Bund-Länder-Beschlüsse Gründonnerstag als Ruhetag, Testpflicht für Mallorca-Urlauber: Wie die Corona-Politik für Chaos sorgt

Auch an Ostern wird die Außengastronomie nicht öffnen können. Die neue Lockdown-Regelung zu Gründonnerstag und Karsamstag wirft juristische Fragen auf.
Berlin Das Ringen von Bund und Ländern um einen gemeinsamen Kurs in der Coronakrise ist kompliziert. Sinken die Infektionszahlen, wachsen Hoffnungen und Erwartungen auf Lockdown-Lockerungen. Schnellen die Zahlen wieder in die Höhe, kommen erneut harte Beschränkungen ins Spiel.
In dieser Gemengelage finden regelmäßig die Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) statt. Am Ende steht immer ein Beschlusspapier mit mehr oder weniger verbindlichen Maßnahmen.
Die Crux an der Sache ist: Unmittelbar nach solchen Gipfeltreffen weichen einzelne Länder das Beschlossene bereits wieder auf und gehen ihre eigenen Wege. Innenminister Horst Seehofer hat dafür eine einfache Erklärung. „Die Regelungen sind mittlerweile zum Teil recht kompliziert geworden und nicht immer logisch“, sagte der CSU-Politiker dem „Münchner Merkur“.
Der Befund Seehofers befeuert den Eindruck, dass die derzeitige Corona-Politik eher für Chaos sorgt, wenn die eigenen Beschlüsse unterlaufen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bund-Länder-Runden Regelungen festlegen, deren Bedeutung sie selbst nicht erklären können.
Folgende Beispiele zeigen exemplarisch, dass das Krisenmanagement nur noch bedingt funktioniert.
Gründonnerstag-Regelung
Selten war das Chaos größer als bei der neuen Lockdown-Regelung zu Gründonnerstag und Karsamstag, auf die sich der Bund und die Länder in der Nacht vom 22. auf den 23. März geeinigt haben. Nur einen Tag später stoppte die Bundesregierung das Vorhaben schon wieder. „War ein Fehler, ich trage dafür die Verantwortung“, soll Kanzlerin Angela Merkel in einer kurzfristig anberaumten Schalte mit den Ministerpräsidenten laut Teilnehmern gesagt haben.
Vorausgegangen war viel parteiübergreifende Kritik an der Regelung. Auch in der Wirtschaft herrschte großer Unmut. Ökonomisch hätte die Osterruhe für Unternehmen eine große Belastung bedeutet, abgesehen von den juristischen Fallstricken. Insbesondere die Frage ob der Gründonnerstag als zusätzlicher Ruhetag vor Ostern als gesetzlicher Feiertag zu sehen wäre, sorgte für Verwirrung.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte dazu im Deutschlandfunk: „Nicht ganz, aber sowas Ähnliches.“ Wie Woidke konnten auch andere Regierungschefs keine schlüssige Erklärung liefern.
Einen Fehler zu korrigieren, verdient Respekt. Die Entscheidung zur #Osterruhe ist richtig. Allerdings ist der Vorgang Ausdruck des gesamten Managements der Pandemie. Es muss unter Einbeziehung des Parlaments auf neue Grundlagen gestellt werden. Wir sind zur Mitwirkung bereit. CL
— Christian Lindner (@c_lindner) March 24, 2021
Corona-„Notbremse“
Bund und Länder hatten Anfang März vereinbart, dass im Fall eines starken Anstiegs der Infektionszahlen Lockerungen wieder wegfallen. Konkret soll die „Notbremse“ greifen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 liegt. Die Sieben-Tage-Inzidenz zeigt, wie viele Menschen sich pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen mit dem Virus infiziert haben.
Brandenburg hat indes die landesweite Bremse nicht explizit in die Verordnung geschrieben und dafür rechtliche Gründe angeführt. Dafür regelt die Verordnung, dass Kreise und kreisfreie Städte bei einem Wert über 100 zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen sollen – nicht müssen –, ab 200 müssen sie dann die jüngsten Lockerungen zurücknehmen.
