Bundesregierung Ein seltsames Paar in der Pandemie: Merkel schielt auf die Geschichtsbücher, Spahn auf das Kanzleramt

Den Gesundheitsminister und die Kanzlerin verbindet in der Pandemie eine unausgesprochene strategische Allianz.
Berlin Mehr als vier Stunden verbrachte Jens Spahn am Dienstagabend im Kanzleramt, offenbar gab es einige Dinge mit der Chefin zu bereden. Auf Fotos ist zu sehen, wie der Bundesgesundheitsminister die Regierungszentrale um kurz nach Mitternacht an der Seite von Angela Merkel verließ. Die „Bild“-Zeitung schrieb von einem „geheimen Corona-Nachtgipfel“.
Möglicherweise wird zu viel in das Treffen hineininterpretiert. Schließlich musste Spahn am Mittwoch stellvertretend für die Regierung dem Bundestag die viel kritisierte Impfstrategie erklären. Eine gute Vorbereitung dürfte also ebenfalls im Interesse der Kanzlerin gewesen sein.
Außerdem findet Ende der Woche der CDU-Parteitag statt, auch hier lässt sich ein gewisser Gesprächsbedarf vermuten. Schließlich geht es bei den Christdemokraten um die personelle Neuaufstellung für die Zeit nach der Ära Merkel, und Spahns Ambitionen auf höhere Ämter sind bekannt.
Bemerkenswert ist allerdings, wie lange die beiden Politiker zusammensaßen, die man weder als enge Vertraute noch als langjährige Verbündete bezeichnen kann. Spahn betrieb seinen politischen Aufstieg in innerparteilicher Opposition zur Kanzlerin. Merkel versuchte lange, den drängelnden Münsterländer aus dem engeren Machtzirkel fernzuhalten, vor drei Jahren ließ sie ihn nur widerwillig in ihr Kabinett.
Bei der Impfdebatte im Bundestag weilte Merkel auf der Regierungsbank, während Spahn am Rednerpult über Erfolge im Kampf gegen das Coronavirus sprach: „Mit einer Bundeskanzlerin an der Spitze, der die Bürgerinnen und Bürger in dieser Krise vertrauen wie kaum einer Regierungschefin oder einem Regierungschef auf der Welt“, sagte der Minister. Merkel wiederum hatte Spahn einige Tage zuvor bescheinigt, dass dieser in der Pandemie einen „prima Job“ mache.
Gegenseitiges Lob, gegenseitiger Argwohn
Die Kanzlerin und ihr Gesundheitsminister sind ein seltsames Paar, ihr Verhältnis schillert. Auf der einen Seite steht das gegenseitige Lob – in der Öffentlichkeit, aber auch in internen Runden. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass weiter gegenseitiger Argwohn im Hintergrund mitschwingt. So soll Merkel wenig erfreut gewesen sein über Spahns angeblichen Versuch, das Kanzleramt für Engpässe beim Impfstoff verantwortlich zu machen.
Die „Bild“-Zeitung war von interessierter Seite mit der Information gefüttert worden, dass der Gesundheitsminister frühzeitig eine Impfallianz mit Frankreich, Italien und den Niederlanden auf den Weg gebracht habe, dann aber von Merkel und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgebremst worden sei. Wenig schmeichelhaft für Spahn war der Eindruck, dass die Kanzlerin die schleppende Impfstoffversorgung zur Chefinnensache machte und zwei ihrer Vertrauten, Kanzleramtsminister Helge Braun und Wirtschaftsminister Peter Altmaier, mit an den Tisch holte.
Spahn zog 2002 nach einer Banklehre als damals jüngster direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag ein. Merkel war da schon zwei Jahre Parteichefin, seit 2005 dann Kanzlerin. Die Beziehungen der beiden galten als eher unterkühlt.
