Digitale Infrastruktur Funklöcher und fehlende Glasfaser: Warum die Digitalstrategie der Regierung hakt

Der Bundesverkehrsminister wollte die Funklöcher mit einer bundeseigenen Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, kurz: Mig, stopfen.
Berlin Die Ankündigung klang willensstark: „Ich will, dass niemand mehr durch das Netz fällt – mobiles Surfen und Telefonieren müssen immer und überall möglich sein“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Sommer vergangenen Jahres beim Mobilfunkgipfel mit den großen Anbietern Telekom, Vodafone und Telefónica.
Weil die Unternehmen in unwirtschaftlichen Regionen keine Masten betreiben, wollte Scheuer die Lücke nicht etwa mit Anreizen, sondern gleich mit einer bundeseigenen Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft, kurz: Mig, stopfen.
Mehr als ein Jahr später steht aber noch kein Funkmast, und die Behörde hat bis auf die zwei Geschäftsführer erst sieben Mitarbeiter. Ernst-Ferdinand Wilmsmann, einer der beiden Geschäftsführer hofft, dass es im Oktober 14 Mitarbeiter sein werden und im ersten Quartal 2022 „die Personalrekrutierung abgeschlossen“ sein wird. 100 Mitarbeiter sollen es dann sein. Hinzu kommen ein Aufsichtsrat, ein Beirat sowie Regionalbüros neben der Zentrale im mitteldeutschen Naumburg. Allein in diesem Jahr liegen die Verwaltungskosten bei 40 Millionen Euro.
Berater haben derweil die Arbeit übernommen und weiße Flecken auf der Mobilfunklandkarte identifiziert, die die Gesellschaft dann in Kooperation mit Kommunen und Fördergeld beseitigen könnte. Lediglich 19 Gebiete sind es derzeit, in denen die Mobilfunkanbieter keine Masten für ihre 3G- oder 4G-Netze betreiben und auch in den kommenden drei Jahren nicht vorhaben, ihr Netz dort auszubauen.
Dabei hatten Scheuers Beamte vor der Gründung der Behörde in einem Wirtschaftlichkeitsgutachten behauptet, es gebe bundesweit 4400 solcher Flecken. An dem Gutachten zweifelte damals bereits der Bundesrechnungshof. Dennoch: Scheuer gründete die Behörde, die nun mit 1,1 Milliarden Euro den Aufbau von geschätzten 5000 Mobilfunkmasten fördern soll.
„Hier werden Millionen verpulvert“
„Teuer, teurer, Scheuer“, kritisiert Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. „Verwaltungskosten von 40 Millionen Euro, ein 350.000 Euro Jahresgehalt für die zwei Geschäftsführer und teure Beraterverträge für 4,5 Millionen Euro. Das alles, um an 19 Standorten in ganz Deutschland einen Funkmast aufzustellen? Das ist doch ein Witz. Hier werden Millionen verpulvert.“
Kritik kommt auch vom Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten, VATM. Es sei „der völlig falsche Weg“, kritisierte Geschäftsführer Jürgen Grützner. Zwar werbe jede Partei dafür, Bürokratie abzubauen und Verfahren zu beschleunigen.
Doch werde ebenso schnell argumentiert, Unternehmen hätten versagt, der Staat müsse es richten. „Zielführend wäre es, weniger Fördergeld auszugeben und dafür Anreize zu setzen, damit die Unternehmen die letzten Lücken schließen können.“ Dazu gehöre etwa, Standorte an öffentlichen Liegenschaften bereitzustellen.
111 potenzielle Fördergebiete
Die anvisierten 100 Mitarbeiter der Mig haben übersichtliche Aufgaben: Sie sollen Förderaufrufe starten, sich mit den Ländern und Kommunen abstimmen und den Unternehmen helfen, zu planen und auszubauen.
Die Standortmiete übernimmt die Mig für die ersten sieben Jahre, fördert den Strom- sowie den Glasfaseranschluss. Die Mig bietet nach eigenem Bekunden ein „kohärentes Vorgehen aus einer Hand“. So würden „Kommunen und Netzbetreiber weitreichend entlastet“.

Ein Mobilfunkmast steht auf einer Anhöhe in der Verbandsgemeinde Meisenheim.
Zweifel an den förderfähigen Gebieten gibt es aus den Bundesländern. Die Zahl sei zu gering, hieß es. So hat etwa allein Mecklenburg-Vorpommern 300 notwendige Masten identifiziert, die die landeseigene Behörde nun fördere. Es gebe Zweifel an den Kriterien, nach denen die Bundesbehörde die Gebiete identifiziere.
