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Franziska Giffey

„Ich habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen vor zehn Jahren geschrieben.“

(Foto: ullstein bild - Gawrisch/WELT)

Bundesfamilienministerin im Interview „Wir müssen dahin, wo es weh tut“ – So will Giffey Frauen in Führungsjobs bringen

Die Familienministerin spricht im Interview über verbindliche Quoten für Frauen in leitenden Positionen, den neuen Reformeifer der SPD und Zweifel an ihrer Doktorarbeit.
14.02.2019 - 04:15 Uhr 1 Kommentar

Berlin Erstmals nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe hat sich die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Handelsblatt zur Sache geäußert. Im Interview wies Giffey ein bewusstes Plagiat zurück: „Ich habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen vor zehn Jahren geschrieben“, sagte sie.

Weiter sprach sie über ihre Pläne, börsennotierte Unternehmen mit Millionen-Bußgeldern noch stärker unter Druck zu setzen, um Frauen in Führungspositionen zu bringen. „Wir müssen dahin, wo es weh tut. Und das ist nun mal beim Geld“, betonte Giffey.

Das Sozialstaatskonzept ihrer Partei verteidigte Giffey als „SPD pur“. „Es ist wichtig, dass die SPD eine solche Positionsbestimmung macht“, sagte Giffey dem Handelsblatt. Den Vorwurf, das Konzept befördere ein Vollkasko-Staatsverständnis, wies die SPD-Politikerin zurück.

Das ganze Interview mit der SPD-Politikerin lesen Sie hier:

Frau Giffey, Sie gelten als Hoffnungsträgerin der SPD, vielen sogar als mögliche Kanzlerkandidatin. Nun der Verdacht, Sie hätten bei Ihrer Doktorarbeit betrogen. Wie gehen Sie damit um?
Ich habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen vor zehn Jahren geschrieben. Nur die Universität kann bewerten und klären, ob die Vorwürfe einer Internetplattform zutreffen. Deshalb habe ich von mir aus die Universität um Prüfung gebeten. Das Ergebnis ist jetzt abzuwarten.

Sie hätten gegen Zitierregeln für wissenschaftliches Arbeiten „sehr klar verstoßen“, meint der VroniPlag-Initiator.
Die Sache muss von einer neutralen Stelle bewertet werden. Und das ist die Universität.

Wenn Ihnen ein Vergehen nachgewiesen wird, welche Konsequenzen ziehen Sie? Treten Sie dann zurück wie Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) oder Annette Schavan (CDU)?
Jetzt geht es um die Klärung der Vorwürfe. Und deshalb werde ich das Ergebnis abwarten.

Die SPD feiert derzeit die Abkehr von Hartz IV und die Idee einer Grundrente. Wie wichtig ist das für die deutsche Sozialdemokratie?
Es ist wichtig, dass die SPD eine solche Positionsbestimmung macht. Das Motto unserer Klausurtagung lautete „Zukunft in Arbeit“. Das ist wesentlich. Die SPD muss wieder stärker in den Vordergrund rücken, die Partei der Arbeit zu sein, die Partei der Arbeitenden. Wir müssen für diejenigen eintreten, die jeden Tag aufstehen und arbeiten, die sich die Hacken abrennen.

Aber fördert die SPD mit Bürgergeld, längerem Arbeitslosengeld, Kindergrundsicherung nicht wieder ein Vollkasko-Staatsverständnis?
Mein Grundsatz ist: Wir dürfen nicht nur versorgen. Wir müssen vor allem befähigen. Dafür habe ich mich schon als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln eingesetzt. Da hatte ich bei 330.000 Einwohnern über 70.000 Jobcenter-Kunden. Der Sozialstaat darf niemals so konzipiert sein, dass er Leute begünstigt, dauerhaft im Hilfesystem zu bleiben. Es ist also richtig, dass auch das Sozialstaatskonzept Mitwirkungspflichten und Konsequenzen bei Nichteinhaltung vorsieht. Jemand, der staatliche Leistungen möchte, muss auch aufstehen und zu einem Termin im Jobcenter kommen. Das ist nicht zu viel verlangt. Es darf auch nicht attraktiver sein, zu Hause zu bleiben, als arbeiten zu gehen.

Vieles, was jetzt von der SPD auf dem Tisch liegt, ist mit dem Koalitionspartner Union nicht zu machen. Ist das nur ein Feuerwerk, um bei den Genossen gute Stimmung zu machen, oder vielmehr eine Provokation des Koalitionsbruchs auf Sicht?
Beides nicht. Das Sozialstaatskonzept ist „SPD pur“. Es zeigt den Standpunkt der Sozialdemokratie, unser Bild von einem Sozialstaat, von einer modernen Gesellschaft. Dass natürlich Realität und Anspruch zusammengebracht werden müssen, ist auch klar. Wenn man mit Partnern zu gemeinsamen Lösungen kommen will, ist es natürlich, dass nicht jeder hundert Prozent seiner Wünsche erfüllt bekommt.

