Lobbyismus in Deutschland und der EU findet vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ungleichheiten und verfestigter Machtstrukturen statt. Diese spiegeln sich im Feld des Lobbyismus wider und sorgen für ungleiche Ausgangsbedingungen. Ohne politische Gegenkräfte oder institutionelle Schranken begünstigt diese ungleiche Verteilung der Ressourcen große, einflussreiche Akteure und gefährdet einen demokratischen, am Gemeinwohl orientierten Interessenausgleich.
Quelle: Lobby-Report 2013 von LobbyControl
Lobbyismus in seiner gegenwärtigen Form benachteiligt diejenigen, die über weniger Ressourcen oder Zugänge verfügen. So droht etwa die wachsende Lobbyübermacht der Unternehmen und Wirtschaftsverbände, ökologische und soziale Belange an den Rand zu drängen. Auch Machtgefälle innerhalb und zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen führen zu unausgewogenen Entscheidungen. Ein Beispiel: Die Deregulierung des Finanzsektors – als eine der Ursachen der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise – wurde maßgeblich von der Finanzlobby vorangetrieben. Dennoch hat die gesamte Gesellschaft die Kosten der Krise zu tragen.
Der Lobbyismus ist vielfältiger, partikularer und professioneller geworden. Mit dem Regierungsumzug nach Berlin und der vertieften europäischen Integration hat sich die Landschaft der Lobbyakteure erweitert und diversifiziert. Die klassischen Verbände verlieren an Bedeutung. Stattdessen unterhalten viele große Unternehmen eigene Lobbybüros in Berlin, um direkt Einfluss zu nehmen. Neben Lobbyagenturen mischen auch Anwaltskanzleien, Beratungsunternehmen oder intransparent finanzierte Denkfabriken im politischen Geschäft mit.
Lobbyismus ist mehr als die direkte Beeinflussung politischer Entscheidungsträger: Wissenschaft, Medien und die breite Öffentlichkeit sind längst im Fokus von Lobby- und PR-Kampagnen. Lobbystrategien umfassen heute die gezielte Ansprache relevanter Gruppen auch außerhalb der offiziellen Politik: Wissenschaftler/innen, Journalist/innen, Bürger/innen und selbst Kinder und Jugendliche. Dabei geht es darum, den politischen Diskurs langfristig zu beeinflussen. Es werden bestimmte Botschaften platziert („Sozial ist, was Arbeit schafft!“), oder das Image wird aufpoliert, um politischer Regulierung zu entgehen („Greenwashing“).
Der Staat öffnet sich mehr und mehr für Lobbyeinflüsse. Angesichts vielfältiger und kleinteiliger Versuche der Einflussnahme müssten die demokratischen Institutionen auf Distanz achten und für ausreichende eigene Kapazitäten zur Abwägung unterschiedlicher Argumente und Interessen sorgen. In der Tendenz erleben wir das Gegenteil. Staat und Parteien binden private Akteure und Lobbyisten immer enger in Entscheidungsprozesse ein. Wenn politische Entscheidungen in Expertengremien und Kommissionen ausgelagert oder Gesetzestexte gleich vollständig von Anwaltsfirmen geschrieben werden, untergräbt der Staat seine Verantwortung für einen fairen und transparenten Interessenausgleich.
Zunehmende finanzielle und personelle Verflechtungen gefährden die Unabhängigkeit demokratischer Institutionen und die Ausgewogenheit politischer Entscheidungen. Seitenwechsel ehemaliger Regierungsmitglieder, lukrative Nebentätigkeiten von Abgeordneten, externe Mitarbeiter/innen in Ministerien oder das Outsourcing von Gesetzesformulierungen an private Anwaltskanzleien können zu Interessenkonflikten („Diener zweier Herren“) führen und privilegierte Zugänge für Einzelne schaffen. Politische Entscheidungen werden dann mit einem Seitenblick auf andere Arbeitgeber, Kunden oder Finanziers getroffen.
