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Interview DIW-Expertin Wrohlich kritisiert Wahlprogramme: „Es bleibt bei fehlenden Erwerbsanreizen“

Die Ökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hält die Parteivorschläge mit Blick auf Elterngeld oder Ehegattensplitting für „zu wenig radikal“.
08.08.2021 - 16:50 Uhr Kommentieren
Die Expertin hält die Vorschläge der Parteien zur Familienpolitik zum Teil für zu vage. Quelle: imago images/tagesspiegel
DIW-Ökonomin Katharina Wrohlich

Die Expertin hält die Vorschläge der Parteien zur Familienpolitik zum Teil für zu vage.

(Foto: imago images/tagesspiegel)

Katharina Wrohlich ist Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam und Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Für das Handelsblatt hat sie die Wahlprogramme der Parteien mit Blick auf die Familienpolitik analysiert.

Frau Wrohlich, Familien finanziell entlasten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, mehr Gleichstellung – wie bewerten Sie die Wahlprogramme von Union, SPD, Grünen und FDP?
Die wichtigen Themen werden angesprochen. Aber aus meiner Sicht sind die Vorschläge zu wenig radikal, etwa beim Elterngeld oder Ehegattensplitting.

SPD und Grüne wollen das Ehegattensplitting abschaffen.
Die Parteien wollen das Ehegattensplitting reformieren, aber speziell die Sozialdemokraten bleiben bei ihren Vorschlägen sehr vage. Die Grünen liefern in ihrem Wahlprogramm immerhin eine sehr richtige Analyse des Problems, nämlich, dass sich das Splitting negativ auf die Erwerbstätigkeit und das Arbeitsvolumen von Frauen auswirkt. Die Partei hat auch verstanden, dass es in Kombination mit den Minijobs und der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner in der gesetzlichen Krankenversicherung wirkt. Diese drei Elemente führen dazu, dass für viele verheiratete Frauen die Ausdehnung der Erwerbsbeteiligung über die Minijob-Grenze hinaus rein finanziell überhaupt keinen Sinn macht. Die Familie würde sogar Nettoeinkommen verlieren.

Und die Vorschläge der Grünen?
Die Partei will die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag. In diesem Modell bliebe es dabei, dass Unterhaltsverpflichtungen in der Ehe bis zu einem gewissen Umfang steuerlich geltend gemacht werden können. Gleichzeitig würde aber die teilweise sehr hohe Grenzbelastung für viele verheiratete Frauen gesenkt. Somit würde sich die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Ausdehnung der Arbeitszeit jenseits der Minijob-Grenze für die betroffenen Frauen dann lohnen.

Die Union verspricht, am Ehegattensplitting festzuhalten, es „perspektivisch“ aber um ein „Kindersplitting“ zu ergänzen, indem der Kinderfreibetrag auf das Erwachsenenniveau gehoben wird.
Durch so eine Erhöhung der Kinderfreibeträge würden in erster Linie einkommensstarke Familien mit Kindern steuerlich stärker entlastet. Familien mit niedrigen oder mittleren Einkommen würden nicht profitieren. Außerdem löst dies nicht die gleichstellungspolitischen Probleme des Ehegattensplittings. Es bleibt bei fehlenden Erwerbsanreizen, typischerweise für die Frauen.

Was ist mit dem Steuervorteil durch das Ehegattensplitting?
Viele Ehepaare bis hin zum mittleren Einkommen oder Medianeinkommen haben gar nicht so viel vom Ehegattensplitting. Denn die großen Vorteile ergeben sich aufgrund der steuerlichen Progression erst für reiche Ehepaare mit sehr ungleicher Aufteilung des zu versteuernden Einkommens. Ein zusätzlicher Punkt: Es profitieren auch diejenigen vom Ehegattensplitting, die keine Kinder haben. Bevor die hohen Steuervorteile für kinderlose Ehepaare nicht gekappt werden, weil die Union niemandem etwas wegnehmen will, sondern nur der Kinderfreibetrag erhöht wird, ist auch dieses Phänomen nicht beseitigt.

FDP und Union wollen den steuerlichen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende anheben, die Union konkret auf 5000 Euro. Bringt das etwas?
Das ist natürlich immer gut für Alleinerziehende. Wird aber ein steuerlicher Entlastungsbetrag – also egal welcher Freibetrag – angehoben, dann profitieren auch hier überdurchschnittlich diejenigen mit einem hohen zu versteuernden Einkommen. Den einkommensärmeren Alleinerziehenden bringt das also gar nichts.

Die Union schlägt vor, Zeitwertkonten zu Familienzeitkonten umzubauen, um sich Zeit für die Familie „ansparen“ zu können. Eine gute Idee?
Das hört sich zunächst gut an, ist aber sehr vage. Es stellen sich arbeitsrechtliche Fragen. Und was ist mit Paaren, die ein Kind bekommen, bevor sie überhaupt gearbeitet haben? Es gibt Instrumente, die sind bewährt, etwa die Elternzeit. Da existiert ein Kündigungsschutz, ein Rückkehrrecht, ein Recht auf Teilzeit. Das ist sehr konkret.

