Bundestagswahl Karl Lauterbach kämpft gegen den Hass – und um mehr Stimmen als Laschets Vertraute

Der SPD-Politiker und die CDU-Politikerin kämpfen um das Direktmandat im Wahlkreis Köln IV.
Köln Der Schnitt durch das Gesicht von Karl Lauterbach ist immer der gleiche, einmal waagrecht unter dem Haaransatz, dann senkrecht bis zum Hals runter. „Jede Nacht wird mir mit dem Teppichmesser mein Gesicht zerschnitten“, sagt der neben Jens Spahn bekannteste Gesundheitspolitiker des Landes. Eine Helferin am SPD-Stand in Köln-Holweide hat ihm gerade die neuesten Zerstörungen berichtet.
Auf der anderen Straßenseite hängt so ein Großplakat mit dem zerstörten Gesicht Lauterbachs. Da seine Wahlbanner nicht aufgeklebt, sondern auf Metallgestelle aufgezogen werden, flattern die beiden Gesichtshälften Lauterbachs zur Seite weg. Am Marktplatz Holweide haben sie die Gesichtshälften mit Klebeband wieder zusammengefügt. Jedes neue Plakat kostet 100 Euro, Lauterbachs Team geht bisher von einem Sachschaden von 6000 Euro aus.
Fast nirgendwo gibt es hier ein unbeschädigtes Plakat mit dem Konterfei des Medizin-Professors. Wie gefährdet Lauterbach ist, was für eine Hassfigur er durch seine Warnungen und Forderungen nach strengen Maßnahmen in der Corona-Pandemie für Wissenschaftsleugner geworden ist, zeigt auch noch ein anderer Umstand: Während er mit Bürgern redet, wacht hinter ihm ein Personenschützer des Bundeskriminalamts, ein weiterer steht rechts neben ihm.
Sie weichen den Wahlkampf über nicht von seiner Seite. Auch nicht, als er auf einer nahen Wiese bei einer kleinen Kundgebung zum Erhalt des Krankenhauses spricht. Er greift sich ein Megafon und sagt er sei immer dagegen gewesen, dass das örtliche Krankenhaus Teil eines Verbundes werde: „Erst ist es Teil eines Verbundes, dann ist es weg.“ Auf der linksrheinischen Seite gebe es eine Krankenhausdichte wie in Manhattan, sagt Lauterbach, hier sei die Versorgung dagegen zu gering. Holweide ist ein sozial schwächerer Stadtteil.
Die Leute müssten sich mehr wehren, sagt Lauterbach. Sie müssten begreifen: „Eine Klinik, die abgebaut ist, kommt niemals zurück.“ Es sei wie immer, wenn eine Unternehmensberatung komme würden Dinge verkleinert oder gleich geschlossen. Hier gehe es aber um die Regelversorgung von zehntausenden Bürgern. Der 58-Jährige bekommt Applaus. Er verspricht, auf den Rat der Stadt Köln einzuwirken, damit es eine Bestandsgarantie gibt.
Serap Güler (41) ist da schon weg. Die CDU-Konkurrentin im Bundestagswahlkreis 101 – Leverkusen – Köln IV – war bis 20 Minuten zuvor auch hier. Doch Güler hat keine Zeit, an der Kundgebung teilzunehmen, sie muss weiter. „Ich habe schon unterschrieben“, sagt sie und zeigt auf eine Unterschriftenliste für den Erhalt des Krankenhauses.

Die CDU-Kandidatin im Bundestagswahlkreis 101 – Leverkusen – Köln IV – wurde von Armin Laschet entdeckt.
Es ist eines der prominentesten Duelle in diesem Bundestagswahlkampf: Auf der einen Seite der Corona-Erklärer und Mahner Lauterbach, auf der anderen die Vertraute von Kanzlerkandidat Armin Laschet. Er hat Serap Güler entdeckt, die heute CDU-Vorstandsmitglied und in Nordrhein-Westfalen Staatssekretärin für Integration ist. Nun will sie in den Bundestag.
Sowohl Güler als auch Lauterbach werden beide für höhere Aufgaben gehandelt. Das Duell der beiden zeigt aber auch, wie sich alles plötzlich seit August gedreht hat. Ab dem Zeitpunkt nämlich, als Armin Laschets Beliebtheit schwand – und die von Olaf Scholz zunahm.