Ministerpräsident Woidke warb um regionale Differenzierung: „Wenn Sie zwei Ausbrüche beispielsweise in Altenheimen haben mit großen Zahlen, dann können Sie nicht 180 Kilometer (weiter) eine ganze Stadt zuschließen mit der Begründung, da ist der Wert überschritten worden.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat dafür wenig Verständnis. „Ich möchte aus einer im Moment sehr flexiblen Notbremse eine harte Notbremse machen“, sagte er. In den jüngsten Corona-Beschlüssen vom 22. März heißt es jetzt: „Angesichts der exponentiell steigenden Infektionsdynamik muss die im letzten Beschluss vereinbarte Notbremse für alle inzidenzabhängigen Öffnungsschritte (...) konsequent umgesetzt werden.“
Mallorca-Urlaub
In ihrem Beschluss von Anfang März appellieren Bund und Länder „eindringlich an alle Bürgerinnen und Bürger, auf nicht zwingend notwendige Reisen im Inland und auch ins Ausland zu verzichten“. Die Realität sieht jedoch inzwischen anders aus. Bestes Beispiel ist der plötzliche Reiseboom nach Mallorca - ausgelöst allein dadurch, dass die Regierung die spanische Insel wegen der niedrigen Inzidenzen nicht mehr als Risikogebiet einstufen konnte.
„Die Tatsache, dass Spanien die Hotels ... auf Mallorca geöffnet hat, führt angesichts unserer Einteilung in Risikogebiete und Nichtrisikogebiete zu Schwierigkeiten“, bekannte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Also besserte die Politik in ihrem Corona-Beschluss vom 22. März nach und verhängte eine Testpflicht für alle Reise-Rückkehrer aus dem Ausland.
Gastwirte und Hoteliers enttäuscht von Beschlüssen des Corona-Gipfels
Dennoch bleibt die in der Öffentlichkeit schwer zu vermittelnde Diskrepanz, warum etwa ein Berliner zwar nach Mallorca fliegen, aber nicht an der Ostsee Urlaub machen kann. „Ich habe ... kein Verständnis für die Entscheidung der Bundesregierung“, kritisierte deshalb auch CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.
Corona-Testpflicht für Unternehmen
Eigentlich ist die ursprünglich angedachte Pflicht für Unternehmen, ihren Beschäftigten, die weiter ins Büro oder in die Fabrik kommen, regelmäßige Testangebote zu machen, vom Tisch. Stattdessen vertrauen die Regierungschefs weiter auf die Selbstverpflichtung der Spitzenverbände der Wirtschaft, die diese am 9. März abgegeben hatten.
Im Bund-Länder-Beschluss vom 22. März wird lediglich die „zügige Umsetzung der Testangebote in allen Unternehmen in Deutschland“ betont und das die Tests den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, so sie nicht im Homeoffice arbeiten, mindestens einmal und bei entsprechender Verfügbarkeit zwei Mal pro Woche angeboten und auch bescheinigt werden sollen.
Der Berliner Senat weicht indes bereits von der vereinbarten Regelung ab. Es gehe um eine Angebotspflicht zum Testen für die Arbeitnehmer, nicht um eine Testpflicht, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). „Niemand muss sich jeden Tag testen lassen.“ Aber die Arbeitgeber seien in der Pflicht, ein Angebot zu machen. „Wir müssen dazu kommen, dass Unternehmen an dieser Stelle eine Schippe drauflegen.
Schnelltests
Parallel zur Lockerung von Corona-Beschränkungen setzt die Bundesregierung verstärkt auf Tests, die nicht extra im Labor ausgewertet werden müssen. „Schnelltests sind inzwischen in großer Zahl verfügbar, und das Testangebot auf dem Markt wird durch kostengünstige Selbsttests erweitert“, heißt es im Bund-Länder-Beschluss von Anfang März.
Angeboten werden sollte ab Montag, dem 8. März, zumindest ein kostenloser Schnelltest pro Woche für alle Bürger. Doch in der Praxis sah es so aus, dass viele Apotheken und Arztpraxen zunächst keine Schnelltests anbieten konnten – auch mit Verweis darauf, dass die entsprechende Bundesverordnung noch nicht vorliege. In den Testzentren herrschte zum Teil großer Andrang, wie etwa die Länder Berlin und Sachsen berichteten.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gar vor, für ein Testchaos gesorgt zu haben. Wie das Chaos vor Ort aussieht, zeigt etwa das Beispiel des Landkreises Potsdam-Mittelmark in Brandenburg. Landkreissprecherin Andrea Metzler sprach von vielen offenen Fragen, zum Beispiel um einen „Testtourismus“ zu verhindern.