Die Grünen wollen einen „flexiblen Vollzeitkorridor“ schaffen, was Familie und Arbeit in eine „ausgewogene Balance“ bringen soll. Was ist davon zu halten?
Auch das ist sehr schwammig. Es könnte bedeuten, dass eine Vollzeitstelle nicht mehr nach Tarifvertrag und Branche festgelegt wird, sondern individueller Verhandlungsspielraum ist. Die Unternehmen müssten dem ja auch zustimmen. In der Sache würde es aber vermutlich eine partnerschaftlichere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit ermöglichen. In nordischen Ländern sehen wir ja eine solche Arbeitszeitgestaltung, auch für Väter.

Alle Parteien haben Vorschläge zur Ausweitung des Elterngeldes in die Wahlprogramme geschrieben, wenn beide Elternteile Betreuungszeit für die Familie nehmen. Was bewirkt das?
Die Lebensphase, wenn das erste Kind geboren wird, ist eine ganz kritische Phase mit Blick auf die zunehmende Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Bis etwa zum 30. Lebensjahr gibt es nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern – auch beim Gender-Pay-Gap, also der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Aber dann geht die Schere richtig auseinander: Frauen haben, im Gegensatz zu Männern, ab ihrem 30. Geburtstag kaum noch Lohnwachstum. Denn sie gehen häufiger und länger in Elternzeit, dann in Teilzeit, und da bleiben sie dann auch. Das hängt natürlich mit der ungleichen Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit bei Paaren zusammen. Deswegen sind das Elterngeld und insbesondere die Partnermonate wichtig, weil sie Anreize für eine gleichmäßigere Aufteilung setzen. Die Hoffnung der Politik ist, dass sich das dann grundsätzlich verfestigt.

Also liegen die Parteien richtig?
Ja, aber sie müssten noch einen Schritt weitergehen und für mehr Partnermonate sorgen. Nämlich nicht zwei von 14 Monaten, auf die sich die meisten Väter dann beschränken, sondern sieben. Zugleich dürfen die Regeln nicht zu kompliziert werden. Elterngeld Plus, hier noch ein Bonus, da verschiedene Bezugszeiten – da blickt dann am Ende keiner mehr durch.
Kommen wir zur Gleichstellung: Die Union will mehr Familienfreundlichkeit auch in Führungspositionen, die SPD die Ausweitung der Frauenquote auf mehr Unternehmen, die Grünen wollen die „gläserne Decke“ für Frauen aufbrechen, die FDP setzt auf Job- und Top-Sharing. Was davon ist vielversprechend?
Das sind schon die richtigen Instrumente, aber natürlich geht es immer um die konkrete Umsetzung. Job-Sharing und speziell Top-Sharing sind gute Ansätze, vor allem, wenn auch Männer so etwas machen. Denn es gibt nur echte Fortschritte in der Gleichstellung, wenn die Familienthemen nicht mehr nur Frauenthemen sind. Aber wie will die Politik da direkten Einfluss nehmen? Das sind eher Themen, die die Unternehmen mit ihrer Unternehmenskultur angehen müssen.

Und Frauenquoten?
Quoten sind geeignete Instrumente für mehr Chancengerechtigkeit für Frauen und Männer am Arbeitsmarkt, auch wenn eine Quotierung unelegant erscheinen mag. Wenn die FDP sagt, statt starrer Quoten setze sie sich für Selbstverpflichtungen von Unternehmen ein, denn es müsse auch um die Qualifikation der Bewerber gehen, dann ignorieren die Liberalen die jahrelange und profunde Forschung zu diesem Thema. Es wird eben in der echten Welt nicht nur nach Qualifikation eingestellt. Das ist ja der Punkt. Studien zeigen: Wenn wir Quotierungen haben, dann steigt sogar die Qualifikation von neu eingestellten Personen. Weil breiter geschaut wird und der Einfluss unbewusster Vorurteile sinkt.

Bleibt die Kinderbetreuung für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bieten die Parteien hier etwas Wegweisendes?
Hier hat Deutschland in den vergangenen 15 Jahren sehr große Schritte gemacht, natürlich ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. Das schmälert diese große familienpolitische Leistung aber nicht. Dennoch gibt es, gerade in Westdeutschland, immer noch zu wenig Kita-Plätze. Schließlich steigt auch die Nachfrage. Die Parteien wollen den Kita-Ausbau vorantreiben und auch die Qualität der Betreuung steigern. Das sind wichtige Ziele. Es ist richtig, dass dieser Weg konsequent weitergegangen wird.

Vielen Dank für das Interview.

Mehr: Ehegattensplitting: Abschaffung könnte 500.000 Jobs bringen.

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