Bildungsbericht Die Kluft zwischen der Bildungselite und den Abgehängten wird größer

Wachsende Heterogenität in den Klassenzimmern.
Berlin Bildung lohnt sich. Je höher das Bildungsniveau, desto höher sind die Erwerbsbeteiligung, die Löhne – ja sogar die Lebenszufriedenheit. Auch die Wahlbeteiligung von Akademikern liegt deutlich über der von Hauptschulabsolventen. Das zeigt der neue Nationale Bildungsbericht, den eine Autorengruppe unter Federführung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) alle zwei Jahre erstellt.
Doch der Bericht, den Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und der Chef der Kultusministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Helmut Holter (Linke) an diesem Freitag vorstellten, belegt auch: Bildungschancen sind in Deutschland immer noch höchst ungleich verteilt. Die Kluft – sie tut sich zwischen Einheimischen und Zuwanderern sowie Männern und Frauen auf. Auch der Wohnort in Deutschland entscheidet stark über die Bildungschancen von Kindern mit – genau wie die Frage, welches Bildungsniveau die Eltern haben.
„Allen Maßnahmen zum Trotz ist es bis heute nicht gelungen, das Kardinalproblem des deutschen Bildungssystems – die enge Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg – zu lösen“, kritisierte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. Die soziale Schere gehe sogar wieder weiter auseinander.
Zwar hält der Trend zur Höherqualifizierung an: Verfügten im Jahr 2006 nur 23 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren über die Hochschulreife, so waren es im Jahr 2016 schon 31 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Hauptschulabsolventen von 41 auf 31 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Studienanfänger lag im vergangenen Jahr zum fünften Mal in Folge über einer halben Million.
Was allerdings alarmieren muss: Der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, ist nach langjährigem Rückgang erstmals wieder leicht gestiegen – auf sechs Prozent der Bevölkerung eines Jahrgangs. „Dabei handelt es sich vornehmlich um einen Anstieg bei ausländischen Jugendlichen“, heißt es im Bericht.

Mehr für die Chancengerechtigkeit tun.
Die „zunehmende Heterogenität der Schülerschaft“, auch bedingt durch den Zuzug von Flüchtlingen, lässt die Bildungskluft wieder wachsen. Die besondere Herausforderung zeigt sich bereits in der frühkindlichen Bildung. So wurden in den Kitas im vergangenen Jahr knapp 563.000 Kinder betreut, für deren Eltern Deutsch nicht die Muttersprache ist. Das entspricht einem Anstieg seit 2006 um rund 52 Prozent.
Bei den unter 18-Jährigen aus Einwandererfamilien haben knapp ein Viertel der Eltern maximal den Haupt- oder Realschulabschluss, bei den Altersgenossen ohne Migrationshintergrund sind es nur fünf Prozent. Dabei entscheidet die soziale Herkunft weiter über die Bildungschancen mit. Haben die Eltern einen Hochschulabschluss, studieren 79 Prozent der Kinder. Dagegen besucht nur knapp ein Viertel der Kinder von Eltern, die kein Abitur, aber eine berufliche Ausbildung haben, eine Hochschule.
Spanne beim Lernerfolg
In den Klassenzimmern zeigt sich zudem eine wachsende Spanne beim Lernerfolg. So ist der Anteil der Kinder, die beim Lesen in Jahrgangsstufe vier die beiden höchsten Kompetenzstufen erreichen, seit 2001 von 8,6 auf 11,1 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist aber auch der Anteil der Schüler, die nur die beiden untersten Stufen erreichen, von 3,0 auf 5,5 Prozent gestiegen.
Sorge bereiten den DIPF-Experten zudem die unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven in den Regionen Deutschlands. So sei die Zahl der Grundschulen in ostdeutschen Landkreisen und kreisfreien Städten von 2006 bis 2016 um elf Prozent gesunken, die Zahl der Berufsschulen sogar um 26 Prozent.
In den ostdeutschen Kitas muss sich ein Erzieher um deutlich mehr Kinder kümmern als im Westen. Generell ist das Bildungsangebot in ländlichen Regionen deutlich dünner als in den Städten. Das gilt etwa auch bei den angebotenen Ausbildungsplätzen.
„Damit sinken die Chancen junger Menschen, sich persönlich und beruflich zu entfalten“, schreiben die Autoren. Die unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven hätten „Folgeeffekte für die Attraktivität der Regionen als Wohn- und Arbeitsort und können zu einer weiteren Zu- oder Abwanderung führen“.
Aber nicht nur der unterschiedliche Zugang zu Bildungsangeboten, auch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Anforderungen und Qualitätsstandards sind aus Sicht der Forscher ein Problem. Eltern, die mit schulpflichtigen Kindern etwa von Bremen nach Bayern umziehen, werden das bestätigen können.
Das Bildungssystem stehe an vielen Stellen vor drängenden Herausforderungen, die eine größere Abstimmung aller Beteiligten erforderlich machten, sagte der Sprecher der Autorengruppe, Kai Maaz vom DIPF. „Es wäre zum Beispiel sinnvoll, sich über gemeinsame Qualitätsstandards oder Bildungsangebote, die auch über Ländergrenzen hinweg vergleichbar sind, zu verständigen.“
Der im Koalitionsvertrag versprochene Nationale Bildungsrat, der genau dafür sorgen soll, kommt aber nicht recht voran. Bund und Länder streiten darüber, wer wie viel Einfluss in dem neuen Gremium bekommen soll.
Bildungsministerin Karliczek betonte, zentrales bildungspolitisches Ziel der Bundesregierung bleibe mehr Chancengerechtigkeit. Mit der Initiative für Brennpunktschulen, der Bafög-Reform oder dem Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen seien wichtige Instrumente im Koalitionsvertrag verankert.
KMK-Präsident Holter sieht im aktuellen Bildungsbericht dagegen einen „Weckruf an die Politik“. So zeichnen sich beim Personal erhebliche Engpässe ab. Mehr als 40 Prozent der Lehrer sind über 50 Jahre alt, werden also in absehbarer Zeit pensioniert. Und wegen gestiegener Geburten- und Zuwanderungszahlen sowie wegen des geplanten Ausbaus der Ganztagsbetreuung werden zusätzliche Lehrer gebraucht.
Sie sind allerdings heute schon nur schwer zu finden. So ist jeder zwölfte Lehrer, der neu in den Schuldienst aufgenommen wird, ein Seiteneinsteiger. Auch in den Kitas könnten im Jahr 2025 mehr als 300.000 Fachkräfte fehlen.
Gewerkschafterin Tepe warnt deshalb bereits vor einem Bildungsnotstand: „Der dramatische Fachkräftemangel überlagert alle Maßnahmen im Bildungsbereich.“ Es müssten dringend viel mehr Menschen als Erzieherinnen und Lehrkräfte gewonnen werden. Das werde aber nur mit besseren Arbeitsbedingungen und höherer Bezahlung klappen.
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