Interview Peter Tschentscher: Ampelkoalition könnte „noch im Laufe dieses Jahres stehen“

Der Politiker schließt einen früheren Kohleausstieg nicht aus.
Berlin Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hält eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP für „gut machbar“. In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte Tschentscher: „Ich sehe eine große Chance, dass sich die drei Parteien in einer Ampelkoalition zusammenfinden.“ SPD, Grüne und FDP „sollten sich ihre Gemeinsamkeiten bewusst machen“.
So hätten alle drei Parteien eine Zukunftsidee, seien innovationsfreudig und wollten die Digitalisierung voranbringen. Auch in der Bildungspolitik gebe es „viele Gemeinsamkeiten“, so Tschentscher.
Das erste Projekt einer Ampel „könnte zum Beispiel eine Roadmap für den Ausbau der erneuerbaren Energien sein“, so Tschentscher und schloss dabei auch einen früheren Kohleausstieg nicht aus.
„Je schneller wir den Ausbau regenerativer Energien und der Stromtrassen hinbekommen, desto früher können wir aus der Kohle aussteigen.“ Der SPD-Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass eine Ampelkoalition „noch im Laufe dieses Jahres stehen“ könnte.
Tschentscher warnte die Grünen davor, in einer Jamaika-Koalition unter Führung der Union ihr Glück zu suchen. „Wer auch immer mit der Union koaliert, es wären doch die gleichen Blockaden vorprogrammiert, die die SPD in den vergangenen vier Jahren erlebt hat“, sagte Tschentscher. Die CDU sei „im negativen Sinne konservativ, sie hat Angst vor Veränderung und keine positive Zukunftsidee“.
Da das Interview am Montag geführt wurde, konnte eine Frage zu den Durchsuchungen beim früheren Hamburger Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs noch nicht gestellt werden.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Tschentscher, Hand aufs Herz: Haben Sie mit solch einem Wahlsieg der SPD gerechnet?
Ich habe jedenfalls früh darauf hingewiesen, dass die politische Erfahrung zeigt: Je näher der Wahltermin kommt, desto stärker werden aus Stimmungen konkrete Überlegungen. Vielen ist erst in den letzten Wahlkampfwochen so richtig bewusst geworden, dass Angela Merkel nicht mehr als Kanzlerin zur Verfügung steht. Damit war zu erwarten, dass sich die Stärken unseres Kanzlerkandidaten deutlich auf das Wahlergebnis auswirken.
Sie haben ernsthaft damit gerechnet, vor der Union zu liegen?
Nein, so konkret lassen sich die Prozentpunkte nicht vorhersagen. Aber wir hatten als SPD schon das Ziel, ordentlich über 20 Prozent zu kommen und dann den Kanzler zu stellen.
Wie zuversichtlich sind sie, dass eine Ampel zustande kommt?
Ich halte das für gut machbar. Im Wahlkampf werden immer die Unterschiede herausgearbeitet. Aber wenn sich der Staub der Wahlauseinandersetzung gelegt hat, werden alle die Lage erkennen und müssen die Verantwortung sehen, dass das größte Land Europas eine stabile Regierung braucht. Dafür sollten sich SPD, Grüne und FDP ihre Gemeinsamkeiten bewusst machen.
Welche sind das?
Alle drei Parteien haben eine Zukunftsidee, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, aber in vielen Bereichen ähnlich. Wir sind innovationsfreudig und wollen die Digitalisierung voranbringen. Auch in der Bildungspolitik gibt es Gemeinsamkeiten, in unseren Vorstellungen zu Bürger- und Freiheitsrechten, in der Haltung zu Demokratie, Vielfalt und Toleranz. Ich sehe eine große Chance, dass sich die drei Parteien in einer Ampelkoalition zusammenfinden.
Was muss Olaf Scholz denn FDP-Chef Christian Lindner in der Steuerpolitik bieten, damit dieser in eine Ampelkoalition einschlägt?
Das ist ja gerade der Sinn von Koalitionsverhandlungen, dafür Lösungen zu finden. Niemand kann sein Parteiprogramm zu 100 Prozent im Koalitionsvertrag unterbringen. Es geht jetzt aber nicht darum, die Parteiinteressen an die erste Stelle zu setzen, sondern die gute Entwicklung Deutschlands. Diese Denkart muss nach dem Wahlkampf in den Vordergrund treten.