So sei keine Kontrolle darüber möglich, ob Testwillige nicht innerhalb einer Woche zwei oder mehr verschiedene Apotheken zum Testen aufsuchten, sagte Metzler den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“. „Wer soll das kontrollieren, wer die Personalien aufnehmen“, fragte sie auch mit Blick auf Bedenken zum Datenschutz.
Impfreihenfolge
Der Schutz von Risikogruppen, also etwa Menschen mit Vorerkrankungen, hat für die Bundesregierung oberste Priorität. Daher regelt sie die Impfreihenfolge in ihrer Impfverordnung. Allerdings setzen sich die Bundesländer bei den Corona-Impfungen nach Angaben des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, eigenmächtig über die Verordnung des Bundes hinweg. „De facto wird in den Ländern schon lange gegen die Priorisierung verstoßen“, sagte der Ulmer Virologe der Nachrichtenagentur dpa.
Es seien schon jetzt viele geimpft worden, die nach wissenschaftlichen Kriterien der Priorisierung noch nicht an der Reihe wären – etwa Erzieher, Lehrkräfte oder Polizisten. In Thüringen sorgte zuletzt die frühzeitige Corona-Impfung des früheren Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) für Aufsehen. Das Gesundheitsministerium in Erfurt bestätigte, dass der 62-Jährige Anfang Februar in einem Pflegeheim in Heiligenstadt geimpft wurde, dessen Aufsichtsrat Althaus ist.
Laut einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks gehörte Althaus damals nicht zu jener Gruppe, der eine Impfung laut Prioritätenliste zustand. Zu dem Zeitpunkt wurden vorrangig ab 80-Jährige sowie Mitarbeiter von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geimpft. Eine Ministeriumssprecherin sagte, es gebe keine Handhabe gegen Impfvordrängler. Für eine Ahndung fehlten entsprechende Vorschriften.
Inzidenzwert-Berechnung
Bund und Länder haben vereinbart, dass bei einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 die Öffnung des Einzelhandels nur noch für sogenannte Terminshopping-Angebote („Click & Meet“) möglich ist. Wer vorher einen persönlichen Termin mit dem Geschäft seiner Wahl online, telefonisch oder persönlich an der Ladentür ausmacht, kann dann zum vereinbarten Zeitpunkt vorbeikommen.
In der Corona-Verordnung in Baden-Württemberg gibt es allerdings ein Schlupfloch. Dort heißt es: „Bei der Bewertung der Inzidenzwerte kann das Gesundheitsamt die Diffusität des Infektionsgeschehens angemessen berücksichtigen.“ Der Landkreis Göppingen hat davon bereits Gebrauch gemacht und eine eigene „Notbekanntmachung“ erlassen.
Als Grund für die Entscheidung gab die Behörde an, dass die Erhöhung der Inzidenz auf über 50 „nicht durch eine Diffusität des Infektionsgeschehens verursacht ist, sondern dass der Anstieg der Fallzahlen im Wesentlichen durch Ausbruchsgeschehen (unter anderem Pflegeheim, Kindergarten, Großfamilie) verursacht wurde“.
Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz am 5. März also 57,3 betrug, bewertete das Gesundheitsamt das Infektionsrisiko mit einer Inzidenz von unter 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner.
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Bezeichnend für die Professionalität des Führungspersonals auf Landkreisebene bieten die Einwürfe von Frau Metzler vom Landkreis Potsdam-Mittelmark in Brandenburg. Dort sieht man offensichtlich die Erfassung der Geimpften als unüberbrückbares Problem - wahrscheinlich denkt man dort an handschriftliche Listen die dann mit dem Fax irgendwo gesammelt werden. Scans von Ausweisen und automatischer Registrierung als z.B. einem Probelauf für den elektronischen Impfpass o.ä. sieht man als unmöglich - würde ja nur zwei Sekunden dauern.
Warum einfach wenn es kompliziert geht.