Insgesamt 111 potenzielle Fördergebiete prüfen die Mig-Berater, gut die Hälfte der Prüfungen sind abgeschlossen. Frühestens im kommenden Jahr dürfte dann der erste Mast aufgestellt sein.
Grünen-Haushälter Kindler fordert, „dass die Bundesnetzagentur mehr Personal bekommt und die Genehmigungs- und Antragsverfahren beschleunigt werden“ – so wie es auch der Bundesrechnungshof als zielführend erachtet hat. „Statt eine neue Mega-Behörde auf den Weg zu bringen, damit Jahre zu vertrödeln und Millionen zu verpulvern, sollte die Bundesregierung den Unternehmen beim Netzausbau klare Vorgaben machen.“
Mobilfunker kritisieren schlechte Rahmenbedingungen
Auch VATM-Geschäftsführer Grützner verweist darauf, dass es diese Vorgaben gibt und sie auch erfüllt würden. Geschehe dies nicht, so müssten die Unternehmen nachbessern, und es drohten Sanktionen. Darüber hinaus aber habe es der Staat versäumt, den Glasfaserausbau zu fördern. Stattdessen habe die Regierung „die politische Fehlentscheidung getroffen“ und die Telekom darin unterstützt, bestehende Kupferkabel noch möglichst lange zu nutzen.
Darunter leiden vor allem Unternehmen. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung an die FDP-Bundestagsfraktion hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. Demnach sind erst 0,8 Prozent der in der Antwort bezifferten 48.394 Gewerbegebiete vollständig mit Glasfaser versorgt (Stand: Ende 2020).
Dies entspricht 386 Gewerbegebieten Auch an Schulen mangelt es an schnellen Internetanschlüssen. Laut Regierungsangaben verfügten erst elf Prozent der 33.282 Schulen (3.652) über gigabitfähige Glasfaseranschlüsse.
Dabei fördert der Bund seit 2015 schnelles Internet. Seit Ende 2015 wurden laut Regierung Projekte im Wert von neun Milliarden Euro bewilligt – abgeschlossen und abgerechnet wurden bis Juli 2021 aber nur 1,3 Milliarden Euro.
Dies entspricht rund elf Prozent des mit zwölf Milliarden Euro ausgestatteten Förderprogramms des Bundes. Die Bundesregierung erklärt die Dauer der Verfahren mit Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren sowie mit fehlenden Kapazitäten im Tiefbau. Damit ist die Regierung aber weit von ihrem Ziel entfernt, alle Haushalte mit Glasfasernetzen zu versorgen.
Die FDP-Politikerin Daniela Kluckert bewertet das Ergebnis als „unkoordiniert, ziellos und chaotisch“. Die Große Koalition habe es versäumt, „Deutschland fit für das digitale Zeitalter zu machen“, sagte sie.
Auch der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, übte scharfe Kritik an der Bundesregierung. „Besonders in den ländlichen Regionen sind wir von einer flächendeckenden Mindestversorgung, wie sie bereits für Ende 2018 angekündigt war, auch Jahre später noch weit entfernt“, sagte Landsberg dem Handelsblatt.
Das im Koalitionsvertrag 2018 verankerte Ziel, Gewerbegebiete und Schulen direkt an das Glasfasernetz anzuschließen, sei „offenkundig“ auch verfehlt worden. „Schließlich scheint auch das nächste Ziel einer flächendeckenden Ausstattung aller Haushalte mit Highspeed-Internet bis zum Jahr 2025 kaum noch zu realisieren.“
Landsberg hält es auch mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht länger für hinnehmbar, dass die Ankündigungen und Versprechungen der Regierung immer wieder unterlaufen würden. „Das schwächt gerade in solch zentralen Feldern wie der Digitalisierung, die alle Lebensbereiche der Menschen tangiert, auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und ihre Handlungsfähigkeit.“ Eine „digitale Spaltung“ zwischen gut versorgten Ballungsräumen und unterversorgten Regionen dürfe es nicht mehr länger geben.
Aus Sicht von Landsberg müsse in der kommenden Legislaturperiode ein vorrangiges Ziel sein, „den Förderdschungel zu beseitigen und die immer noch überbordende Förderbürokratie zu beenden“. Die vorhandenen Finanzmittel müssten schneller und einfacher verfügbar werden. „Es darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Kommunen gerade bei Bau- und Planungsverfahren personell stark unterbesetzt sind“, fügte Landsberg hinzu. „Eine auskömmliche Regelfinanzierung der Kommunen hingegen kann eine solide Personalstruktur langfristig sicherstellen.“
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