Bahnverkehr High-Speed-Züge und autonome Metros – Wie die Industrie die Schiene fit für den Klimaschutz machen will

Die Bahnindustrie fordert von der künftigen Bundesregierung mehr Tempo bei der Digitalisierung der Schiene.
Berlin, Frankfurt Die Warnung von Ben Möbius ist unmissverständlich: „Wenn wir so langsam weitermachen, werden wir die Klimaziele kolossal verfehlen. Schneller – das ist der Imperativ für die neue Legislaturperiode“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland (VDB). Vieles sei auf dem Weg, aber eine Mobilitätsrevolution brauche mehr Tempo. „Deutschland droht sich in teils absurd langen Planungsverfahren und unzureichenden Innovationsanreizen zu verheddern.“
In weniger als zwei Wochen ist Bundestagswahl. Jede größere Partei hat das Thema Klimaschutz oben auf der Agenda. Der Handlungsdruck ist groß, die EU-Kommission plant mit „Fit for 55“ ehrgeizige Klimaziele. Um diese zu erreichen, setzen die Parteien vor allem auf ein Verkehrsmittel: die Eisenbahn. Bis 2030 soll allein die Deutsche Bahn die Zahl der Fahrgäste auf 260 Millionen verdoppeln. Im Güterverkehr soll der Anteil der Schiene von 18 auf 25 Prozent wachsen.
Um das zu erreichen, muss sich nach Ansicht der Bahnindustrie aber vieles ändern. Unter dem Titel „Kurs 2025 – Schiene 4.0 mit doppeltem Tempo für die nächste Mobilitätsrevolution“ hat der VDB zehn Empfehlungen für die ersten 100 Tage der künftigen Bundesregierung formuliert. Eine der zentralen Forderungen: Die Schiene muss schneller digitalisiert werden – mit entsprechenden Milliardenbudgets.
Ab dem kommenden Jahr müsse ein Vielfaches in das „Jahrhundertprojekt ETCS“ investiert werden, heißt es in dem Zehn-Punkte-Paket des Verbands. ETCS ist die Abkürzung für European Train Control System.
Dieses europäische Zugsicherungssystem ersetzt die bisherige Signal- und Weichentechnik und erlaubt es, mehr Züge mit einem geringeren Abstand fahren zu lassen. 32 Milliarden Euro seien dafür notwendig, rechnet der VDB vor. Und verweist auf eine Machbarkeitsstudie von McKinsey für das Bundesverkehrsministerium aus dem Jahr 2018.
ETCS ist eines der zentralen Elemente, um das bestehende Netz besser auszulasten und mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen, ohne aufwendig große neue Trassen bauen zu müssen. Nicht nur in den Augen der Bahnindustrie geht es beim Umbau auf ETCS in Deutschland viel zu langsam. Auch Andrè Schwämmlein, Mitgründer und Chef des Bahn-Rivalen Flix Mobility, fordert hier deutlich mehr Tempo.
Digitalisierung der Schiene geht zu langsam
„Die Schiene ist in Deutschland physisch unterausgelastet, weil wir bei der Digitalisierung noch nicht so weit sind und deswegen nicht intelligent genug planen“, sagte der Unternehmer kürzlich dem Handelsblatt. „80 Prozent der erforderlichen Kapazität kann man heben, wenn man Schienen, Weichen, Signale digitalisiert. Dazu muss man keine neuen Trassen durch Deutschland ziehen.“
Um die Digitalisierung voranzutreiben, müsse die künftige Bundesregierung zudem mindestens 500 Millionen Euro investieren, um auch die Fahrzeuge mit entsprechenden Steuergeräten auszustatten, so der VDB. Auch das Oberleitungsnetz müsse weiter ausgebaut werden.
Und noch etwas ist dem VDB wichtig. Es brauche andere Planungsverfahren. „Viele Vergaben sind heute noch starr auf den Anschaffungspreis fixiert. Das ist viel zu eindimensional. Klimagerechte Vergabe muss digitale Innovation, nachhaltig wirtschaftliche Qualität und Design prämieren“, kritisiert Möbius.
Industrievertreter beklagen schon länger, dass der Fokus auf den Preis die Margen und damit auch die Innovationskraft drückt. Die nächste Bundesregierung stehe in hoher Verantwortung, der europarechtlich längst gespurten Bestanbieter-Vergabe zum Durchbruch zu verhelfen, so Möbius.
Bei den Vergabeverfahren müssen nach Ansicht des VDB Kriterien wie Nachhaltigkeit, aber auch die Eignung der Auftragnehmer stärker berücksichtigt werden, etwa durch eine sogenannte Präqualifizierung. Auch müsse die Politik bei der Vergabe streng auf fairen Wettbewerb achten. Firmen aus Drittstaaten, die bestimmte Standards etwa der Welthandelsorganisation WTO nicht einhalten oder auch kein Freihandelsabkommen mit der EU geschlossen hätten, dürften nicht mehr als 50 Prozent des Auftragsvolumen erhalten.
Forderungen in Eigeninteresse
Forderungen wie diese sind natürlich stark interessengeleitet. Zum VDB gehören Konzerne wie Siemens oder Alstom, aber auch zahllose kleinere Firmen. Sie alle profitieren von Aufträgen des Staates.
Allerdings ist der VDB nicht der einzige Verband, der der Politik vor Augen führt, dass beim Thema Schiene einiges im Argen liegt. Anfang August hatten die Privatbahn-Verbände Mofair, Allrail und Netzwerk Europäischer Eisenbahnen sowie der Bundesverband der Verbraucherzentralen, der Fahrgastverband Pro Bahn, die Lokführergewerkschaft GDL und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in einem Positionspapier sogar die Aufspaltung der Deutschen Bahn gefordert.
Sie zielen damit auf eine Besonderheit des deutschen Bahn-Systems. Der Bund finanziert zwar den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes. Er beauftragt damit aber die Deutsche Bahn. Das ist vielen in der Branche seit Langem ein Dorn im Auge. Sie fordern deshalb eine klare Trennung von Betrieb und Netz beim Staatskonzern.
So weit geht der VDB in seinen Empfehlungen nicht. Verbandschef Möbius sieht aber ein anderes grundsätzliches Problem im bisherigen Vorgehen der Politik: „Der Ansatz, klimagerechte Mobilität per Dekret zu verordnen, gehört in die Mottenkiste. Es ist die Evolution des Angebots, die immer mehr Menschen in freier Wahl vom emissionsfreien Zug überzeugt.“

Die Vergabeverfahren für große Projekte auf der Schiene müssen nach Ansicht der Bahnindustrie verändert werden, sollen die Klimaziele erreicht werden.
High-Speed-Züge würden Metropolen am besten verbinden, autonome Metros wiederum schnell durch die Hauptverkehrszeit navigieren, nennt Möbius zwei Beispiele. „Deshalb fordern wir eine ehrgeizige Innovationsstrategie für die Zukunft der Mobilität.“
Auch Flix-Mobility-Chef Schwämmlein glaubt, dass die Bürger allein durch ein passendes und attraktives Angebot zum Umstieg auf die Schiene bewegt werden können. „Es muss ein attraktives Angebot auf möglichst vielen Verbindungen aufgebaut werden, und zwar Direktverbindungen zwischen den großen Ballungsräumen. Man muss das Angebot dann verdichten, wenn die Menschen fahren wollen.“
„Unser Ziel muss doch sein, 2030 Leitanbieter und Leitmarkt für Schiene 4.0 zu sein“, wirbt Möbius für die Empfehlungen seines Verbands. „Klimaschutz braucht Klimaindustrien.“
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