In einer schwarzen Limousine geht es weiter für Lauterbach, die nächste Station ist Opladen. Der Wahlkreis ist recht groß und vielschichtig. Köln-Mülheim zum Beispiel mit einem Migrantenanteil von 40 Prozent und hohen Kriminalitätsraten rund um den Wiener Platz; das bürgerlichere Leverkusen mit einer sehr gut ausgebildeten Beschäftigungsschicht, ein Top-Wissenschaftsstandort, nicht nur wegen Bayer.
Lauterbach wirkt nie hektisch
„Der Wahlkreis bildet ganz Deutschland ab“, sagt Lauterbach. Seit 2005 wurde er hier immer direkt gewählt, auch wenn der Bundestrend für die SPD schlecht war. Lauterbach checkt auf der Rückbank seine Nachrichten, stöhnt kurz auf, zu viel zu tun, zu wenig Zeit. Was machen diese ständigen Anfeindungen, die Zerstörungen der Plakate mit ihm?
Es ist erstaunlich, wie er in sich selbst ruht, der Mann wirkt nie hektisch, immer der gleiche langsame Singsang der Stimme, er findet auch bei jeder SMS die Zeit für eine höfliche Anrede und höfliche Verabschiedung. Und hat einen feinen Humor.
Fühlt er sich bedroht? „Ich bin ja jetzt kein Psychologe“, antwortet Lauterbach. Er empfinde das nicht als angenehm, aber fühle sich von den beiden Herren da vorne im Auto gut beschützt. „Ehrlich gesagt, was mich mehr bedroht ist, dass ich meine Arbeit nicht fertigbekomme.“ Das belaste ihn mehr als alles andere. „Das hat mir meine Tochter eingebrockt.“
Und er fängt an zu erzählen – von einem Gespräch mit seiner 14-jährigen Tochter Luzie, die sich bei Fridays for Future engagiert. Immer und immer wieder haben sie über die richtige Klimapolitik diskutiert. „Und dann habe ich irgendwann den Entschluss gefasst, ein Buch darüber zu schreiben, weshalb es in der Politik nicht weitergeht, also in der Bewältigung der Herausforderungen.“
Klimawandel soll wieder sein Hauptthema werden
Jede Partei, jeder Politiker sage, das sei jetzt das wichtigste Thema unserer Zeit. Aber es bleibe dann oft bei Stückwerk. Er will darin auch Quervergleiche zum politischen Kampf gegen die Corona-Pandemie ziehen – gewidmet wird das Buch Luzie. Seine andere Tochter, Rosa-Lena, 26, mit der er in Berlin in einer WG wohnt, ist extra für den Wahlkampf nach Köln gezogen, sie koordiniert seine Termine und Wahlkampfstände.
Daneben liest er täglich die neuesten Impf- und Corona-Studien, aus Israel, den Vereinigten Staaten, der Schweiz. „Da müssen sie immer auf dem neuesten Stand sein, der Christian Drosten arbeitet noch härter“, sagt Lauterbach.
Er selbst ist ja inzwischen so etwas wie der Drosten der Politik. „Also ich arbeite sozusagen im Dreikampf. Ich arbeite sehr intensiv an der Wissenschaft der Coronakrise, ich bin hier im Wahlkampf jeden Tag unterwegs und arbeite an dem Buch.“
Der Klimawandel war vor der Pandemie sein Hauptthema und soll es jetzt wieder werden. Ach, und dann bekomme er Mittwoch noch die Salomon-Neumann-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), da müsse er noch die Festrede vorbereiten.
Der Wahlkampf geht an die Substanz
Doch er wie Güler haben festgestellt, dass das Thema Klimaschutz in ihrem Wahlkreis viel weniger eine Rolle spielt, als es in Berlin oft angenommen wird. Hier wiegen die sozialen Probleme schwerer, hohe Mieten, prekäre Arbeitsverhältnisse. Und die Corona-Nachwehen: Wie geht’s mit der Schule weiter? Wie geht’s mit der Kita weiter?
So ein Wahlkampf geht an die Substanz, das ist bei Serap Güler nicht anders. An über 3000 Türen hat sie schon persönlich geklingelt und sich vorgestellt. Sie wurde 1980 in Marl geboren, ihr Vater hat lange unter Tage gearbeitet. Nach einer Hotellerie-Ausbildung hat sie Kommunikationswissenschaft und Germanistik studiert, bevor sie Referentin des damaligen NRW-Integrationsministers Armin Laschet wurde. Kaum jemand verteidigt ihn so wie sie.
