Bundesinnenministerium: Mehr als 1800 Übergriffe auf Flüchtlinge
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BundesinnenministeriumMehr als 1800 Übergriffe auf Flüchtlinge
Die Zahl der Asylbewerber sinkt, die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge nicht. Das Innenministerium warnt, in Einzelfällen sei sogar mit der Bildung fremdenfeindlicher terroristischer Vereinigungen zu rechnen.
04.11.2016 - 17:29 Uhr
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Auf offener Straße
Viele Übergriffe ereigneten sich außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte.
Berlin In Deutschland sind seit Jahresbeginn schon mehr als 1800 Straftaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerber verübt worden. In den meisten Fällen ging es um Beleidigung und Volksverhetzung. Die Polizei zählte in den ersten neun Monaten aber auch mehr als 170 Fälle gefährlicher Körperverletzung gegen Flüchtlinge. Das geht aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Fraktion im Bundestag hervor.
Zu den Städten und Gemeinden, aus denen besonders viele Übergriffe auf Schutzsuchende gemeldet wurden, gehörten demnach Berlin, Cottbus, Chemnitz, Flensburg, Dresden, Konstanz und Guben in Brandenburg. Bundesweit wurden zu den Angriffen auf Schutzsuchende 1189 Tatverdächtige ermittelt.
Fremdenfeindliche Anschläge in Deutschland (seit 2015)
Schüsse auf eine Unterkunft für Flüchtlinge sorgen für Angst und Unsicherheit, niemand wird verletzt. Der Staatsschutz ermittelt und stellt mehrere Projektile sicher. Zuvor waren Hakenkreuze an das Haus geschmiert worden.
Ein Schweinekadaver auf dem Baugelände für eine Moschee in Leipzig wird zum Fall für den Staatsschutz. Schon nach dem Bekanntwerden der Pläne für das islamische Gotteshaus waren 2013 auf dem Gelände blutige Schweineköpfe aufgespießt worden. Muslime betrachten Schweine als unrein.
Ein Feuer zerstört eine als Notunterkunft für Flüchtlinge vorgesehene Sporthalle. Nach Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft steckt eine rechtsradikale Gruppierung dahinter.
Unbekannte schleudern Molotow-Cocktails in den Innenhof einer Moschee. Niemand wird verletzt, die Polizei geht von fremdenfeindlichen Motiven aus.
Zwei Rechtsextreme schleudern einen Brandsatz in eine Flüchtlingsunterkunft. Ein Teppich und eine Matratze geraten in Flammen. Eine Frau aus Simbabwe und ihre drei kleinen Kinder bleiben unverletzt.
Eine scharfe Handgranate wird auf das Gelände einer Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge geworfen, explodiert jedoch nicht.
„Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden des Bundes ist weiterhin damit zu rechnen, dass die rechte Szene die Asyldebatte instrumentalisieren wird“, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am Freitag auf Anfrage. In diesem Zusammenhang sei auch mit „schweren Gewaltstraftaten“ zu rechnen. Neben Straftaten von radikalisierten Einzeltätern und kleinen Gruppen sei auch „mit der Bildung terroristischer Vereinigungen zu rechnen“.
Wie das Ministerium weiter mitteilte, meldeten die Bundesländer in den ersten drei Quartalen dieses Jahres insgesamt 1803 Übergriffe außerhalb von Unterkünften. Hinzu kamen weitere 813 Straftaten, die sich gegen bewohnte und unbewohnte Asylunterkünfte richteten. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2015 hatte das Bundeskriminalamt 1031 Angriffe auf Unterkünfte registriert. 2014 hatte die Polizei 199 solcher Straftaten gezählt.
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Positionen der Länder in der Flüchtlingskrise
Die Zeit der Willkommenskultur ist vorbei. Verschärfungen der Asylgesetze sind geplant. Eine Verordnung zur Zurückweisung von Asylbewerbern direkt an der Grenze könnte kommen, sollte eine Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen in diesem Jahr überschritten werden. Bis Ende August waren über 26.400 Menschen zum Asylverfahren zugelassen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach den Wochen der Öffnung vor einem Jahr längst einen Kurswechsel vollzogen. Verschärfte Asylgesetze, leichtere Abschiebungen, vor allem aber das Abkommen der EU mit der Türkei sollen den Flüchtlingszuzug bremsen. Nur das Wort „Obergrenze“, das die CSU von ihr fordert, wird sie nicht formulieren. Auf europäischer Ebene weiß Merkel, dass die feste Quote zur Verteilung von Flüchtlingen gescheitert ist. Schwerpunkt ist jetzt die Sicherung der Außengrenzen.
Seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei kommen nur noch wenige Flüchtlinge illegal von der Türkei nach Griechenland. Doch die Angst, dass der Pakt nicht standhält und der Zustrom wieder anschwillt, ist groß. Außerdem kritisiert die linke Regierung in Athen, dass die anderen EU-Länder trotz der vereinbarten Umsiedlung von rund 30 000 Flüchtlingen bisher nur wenige Tausend Menschen übernommen haben.
Der rechts-konservative Ministerpräsident Viktor Orban praktiziert schon seit dem Herbst 2015 eine Politik der Abschottung. An Ungarns Grenzen zu Serbien und Kroatien stehen stacheldrahtbewehrte Zäune. Budapest lehnt auch EU-Quoten zur faireren Verteilung von Asylbewerbern ab. Am 2. Oktober will Orban diese Ablehnungshaltung durch eine Volksabstimmung bestätigen lassen.
Das Land vertritt eine ähnliche Position wie Ungarn, nur in gemäßigterem Ton. Eine Verteilung der Flüchtlinge per Quote lehnt es ab, obwohl es bisher kaum betroffen war.
Die Regierung hat wiederholt vor einem neuen Ansturm gewarnt und will auf keinen Fall erneut Migranten nach Österreich durchschleusen. Das Land hat bereits einen Zaun zu Kroatien.
Kritischer wird die Lage in Serbien, wo geschätzte 5000 Migranten festsitzen. Trotz gemeinsamer Militär- und Polizeipatrouillen kommen immer neue Flüchtlinge.
In Mazedonien spielt nach fast zweijähriger tiefer politischer Krise und den bevorstehenden vorzeitigen Parlamentswahlen im Dezember das Flüchtlingsthema keine große Rolle. Der Grenzzaun zu Griechenland hält größere Menschenmengen ab.
Bisher hat sich Kroatien ausschließlich als Transitland verstanden, deshalb steht die Problematik nicht auf der Tagesordnung.
Sehr wenig von der Krise betroffen ist auch Albanien. Deshalb ist die Situation der Flüchtlinge kaum ein Thema.
Die Aufnahmezentren sind laut Regierungsangaben voll. Bulgarien versteht sich als Transitland und will es auch bleiben. Seit Jahresbeginn wurden gut 13.000 Flüchtlinge registriert, über die Hälfte ist weiter gezogen.
Seit Jahresbeginn wurden laut Antwort der Bundesregierung zudem 142 Delikte bekannt, die sich gegen Flüchtlingshelfer und Hilfsorganisationen richteten. Meist ermittelte die Polizei wegen Beleidigung, Sachbeschädigung oder Volksverhetzung. Die Tatverdächtigen kamen den Angaben zufolge größtenteils aus dem rechten Milieu.
Die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlinge und Asylbewerber wird auf Initiative des Bundesinnenministeriums in diesem Jahr erstmals gesondert erfasst. Sie waren zuvor nur in der allgemeinen Kategorie „fremdenfeindliche Straftaten“ aufgetaucht.