Was eine Koalition mit der Union bedeuten würde
Waren Sie über die erste Zurückhaltung der Grünen in Sachen Ampel überrascht? Es heißt, Grünen-Chef Robert Habeck sei nicht so begeistert von einer Ampel, weil dann sein Plan, die SPD als stärkste linke politische Kraft abzulösen, für längere Zeit nicht aufgehen könnte.
Das sind parteitaktische Überlegungen. Wer auch immer mit der Union koaliert, es wären doch die gleichen Blockaden vorprogrammiert, die die SPD in den vergangenen vier Jahren erlebt hat.
Also schließen Sie eine neue Große Koalition unter SPD-Führung aus? Die wäre ja auch möglich.
In der Koalition mit der Union ist in den CDU-Ressorts vieles liegen geblieben. Die CDU ist im negativen Sinne konservativ, sie hat Angst vor Veränderung und keine positive Zukunftsidee.
Kann Olaf Scholz die Grünen durch einen früheren Kohleausstieg von einer Ampel begeistern?
Auch das ist eine Frage für Koalitionsverhandlungen. Je schneller wir den Ausbau regenerativer Energien und der Stromtrassen hinbekommen, desto früher können wir aus der Kohle aussteigen. Das wird man mit FDP und Grünen besprechen. Schnellere Genehmigungsverfahren sind zum Beispiel die entscheidende Voraussetzung für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien.
Zunächst wollen Grüne und FDP miteinander sprechen, bevor sie mit der SPD reden. Ist das sinnvoll?
Jeder kann mit jedem reden. Die SPD ist auf die anderen Parteien zugegangen, damit die Sondierungen und hoffentlich auch die Koalitionsverhandlungen schnell beginnen können.
Erstes großes Projekt einer Ampel
Was könnte das erste große Projekt einer Ampel sein?
Zum Beispiel eine Roadmap für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wenn wir ausreichend regenerativen Strom zur Verfügung stellen, werden die Unternehmen die notwendigen privatwirtschaftlichen Investitionen für den technologischen Wandel leisten, und wir werden mit dem Klimaschutz schneller vorankommen, als manche Skeptiker denken.
Gibt es in den Verhandlungen rote Linien für die SPD? Einen Mindestlohn von zwölf Euro etwa?
Man kann keine Koalitionsgespräche führen, indem man sich öffentliche Vorhaltungen macht. Alle Punkte müssen miteinander besprochen werden.
Bleibt der linke Parteiflügel so ruhig wie bisher, wenn Olaf Scholz Christian Lindner große Zugeständnisse machen muss?
In vielen Themen wie dem Klimaschutz, beim Ausbau der Infrastruktur oder der Modernisierung der Industrie sind die Ziele doch klar, wir müssen nur endlich vorankommen. Das ist keine Frage von links und rechts.
Steuerpolitik schon.
Da haben wir ein von der gesamten SPD getragenes Konzept. Wenn wir mit dem Koalitionsvertrag unseren Zielen näherkommen, wird auch das von der gesamten Partei getragen.
Also ist kein Mitgliedervotum notwendig, das Parteivize Kevin Kühnert ins Spiel gebracht hat?
Das wäre denkbar, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, ein Votum der Partei herzustellen.
Also gibt es ein Votum durch den Parteivorstand oder durch einen Parteitag?
Das entscheiden wir, wenn es so weit ist. Unseren Kanzlerkandidaten haben wir zum Beispiel einstimmig im Parteivorstand nominiert und dann auf einem digitalen Parteitag bestätigt.
Bis wann sollten die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein?
Die Koalitionsverhandlungen zum Jamaika-Bündnis hätten 2017 bei einem normalen Verlauf bis Ende des Jahres abgeschlossen werden können. Auch eine Ampelkoalition könnte noch im Laufe dieses Jahres stehen. Aber letztlich gilt: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.
Herr Laschet hat auch einen Regierungsauftrag für die CDU formuliert. Was halten Sie davon?
Es ist verständlich, dass die Union jetzt versucht zu retten, was zu retten ist. Aber wenn man die Gesamtumstände nüchtern betrachtet, ist die Sache klar: Der Vertrauensverlust der Union, die Gewinne von SPD und Grünen, die eindeutigen Umfragen, dass eine große Mehrheit Olaf Scholz als nächsten Kanzler will, das alles ist definitiv kein Regierungsauftrag für die CDU.
Mehr: Finanzen, Rente, Klima, Digitalisierung - Wo die Konfliktherde der möglichen Koalitionen liegen
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Tschentscher hat der nicht auch etwas mit CUM EX zu tun? War der eventuell Finanzsenator?