In ihrem Wahlkreis gibt es Stadtteile, in denen 30 Prozent der Menschen erwerbslos sind. Lauterbach unterstellt sie, dass er zu wenig deren Lebensrealität im Blick habe. In Köln-Stammheim gibt es zudem bei Bürgern, etwa Spätaussiedlern aus Polen, die Angst vor Rot-Rot-Grün.
„Ich sach mal, das wäre der Super-Gau“, sagt ein Mann zu ihr. Aber er kommt auch auf das zentrale Problem zu sprechen, das ihren Wahlkampf zur Bürde macht: „Wenn Ihr den Söder aufgestellt hättet, dann wäre der Fall klar.“ Es gehe jetzt nur noch um das kleinere Übel. Güler sagt mit Blick auf Laschet: „Denken Sie an 2005, als kaum jemand noch an Angela Merkel geglaubt hat. Danach hat sie 16 Jahre regiert.“
Der Mann kontert: „Ja, aber dieser Satz ‚Wir schaffen das‘ hat die Scheiß-AfD groß gemacht.“ Güler: „Aber er hat sich bewahrheitet.“ Sie kämpft dafür, dass die Leute mehr das Positive von Migration sehen. Zumal der Fachkräftebedarf im Land riesig sei. Die ethnische Vielfalt schaffe hier bei allen Problemen auch wirtschaftliche Vielfalt. Sie erinnert an die vielen Start-ups, Köln-Mülheim werde auch Silicon Cologne genannt.
Zeitweise galt Güler hier als eine, die Lauterbach das Mandat entreißen könnte, überall ist sie groß plakatiert, sie gilt auch in Berlin als ministrabel. Und sie steht ähnlich wie Lauterbach für Klartext. Den CDU-Kollegen in Südthüringen, die den Hardliner Hans-Georg Maaßen als Bundestagskandidaten aufstellten, attestierte sie, den Schuss nicht gehört zu haben. Sie weiß, dass der CDU bei einer Niederlage schwere Flügelkämpfe drohen.
Güler könnte über die Landesliste einziehen
„Ich war immer im Team Laschet und kenne ihn seit 15 Jahren. Ich habe die absolute Überzeugung, dass er ein guter Kanzler sein wird, wenn man ihm die Chance gibt.“ Das mit dem Lachen im Flutgebiet sei ein Fehler gewesen, er habe sich dafür entschuldigt. „Es gibt ein Zerrbild von Armin Laschet. Das ist weder fair, noch wird es ihm gerecht.“
Es ist inzwischen 19 Uhr. Güler steht in der Straße „Am Rheinacker“ in Köln-Stammheim, „Ich habe heute noch gar nichts gegessen“, sagt sie und schafft es jetzt zumindest mal, einen Schluck Wasser zu trinken. Gleich kommt der Chauffeur, es geht 100 Kilometer weiter nach Iserlohn, ein Abendauftritt mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Auch er muss im Wahlkreis Märkischer II eine Niederlage fürchten, er steht auf Platz 6 der NRW-Landesliste, Güler auf 8.
Je mehr es direkt schaffen, desto eher kann Güler hoffen, vielleicht zumindest über die Landesliste in den Bundestag zu kommen. Daher ist der Einsatz für Ziemiak auch einer für sie selbst. Bis hin zu Bundesministern wie Peter Altmaier und Julia Klöckner, die auch um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen, könnte es einen ziemlichen Aderlass bei der Union geben. Das hat viel mit der Sogwirkung von Olaf Scholz zu tun, und mit dem Laschet-Strudel, aber nicht nur.
Lauterbach hat prominente Unterstützer jenseits der Politik, wie BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, den Pianisten Igor Levit und die Schriftsteller Günter Wallraff und Benjamin von Stuckrad-Barre. In der Wahlkreisprognose von election.de wird inzwischen davon ausgegangen, dass Lauterbach den Wahlkreis 101 klar wiedergewinnen wird.
