Berufsausbildung Lehre statt Studium: Wie Politik und Wirtschaft Abiturienten in die Ausbildung locken wollen

Mehr Abiturienten sollen mit Praxisbezug starten.
Berlin Der 22-jährige Julian hat getan, was sich Wirtschaft und Politik wünschen: Er begann nach dem Gymnasium zunächst eine duale Ausbildung als Elektroniker für Betriebstechnik. Der Lehrherr, ein großer schwäbischer Mittelständler, hat den Abiturienten gern genommen. „Ich wollte erst mal die Praxis kennen lernen“, sagt Julian heute. Er habe ja nach der Schule „keine Vorstellung vom Arbeitsleben gehabt, davon, was ich wirklich will“ – und wollte so keine Entscheidung für ein Studium treffen.
Unter Lehrlingen gibt es immer mehr Menschen wie Julian, der Anteil der Azubis mit Hochschulzugangsberechtigung ist deutlich gestiegen. 2017 hatten fast 30 Prozent der neuen Lehrlinge zuvor eine Studienberechtigung erworben. 2009 waren es nur gut 20 Prozent, zeigt der Berufsbildungsbericht 2019.
Diesen Trend möchte die „Allianz für Aus- und Weiterbildung von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften“ nach Kräften weiter fördern – und auch insgesamt wieder mehr Nachwuchs für die Berufsausbildung gewinnen. „Wir müssen gerade an Gymnasien klarmachen, dass eine Berufsausbildung eine attraktive Alternative ist“, sagte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Präsentation des neuen Arbeitsprogramms der Allianz. Sie verweist auf die Schweiz, wo „80 Prozent aller Schulabgänger zunächst einmal eine Lehre machen“.
Und „für die Volkswirtschaft ist ein Meister mindestens so wichtig wie ein Master“, meint Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).Daher fordert die Allianz schon lange, dass die Länder die Berufsorientierung auch in den Gymnasien intensivieren. Künftig soll sie „an allen Schularten und früher“ stattfinden. Die Kultusminister haben bereits 2017 gelobt, das zu organisieren.
Doch noch sei man dabei, das in die Praxis umzusetzen, sagte deren Präsident, Hessens Schulminister Alexander Lorz (CDU). Er selbst habe jüngst ein Abkommen mit der Bundesagentur für Arbeit geschlossen, wonach diese künftig 100 Berufsberater zusätzlich in die hessischen Schulen schickt.
Vor allem an den Gymnasien wird das Angebot ausgeweitet und startet schon in der 9. Klasse. Potenzial ist durchaus vorhanden, denn immer mehr Schüler schaffen es bis zum Abitur. Von 2006 bis 2016 stieg der Anteil der Schulabgänger mit Abitur von 30 auf 41 Prozent, heißt es im nationalen Bildungsbericht – eine Zunahme von 33 Prozent in zehn Jahren.
Doch deren Interesse an einer Berufsausbildung ist deutlich gesunken. Auch wenn der wachsende Anteil der Abiturienten unter den Neu-Azubis einen anderen Eindruck suggeriert – gemessen an der Gesamtzahl der Abiturienten wählen immer weniger den direkten Weg in die Praxis. Und das, obwohl ihre Chancen auf eine Lehre selten so gut waren.
Nach den Daten des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), das regelmäßig Abiturienten befragt, hat sich sogar „noch nie ein geringerer Anteil für eine Berufsausbildung entschieden“ wie im zuletzt befragten Jahrgang 2015. Von diesem gab ein halbes Jahr nach dem Abitur nur jeder Fünfte an, bereits eine Lehre begonnen zu haben oder das fest vorzuhaben. Beim Jahrgang 2006 war es noch gut ein Viertel, seither ging das Interesse zurück.
Es sind vor allem Frauen, Schulabgänger aus Nicht-Akademiker-Elternhäusern und Abgänger mit Fachhochschulreife, die ein Studium meiden und stattdessen zu einer Ausbildung tendieren. Ein wichtiger Grund für die Entscheidung pro Lehre ist das Geld.
Rund zwei Drittel sagen, dass sie möglichst schon während der Ausbildung finanziell unabhängig sein möchten, zeigten weitere DZHW-Untersuchungen. Daneben wollen sie möglichst früh ins Erwerbsleben einsteigen und gehen davon aus, dass eine Lehre nicht so anspruchsvoll ist wie ein Studium, beziehungsweise trauen sich ein Studium nicht zu.
Bei ihren Bemühungen, mehr Abiturienten direkt in die Praxis zu holen, hoffen die Allianzpartner vorwiegend auf die Klientel, die das Studium ohnehin nicht beendet. „Dass fast jeder dritte Bachelorstudent sein Studium abbricht, dürfen wir nicht hinnehmen“, sagt der Vizepräsident der Arbeitgeberverbände, Gerhard Braun.
„Dieser Missstand unterstreicht den Nachholbedarf für praxisnahe Berufsorientierung, insbesondere auch an jedem Gymnasium.“ Wenn es nicht gelingt, sie vor dem Eintritt in Uni oder Fachhochschule für die duale Ausbildung zu gewinnen, will die Allianz auch „Studienzweiflern“ und Studienabbrechern den Weg in eine Lehre ebnen: Mit mehr Beratung vor Ort und besseren Möglichkeiten, direkt in die Aufstiegsfortbildung, also etwa zum Techniker oder Meister, einzusteigen.
Das Abitur verbreitet sich zwar bundesweit immer weiter, ist aber längst nicht flächendeckend zum Massenabschluss geworden: Zwar sind die Anteile überall kräftig gestiegen, doch die Unterschiede sind von Bundesland zu Bundesland enorm. Die meisten Abiturienten gibt es in Hamburg: Dort machten 2016 56 Prozent aller Schulabgänger Abitur – in Bayern waren es nur 28 Prozent.
Julian hat die Lehre mittlerweile beendet. Im Abi kam er gerade mal auf eine 3,5 – die Ausbildung schloss er mit Auszeichnung ab. Ab Herbst wird er nun Mechatronik studieren. Natürlich hätte er auch einen Techniker machen können, aber „studieren stelle ich mir angenehmer vor“, lacht er. Außerdem wolle er „richtig in die Theorie eintauchen“.
Sein Lehrherr war „sauer, dass ich nicht bleibe, aber für mich persönlich war von Anfang an klar, dass ich studiere“. Danach würde er gerne solche Maschinen, die er in der Ausbildung gewartet und repariert hat, selbst bauen – und sich „am liebsten im Sondermaschinenbau selbstständig machen“.
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