Aber schon steckt die SPD wieder tief in einer Umverteilungsdebatte. Von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes und einer Vermögensteuer ist die Rede, um die ganzen Wünsche zu finanzieren.
Das Papier ist kein Konzept für Steuererhöhungen, sondern für den Sozialstaat 2025. Aber natürlich stellt sich die Frage, wie man das bezahlt. Wir wollen eine Solidargemeinschaft, in der die Stärkeren für diejenigen, die Unterstützung brauchen, einstehen.

Nur diejenigen, die nun wieder zahlen sollen, tragen jetzt schon den Großteil der Steuerlast. Verstehen Sie die Kritik der Wirtschaft und der Leistungsträger im Land?
Ich verstehe das. Man darf es auch nicht übertreiben. Aber mal andersherum: Überall, wo ich hinkomme in der Wirtschaft, wird über Fachkräftemangel geklagt. Das ist das Wachstumshemmnis Nummer eins. Wenn wir es schaffen, dass jedes Kind seinen Weg macht, auch die mit schlechteren Startbedingungen, dann kommt das auch der Wirtschaft zugute. Dafür muss die Wirtschaft aber auch was tun.

Bei derzeit 150 familienpolitischen Leistungen für rund 200 Milliarden Euro pro Jahr drängt sich aber auch die Frage auf, ob es tatsächlich um die Höhe der Mittel geht oder nicht vielmehr um den effektiven Einsatz?
Bei der Kindergrundsicherung geht es nicht darum einfach mehr Geld auszugeben, sondern das vorhandene Geld zielgerichteter einzusetzen. Leistungen müssen so strukturiert werden, dass sie besser wirken, mit dem bestehenden Budget. Einige fordern in der Diskussion, jedem der 13 Millionen Kinder in Deutschland eine pauschale Grundsicherung von etwa 600 Euro auszuzahlen. Dieser Weg ist aus meiner Sicht nicht der richtige, weil die Leistung für Kinder sich immer aus zwei Teilen zusammensetzen muss: der individuellen Geldleistung für die Familien und der institutionellen Förderung in Kita, Schule und Hort. Wir dürfen keine Situation schaffen, in der es für Eltern mit weniger gut bezahlten Jobs nicht mehr attraktiv ist zu arbeiten.

Derzeit nehmen viele Leute ihnen zustehende Leistungen gar nicht in Anspruch, siehe Kinderzuschlag.
Das wollen wir ändern. Der Kinderzuschlag wird im Moment nur von 30 Prozent der Anspruchsberechtigten genutzt, weil er zu kompliziert ist, weil die Leute ihn nicht kennen, weil sie Angst haben, sie müssten jeden Monat neu ihren Gehaltsscheck nachweisen und am Ende Leistungen zurückzahlen. Sie wollen auch nicht als Aufstocker stigmatisiert werden. Es gibt Menschen, die dann in verdeckter Armut leben. Das ist doch nicht okay. Darum wollen wir es einfacher und unbürokratischer machen und den Kreis der Anspruchsberechtigten ausweiten.

Gebühren bis zu 1 000 Euro führen dazu, dass Frauen zu Hause bleiben. Quelle: imago/photothek
Giffey beim Kita-Besuch in Berlin

Gebühren bis zu 1 000 Euro führen dazu, dass Frauen zu Hause bleiben.

(Foto: imago/photothek)

Sie haben eben auf den Fachkräftemangel hingewiesen: Ein unheimliches Potenzial, das brachliegt, sind nach wie vor die Frauen.
Wir haben immer noch eine Situation, in der die Vereinbarkeit von Familie und Beruf an bestimmten Orten in Deutschland besonders schwer zu realisieren ist. Weil die Kinderbetreuungseinrichtungen nicht ausreichen, weil Kitagebühren von bis zu 1.000 Euro pro Monat aufgerufen werden. Das führt dazu, dass in der Regel Frauen zu Hause bleiben und der Mann arbeiten geht. 

Das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Krankenversicherung wirken auch kontraproduktiv. Aber da trauen Sie sich offenbar gar nicht ran.
Es war im Koalitionsvertrag nicht möglich, die Abschaffung des Ehegattensplittings, das ganz klar die Einverdiener-Ehe begünstigt, zu vereinbaren.

Schauen wir in die Topetagen, auch hier gibt es ja durchaus Probleme für Frauen.
Für die Chefetagen in den großen deutschen Unternehmen kann ich sagen, dass das „Führungspositionengesetz“ von 2015 schon viel bewirkt hat. Wir haben jetzt eine Quote von 31 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten. Das ist nach meiner Überzeugung einzig und allein das Resultat dieser Vorschrift. Wenn es sie nicht gäbe, hätten wir diesen Wert noch lange nicht erreicht.

Woran wollen Sie das festmachen?
Schauen Sie sich die Vorstandsquote an. Die beträgt gerade einmal sechs Prozent. Hier gibt es eben noch keine vergleichbare gesetzliche Regelung. Eine freundlich-unverbindliche Empfehlung wird nicht helfen, die Situation zu verändern.