Warum das so ist, bei allen Anfeindungen wegen seines Corona-Kurses, zeigt ein Gang mit ihm durch die Fußgängerzone in Opladen. Der Mediziner mag auf viele polarisierend wirken, aber hier demonstriert er das Gegenteil. Er trifft die Grünen-Kandidatin Nyke Slawik, quatscht mit den FDP-Leuten, auch mit einem einsamen Wahlkämpfer der Partei von Jürgen Todenhöfer: „Hallo, wie läuft’s?“. Eine freiberufliche Restauratorin kommt und sagt: „Sie sind ein sehr mutiger, kundiger und empathischer Mann. Die SPD hat mich wieder.“
Güler konnte bei der Präsentation von Laschets Zukunftsteam nicht dabei sein
Menschen, die im Café ein Spaghetti-Eis essen, bitten ihn um Selfies und ein Autogramm. Lauterbach bestellt sich eine Cola Light, sagt, er versuche so oft es geht, hier zu sein. Er verstehe nicht, warum seine Konkurrentin Güler zum Beispiel für eine große Podiumsdiskussion mit Islamverbänden in einer Ditib-Moschee abgesagt und sich von einem Junge-Union-Mitglied habe vertreten lassen.
Nachfrage später bei Güler: Da war der Junggesellinnenabschied ihrer Nichte. Als dann die Hochzeit war, konnte sie deshalb wiederum nicht bei der Präsentation von Laschets Zukunftsteam in Berlin dabei sein. Die „Welt“ erweckte den Eindruck, wegen der Hochzeit sei sie nicht Teil des Teams geworden, was nicht stimmte; es ging nur um die Frage, ob sie auch vor Ort präsent ist.
Und so war sie den letzten Sonntag damit beschäftigt, das richtig zu stellen. Abends reiste sie zum dritten Triell nach Berlin, um Laschet zu unterstützen. Und echauffierte sich in der Raucherecke danach mit Laschet über die Darstellung, die mal wieder den Eindruck verstärkte, die Kampagne sei komplett unkoordiniert und von Zufällen abhängig. Es wirkt gerade wie ein Fluch, der auf der Union lastet.
Lauterbach punktet mit Expertise und Bürgernähe
Denn auch Lauterbach musste schon Podiumsdiskussionen absagen, etwa wegen eines Auftritts bei Maybrit Illner. Er punktet vor allem mit seiner Expertise und Bürgernähe. Sie sprechen ihn auf Probleme mit der Krankenkasse und hohen Zuzahlungen bei der Pflegeversicherung an, auf zu geringe Renten.
Von daher seien auch die Themen von Olaf Scholz voll im Trend. Als er im Café mal kurz entspannt – am Nachbartisch sitzen seine BKA-Aufpasser – kommt eine ältere Dame an den Tisch: „Entschuldigen Sie, wie stehen Sie zur dritten Impfung?“ Lauterbach: „Es wird ohne dritte Impfung nicht gehen.“
Er sei da auch im Gespräch mit dem Biontech-Gründer Uğur Şahin. „Die dritte Impfung erhöht den Schutz um den Faktor 15.“ Das gelte für die Impfstoffe von Biontech und Moderna. „Das ist enorm.“ Damit käme man lange ohne weitere Auffrischungsimpfung aus. Das Problem sei nur, wenn jetzt jeder in Deutschland eine dritte Impfung haben wolle, fehle Impfstoff für Afrika.
Karl Lauterbach wird nach dieser Corona-Zeit und diesem Wahlkampf bereits als Bundesgesundheitsminister gehandelt. Das Führen eines großen Apparats traut ihm ein Sozialdemokrat mit Regierungserfahrung aber nicht unbedingt zu und betont: „Er ist ein Unikat, der in seiner jetzigen Rolle brillant ist.“
Dieser Text ist zuerst im Tagesspiegel erschienen.
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Die nichtendende, verbreitete Panik und hochdramatische Wortwahl des SPD-Gesundheits-"Experten" Karl Lauterbach lag eventuell daran, dass er nicht mehr ganz so beliebt ist. Zu KölnSPD-Zeiten, als er noch Fliege trug, fand ich ihn noch sympathisch, aber jetzt nur noch nervig und es wird direkt umgeschaltet, sobald er in einer TV-Show sitzt.
Unfassbar, dass sich Herr Lauterbach auch noch als "Opfer" hinstellt.
Schlimm genug, dass man ihm überhaupt als "Corona-Experten" Gehör schenkt - dabei muss sogar seine Ex-Frau öffentlich vor ihm gewarnt haben.
Und wenn Sie durch größere Städte gehen - wie ich kürzlich durch Mannheim, Heidelberg, Stuttgart, ja, welche Plakate sind dann weit überwiegend zerissen?? Richtig, die der AfD natürlich!! Soviel also zum Hass....