätten „das Vertrauen in die Verwaltung und die demokratischen Prozesse erschüttert“. „Die Integrität des Wahlaktes hat Schaden genommen“, sagte Luczak.
„Dass in nicht wenigen Wahllokalen auch noch nach 18 Uhr gewählt wurde, nachdem bereits die ersten Prognosen vermeintliche Sieger und Verlierer ausgewiesen hatten, ist ein eklatanter Verstoß dagegen, dass Wahlen grundsätzlich unbeeinflusst stattfinden müssen“, bemängelte der CDU-Politiker. Ob es tatsächlich zu Neuwahlen in Berlin oder einzelnen Wahlkreisen komme, hänge indes davon ab, ob die Fehler Mandatsrelevanz hatten.
Was sagen Staatsrechtler zu einer möglichen Wiederholung der Wahl?
Staatsrechtler gehen davon aus, dass die Wiederholung der Wahl allenfalls teilweise erforderlich werden könnte. Eine Wahlwiederholung sei „nur in den Wahlbezirken verhältnismäßig, in denen Wahlrechtsverstöße mandatsrelevant gewesen sein können, in denen es also ohne die Verstöße ein anderes Wahlergebnis hätte geben können“, sagte der Speyrer Staatsrechtler Joachim Wieland dem Handelsblatt. „In den Stimmbezirken, in denen Wahlrechtsverstöße in diesem Sinne mandatsrelevant waren, muss die Wahl wiederholt werden.“
Der Berliner Verfassungsrechtler Christian Pestalozza sieht das ähnlich. „Zu einer Wiederholung der Wahl insgesamt wird es nicht kommen, weil sich die bisher bekannten eventuell mandatsrelevanten Fehler auf einzelne Wahlkreise zu beschränken scheinen“, sagte er. „Insofern kommt allenfalls eine Teilwiederholung in Betracht.“
Wieland nannte die Wahlrechtsverstöße „mehr als ärgerlich, weil sie die demokratische Legitimation der Wahl beschädigen, die für eine parlamentarische Demokratie lebenswichtig ist“. Der Jurist sagte jedoch auch: „Soweit die Wahl fehlerfrei abgelaufen ist, hat sie aber den neu gewählten Mitgliedern des Abgeordnetenhauses die erforderliche Legitimation verschafft, die von Verfassungs wegen auch erhalten werden muss.“
Könnte eine Anfechtung der Wahl zu einer Wahlwiederholung führen?
Das hängt von der verfassungsrechtlichen Prüfung ab. Jedenfalls können durch Wahlfehler unmittelbar Betroffene wie Wahlberechtigte, Kandidaten oder politische Parteien Verfassungsbeschwerde einlegen. Die AfD zum Beispiel hat das schon angekündigt.
„Die Verfassungsbeschwerde der Wahlberechtigten hat im Vergleich zum Einspruchsverfahren den Vorteil, dass ihr Erfolg – Feststellung der Verletzung des Wahlrechts – nicht von der Mandatsrelevanz des Fehlers abhängt“, erläuterte der Jurist Pestalozza.
Haben die Berliner Wahlpannen auch Folgen für die Bundestagswahl?
Der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses des Bundestages, Patrick Sensburg (CDU), hält es für möglich, dass die Wahlpannen auch das Ergebnis der Bundestagswahl beeinflusst haben. Die Einschätzung der Landeswahlleitung, dass Wahlrechtsverstöße in zwei Wahlkreisen Einfluss auf das Ergebnis der Wahl zum Abgeordnetenhaus gehabt haben könnten, sei auch für die Bundestagswahl nicht ausgeschlossen, sagte Sensburg dem Handelsblatt.
„Dass viele Bürgerinnen und Bürger noch in den Schlangen vor den Wahllokalen standen und schon Hochrechnungen und Trends sehen konnten, könnte die Wahlentscheidung bei der Bundestagswahl beeinflusst haben.“ Hier werde eine „sehr gründliche Prüfung nötig“ sein. „Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages die Einsprüche gegen die Wahl in Berlin in öffentlicher Sitzung verhandeln wird“, sagte der CDU-Politiker.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen, was waren die Hauptprobleme bei der Berlin-Wahl?