Nun wollen Sie börsennotierte Unternehmen mit Bußgeldern noch stärker unter Druck setzen, Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ist das der richtige Weg?
Wir müssen da hin, wo es wehtut. Und das ist nun mal beim Geld. Am Ende muss es eine sanktionsbewehrte Verpflichtung geben. Alles andere führt zu nichts. Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass Sanktionen drohen, wenn ein Unternehmen die Zielgröße „null“ meldet und dies nicht begründet. Das werden wir jetzt umsetzen.

Wann legen Sie konkrete Vorschläge vor?
Wir erarbeiten das gemeinsam mit dem Bundesjustizministerium und sind mit dem Gesetzentwurf schon recht weit. Ich gehe davon aus, dass wir ihn noch in der ersten Jahreshälfte vorstellen können.

Und eine Bußgeldhöhe von bis zu zehn Millionen halten Sie für angemessen?
Über die konkrete Höhe des Bußgeldes sprechen wir noch. Großunternehmen, die Milliardengewinne erzielen, kann man mit Bußgeldern von 5.000 Euro nicht erschrecken. Mit Sanktionen, die nur symbolischen Charakter haben, können wir nichts bewirken.

Wie sieht es in Bundesbehörden aus?
In den Bundesbehörden bewegen wir uns auf einen Frauenanteil in Führungspositionen von im Schnitt 40 Prozent zu. Das kann sich sehen lassen. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesbehörden. Da gibt es bei einigen erheblichen Nachholbedarf.

Wollen Sie eine verbindliche Frauenquote für Vorstände?
Ohne eine verbindliche Quote werden wir nur schwer vorankommen. Natürlich kann man nicht von heute auf morgen eine paritätische Besetzung einfordern. Aber etwas mehr politischen Ehrgeiz – auch über den Koalitionsvertrag hinaus – würde ich mir schon wünschen. 

Für die Umsetzung Ihrer ganzen Pläne müssen Sie eine starke Partei im Rücken haben. Schafft die SPD den Wiederaufstieg in die erste Liga?
Wenn wir jetzt wirklich dranbleiben, dann haben wir eine Chance, wieder an Kraft zu gewinnen. Nehmen Sie den Vorschlag von Hubertus Heil für eine Grundrente, die Lebensleistung auch im Alter finanziell anerkennt. Ich bin davon überzeugt, dass große Teile der Bevölkerung auf diesen Vorstoß gewartet haben. Altersarmut ist ein Thema, von dem sich jede Bürgerin und jeder Bürger angesprochen fühlt. Das Gleiche gilt für Kinderarmut und Wohnungsnot. Das berührt die Leute zutiefst, und zwar auch diejenigen, die begütert und selbst gar nicht betroffen sind. Auf diese drängenden Fragen muss es eine klare sozialdemokratische Antwort geben.

In Umfragewerten oder gar Wählerstimmen schlägt sich das alles bislang nicht nieder.
Natürlich ist die Lage nicht einfach. Und wir haben es mit ernsten Herausforderungen zu tun. Europaweit und auch in Deutschland gibt es rechtspopulistische und nationalistische Tendenzen, die wir sehr ernst nehmen müssen. Teile der Bevölkerung sind für Radikalisierungen, für Populismus und Hetze empfänglich. Das ist gefährlich für die Demokratie.

In Sachsen und Thüringen, wo in diesem Jahr gewählt wird, ist die SPD nur noch fünftstärkste Kraft. Wie geht die Partei damit um?
Das ist extrem schwierig. Offensichtlich fühlen sich viele Menschen nicht mehr von uns angesprochen. Wir sollten Themen wie Altersarmut, Kinderarmut, soziale Spaltung und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum noch viel offensiver angehen. Und die SPD muss auch Sicherheit und Ordnung stärker in den Mittelpunkt rücken und vor allem denen Sicherheit geben, die sie sich nicht erkaufen können. Der Rechtsstaat muss klare Kante zeigen, damit nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts.

Am Ende glauben viele Menschen aber eher der AfD.
Da schwingt viel Enttäuschung mit. Die Menschen suchen oft einfach nach etwas anderem.

Ist Andrea Nahles die richtige Vorsitzende?
Wir sind gut beraten, uns auf unsere Arbeit zu konzentrieren, statt permanent Personaldebatten zu führen. Andrea Nahles ist die richtige Vorsitzende. Wir haben mit unseren inhaltlichen Vorstößen einen guten Jahresauftakt hingelegt. So sollten wir weitermachen.

Frau Giffey, vielen Dank für das Interview.

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1 Kommentar zu "Bundesfamilienministerin im Interview: „Wir müssen dahin, wo es weh tut“ – So will Giffey Frauen in Führungsjobs bringen"

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  • vielleicht sollten mehr Frauen Doktorarbeiten kopieren, um Kompetenz vorzugaukeln. In der Wirtschaft ist es nicht so wie in der deutschen Politik, wo Inkompetenz eher eine Voraussetzung ist, um einen Ministerposten zu bekommen.

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