Seinen Aufstieg verdankt Spahn vor allem Wolfgang Schäuble, der den Nachwuchspolitiker förderte und als Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium holte. Der heutige Bundestagspräsident half auch tatkräftig mit, dass Spahn den Merkel-Vertrauten Hermann Gröhe innerparteilich ausbootete und an dessen Stelle in das CDU-Präsidium rückte. Einen Tiefpunkt erreichte das Verhältnis von Merkel und Spahn im Herbst 2015, damals kritisierte der Münsterländer die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin scharf.
„Er schafft eine Menge weg“
Als bei der Neuauflage der Großen Koalition Anfang 2018 die Kabinettsliste erstellt wurde, wollte Merkel das Gesundheitsressort eigentlich an die baden-württembergische CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz vergeben. Unter dem Druck aus der eigenen Partei musste sie dann Spahn akzeptieren, der als langjähriger Gesundheitspolitiker im Bundestag Sachkenntnisse mitbrachte, vor allem aber auf einflussreiche Unterstützer beim Wirtschaftsflügel und in der Jungen Union zählen konnte. Merkel war in den Monaten nach der letzten Bundestagswahl weit von der innerparteilichen Machtfülle entfernt, die sie sich in der Pandemie zurückerobert hat.
Als Kabinettsmitglied stellte Spahn die Querschüsse gegen die Kanzlerin ein. Sein neues Image: beflissener Fachpolitiker statt ruppiger Parteipolitiker. Das nötigte auch Merkel Respekt ab. Im Sommer 2019 sagte sie mit Blick auf das gesetzgeberische Tempo des Gesundheitsministers: „Er schafft eine Menge weg.“ Die Taktung von Gesetzen und Verordnungen aus dem Hause Spahn hat sich in der Pandemie noch erhöht.
Die 66-jährige Merkel bereitet sich darauf vor, nach dem CDU-Vorsitz in diesem Jahr auch die Kanzlerschaft abzugeben. Für den 40-jährigen Spahn sind diese beiden Ämter das Ziel seiner politischen Laufbahn, daran lässt er keinen Zweifel. Als Kronprinz sieht die Kanzlerin ihren Gesundheitsminister allerdings nicht.
Doch zu Beginn des Wahljahres verbindet Merkel und Spahn eine unausgesprochene strategische Allianz. Wie Merkels Amtszeit in die Geschichtsbücher eingehen wird, hängt auch maßgeblich vom Ausgang der Coronakrise ab. Zu Beginn der Pandemie galt Deutschland international als Vorbild, das hat sich mittlerweile geändert. Merkel braucht einen erfolgreichen Gesundheitsminister. Denn sie weiß: Am Ende liegt die Verantwortung bei der Kanzlerin.
Koalitionspartner SPD schießt sich ein
Spahn wiederum benötigt den Rückhalt von Merkel, damit Kritik am Impfmanagement nicht zur Hypothek für seine politischen Ambitionen wird. Der Koalitionspartner SPD schießt sich seit Anfang Januar beim Impfthema auf den Gesundheitsminister ein, der Wahlkampf hat augenscheinlich begonnen. Die Kanzlerin machte daraufhin in einer internen Sitzung die Ansage, man solle nicht an Spahn und seiner Impfstoffbeschaffung „rummäkeln“.
Beim CDU-Parteitag in dieser Woche steht Spahn nicht als Vorsitzender zur Wahl, im Februar 2020 hatte er sich auf die Rolle des Juniorpartners von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet festgelegt. Eine Entscheidung, die er nach dem Pandemiejahr und seinen gestiegenen Beliebtheitswerten womöglich bereut. Als möglicher Kanzlerkandidat der Union ist sein Name aber weiter im Gespräch.
Merkels parteipolitisches Hauptmotiv, so ist in CDU-Kreisen zu vernehmen, sei die Verhinderung von Friedrich Merz als Vorsitzender oder Kanzlerkandidat. Dafür wäre der scheidenden Regierungschefin jede andere Personalie recht. Und damit auch Jens Spahn.
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