Die zunehmende Verlagerung vieler wichtiger Entscheidungen nach Brüssel führt zu einem strukturellen Vorteil für starke Lobbyakteure. Die Ausgestaltung der europäischen Institutionen erschwert gleichberechtigte Zugänge. Zum einen führt der relativ kleine Brüsseler Verwaltungsapparat dazu, dass Kommissionsbeamte häufig auf Vorschläge externer „Expert/innen“ zurückgreifen. Um Lücken in der fachlichen Kompetenz zu schließen, greift die Kommission auf etwa 800 Beratungsgremien zurück. Viele davon sind unausgewogen besetzt und bieten Lobbygruppen damit die Möglichkeit, bereits sehr frühzeitig auf europäische Gesetze einzuwirken.
Intransparenz erschwert demokratische Kontrollmöglichkeiten. Lobbyismus ist in Deutschland weitgehend intransparent. Es gibt keine gesetzlichen Offenlegungspflichten, denen sich Lobbyisten unterwerfen müssen. Schwache Transparenzregeln lassen privilegierte Zugänge und Einflussnahme aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten. Ohne Transparenz schwindet der Raum für Kritik und Protest.
Bürgerinnen und Bürger stehen dem Lobbyismus weitaus kritischer gegenüber als ihre (Volks-) Vertreter/innen. Finanzielle Verflechtungen, fliegende Seitenwechsel und intransparente Entscheidungen mit dem Geruch nach einseitiger Einflussnahme – in der Öffentlichkeit wird die Nähe zwischen Politiker/ innen und Lobbyisten sehr negativ bewertet. Dennoch ist die Bereitschaft für grundlegende Veränderungen auf Seiten der Parteien gering.
Die Demokratie ist in Gefahr – Lobbyregulierung ist eine Zukunftsaufgabe. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte weisen in eine gefährliche Richtung. Demokratie droht zu einer leeren Hülle zu werden, in der zwar den formalen Anforderungen an demokratische Entscheidungen entsprochen wird, die Inhalte jedoch abseits davon durch kleine Elitezirkel geprägt werden (Stichwort „Postdemokratie“). Es gilt, der politischen Apathie vieler und der privilegierten Gestaltungsmacht weniger eine lebendige Demokratie entgegenzusetzen.
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Lieber Herr Neuerer, dieser Artikel ist wahrlich kein Leuchtfeuer und für ein Handelsblatt peinlich! Alles in Ihrem wirklich wohl gesteuerten und an den Haaren herbei gezogenen Artikel (siehe Wahlchancen mit einer Umfrage von 2014!!!) stimmt mich als Handelsblatt-Leser wirklich bedenklich. Das ist wirklich BILD-Niveau! Was ist Ihr Problem mit Frau Steiner und der FDP? Möchten Sie auch konsequent jedem Gewerkschafter verbieten, politisch in den linken Parteien aktiv zu sein (naja, hätte uns zumindest Frau Nahles erspart). Warum soll Sie die Interessen trennen? Ich persönlich wünsche mit mehr Menschen in der Politik, die auch wirklich wissen was Sie tun! Das würde ich mir ebenfalls von Journalisten wie Ihnen wünschen. Schön, dass wenigstens die vorliegenden aktuellen Umfragen für die Bremer Wahl ein anderes Bild zeichnen als Sie uns suggerieren wollen.
Qualitätsjournalismus sollte sorgfältiger mit der Wahl seiner Überschriften arbeiten. Oder ist das Handelsblatt nun das Sprachrohr der vermeintlichen "Alternative für D." ?
Amt und Lobbyist ist ein zweischneidiges Schwert.
Bezug www.bffk.de zu Bescherde über die Handelskammer Hamburg und die Reaktion des Senators (früher HK-Präsident) es wäre kein Handlungsbedarf.
Ein Schelm wer hier einer Ämterverquickung das Wort redet.
Unfair!
Wenn der Bundestag frei von Lobbyisten sein soll, dann ist er wahrscheinlich leer.
So ein Blödsinn und peinlich für eine Wirtschaftszeitung! Eine Unternehmerin ist in einem Unternehmerverband tätig. Was soll daran verwerflich sein? Dann dürfte ja auch kein Gewerkschaftsmitglied für ein politisches Amt kandidieren!