Vor manchen der 2257 Wahllokale in 78 Wahlkreisen zur Abgeordnetenhauswahl mussten Wähler lange anstehen. Stimmzettel fehlten zwischenzeitlich und mussten durch Boten gebracht werden. Zum Teil konnten Stimmen erst nach 18.00 Uhr abgegeben werden. An einigen Stellen erhielten Wähler falsche Stimmzettel aus anderen Bezirken oder Wahlkreisen, die später als ungültig gewertet wurden. Auch die Auszählung lief nicht überall glatt, wie Wahlhelfer berichteten.
Wie viele Wahllokale oder Wahlkreise waren betroffen?
Bei der Sitzung des Landeswahlausschusses berichtete Landeswahlleiterin Michaelis, dass es in 207 von 2257 Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. „Das ist eine Zahl, die uns alle erschrecken muss und auch ärgern muss“, sagte Michaelis. Andererseits könne sie feststellen, dass die Wahl in mehr als 2000 Wahllokalen problemlos abgelaufen sei.
Welche Ursachen hatten die Pannen?
Laut Landeswahlleiterin Michaelis gab es Verzögerungen bei der Zusendung von Briefwahlunterlagen, falsche oder fehlende Stimmzettel sowie eine zeitweise Unterbrechung des Wahlgeschehens in 73 Lokalen oder lange Schlangen vor Wahllokalen. Mehrere Hundert Wahllokale hatten länger geöffnet als üblich.
Hauptproblem waren aber wohl die gleichzeitigen Wahlen zum Bundestag, zum Berliner Abgeordnetenhaus, zu den Bezirksparlamenten sowie ein Volksentscheid. Dazu kamen Coronabedingungen und Absperrungen wegen des Berlin-Marathons.
Der CDU-Politiker Luczak spricht von einem „professionellen Versagen“ Berlins. Es sei klar gewesen, dass es deutlich mehr Ressourcen für die Wahl gebraucht hätte. Dass keine Vorkehrungen getroffen worden seien, sei „dilettantisch und peinlich“.
War die Landeswahlleiterin wirklich nicht auf die Herausforderung vorbereitet?
Die Landeswahlleitung hatte mehr als 400 zusätzliche Wahllokale eingerichtet und die Zahl der Wahlhelfer von rund 20.000 auf 34.000 erhöht. Offenbar brauchten aber viele Wähler für ihre sechs Kreuze auf fünf Stimmzetteln mehr Zeit als erwartet. Fünf bis zehn Minuten hätten manche Menschen in der Kabine verbracht, berichteten Beobachter. Dafür standen in vielen Wahllokalen zu wenig Wahlkabinen bereit.
Wer ist für den Schlamassel verantwortlich?
Unterm Strich hat die Landeswahlleitung die Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmungen. Landeswahlleiterin Petra Michaelis stellte ihren Posten wegen der „Umstände der Wahldurchführung“ zur Verfügung. Im Detail werden die Wahlen aber auf Ebene der Berliner Bezirke organisiert, die jeweils vergleichbar mit Großstädten sind. Diese wiederum verweisen auf schlechte Ausstattung, gerade personell, durch den Senat.
Mehr: Wie die SPD in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin triumphierte
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R2G besagt mittlerweile alles! Vor allem taugt die Bundeshauptstadt nicht als Vorbild.
Bei der heutigen Räumung des Köpi konnte man deutlich sehen, wie sich diese Bundeshauptstadt mit seiner Bevölkerung evolutionär entwickelt.
Beste Grüße aus Kalkutta
Peter Scholl-Latour
Was funktioniert eigentlich in dieser Bundeshauptstadt wirklich noch reibungslos?
Vielleicht noch der Länderfinanzausgleich?