Bildungspolitik Der „Sommer der Ausbildung“ soll die Flaute am deutschen Lehrstellenmarkt bekämpfen

Die Zahl der Azubis ist in Deutschland infolge der Coronakrise eingebrochen.
Berlin Mit dem Einbruch in der Ausbildung wächst die Furcht vor fehlenden Fachkräften. Mit einer breiten Kampagne wollen Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Politik nun gegensteuern und Betriebe sowie Jugendliche zur Ausbildung motivieren.
Unter dem Titel „#AusbildungStarten“ startet die Allianz für Ausbildung einen „Sommer der Ausbildung“: Von Juni bis Oktober wollen die Verbände und die Bundesagentur für Arbeit (BA) intensiv für die Berufsausbildung werben, damit 2021 „möglichst viele junge Menschen ihre Berufsausbildung im Betrieb beginnen können“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung.
Hintergrund ist der Einbruch der Ausbildung im Corona-Jahr 2020, der sich dieses Jahr noch zu verschärfen droht: Im vergangenen Jahr sank die Zahl der neuen Ausbildungsplätze um elf Prozent und rutschte damit erstmals seit der Wiedervereinigung unter die Marke von 500.000. In diesem Jahr droht ein erneutes Minus, denn die Zahl der angebotenen Lehrstellen ist erneut zurückgegangen – und zugleich das Interesse der Jugendlichen.
Nach den jüngsten BA-Zahlen bieten die Unternehmen in diesem Jahr noch einmal 15.000 weniger Lehrstellen als 2020. Damit sei das Angebot in beiden Corona-Jahren zusammen um acht Prozent gesunken, rechnete BA-Chef Detlef Scheele vor.
Laut Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) droht die Coronakrise damit „zur Ausbildungs- oder Fachkräftekrise zu werden“. Auch NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), der den Vorsitz der Wirtschaftsministerkonferenz innehat, mahnt: „Die Pandemie darf nicht dazu führen, dass sich der Fachkräftemangel in Deutschland noch verschärft.“
Experten wie etwa vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) warnen seit Langem, dass gerade die Zukunftsfelder Digitalisierung und Klimaschutz ohne ausreichend Fachkräfte nicht zu bewältigen sind. Nötig seien mehr beruflich ausgebildete Fachkräfte als Akademiker.
Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer mahnt: „Für die Energie- und Mobilitätswende, den Wohnungsbau, Smart Home, den Gesundheitsbereich und für vieles andere sind dual aus- und weitergebildete Fachkräfte unverzichtbar.“
Schon vor Weihnachten appellierten Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger und DGB-Chef Reiner Hoffmann an die Betriebe, mehr Azubis einzustellen – andernfalls drohe zeitversetzt Gefahr für die Wirtschaft.
Im März verdoppelte der Bund die 2020 eingeführten Azubi-Prämien: Nun locken pro neuem Lehrling Zuschüsse von bis zu 6000 Euro. Seit August 2020 wurden 39.200 Anträge auf Ausbildungsprämien und 14.000 Anträge auf „Zuschüsse“ bewilligt, teilte die BA auf Anfrage mit.
Weniger Bewerber trotz mehr Schulabgängern
Die Ausbildungsprämie wird gezahlt, wenn Unternehmen gleich viel oder sogar mehr als im Vorjahr ausbilden. Einen „Zuschuss“ von 75 Prozent der Ausbildungsvergütung erhalten sie, wenn Auszubildende regulär beschäftigt werden, obwohl im Unternehmen Kurzarbeit herrscht.
Doch auch das Interesse der Jugendlichen an einer Lehre ist in der Coronakrise zurückgegangen – und das, obwohl die Zahl der Schulabgänger wieder gewachsen ist. Doch wegen der Pandemie konnten sie weder Schnupperpraktika in den Betrieben machen, noch fand in den Schulen Berufsorientierung statt. „Das holen wir jetzt nach“, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. „Wir zeigen leistungsfähige Ausbildungszentren und nutzen innovative Formate der Berufsorientierung. Damit werden wir junge Talente überzeugen, den Start ins Ausbildungsjahr 2021 zu wagen.“
Die Chancen für Lehrstellen-Suchende stünden gut, „denn wir haben zurzeit fast überall mehr Ausbildungsstellen als Bewerberinnen und Bewerber“, warb Scheele. Der BA-Chef appellierte erneut an die Arbeitgeber, „trotz aller Herausforderungen bei der Ausbildung aktiv zu bleiben“. Wer jetzt nicht für seinen eigenen Fachkräftenachwuchs sorge, werde nur unter erschwerten Bedingungen nach dem Ende der Pandemie Fachkräfte finden.
Keine Debatte im Bundestag zur Ausbildungsmisere
Der Bundestag wird die Ausbildungsmisere vor der Bundestagswahl nicht mehr diskutieren. Die sonst übliche Debatte des aktuellen Berufsbildungsberichts wurde von den Koalitionsfraktionen mit Verweis auf die knappe Zeit – bis zur Wahl gibt es nur noch zwei Sitzungswochen – nicht mehr angesetzt.
„Eine solche Generaldebatte über die berufliche Bildung wäre in diesem Jahr wichtiger denn je“, meint der grüne Bildungsexperte Kai Gehring. Die Koalition aber wolle offenbar keine Debatte zu den alarmierenden Ausbildungszahlen. „Jetzt rächt sich, dass unter dieser Bundesregierung Jugendliche zur vergessenen Generation wurden, anstatt schon vor Monaten einen Bildungsschutzschirm über Schüler, Azubis und Studierende zu spannen.“
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