Interview Rhetorik-Experte beurteilt TV-Triell: „Scholz hat den Erbschleicher von Merkel gespielt“

Am Sonntagabend trafen die Kandidaten beim zweiten TV-Triell erneut aufeinander – dieses Mal krachte es vor allem zwischen Laschet und Scholz.
Gleich zu Beginn zeigten die drei Kanzlerkandidaten, wie das zweite TV-Duell verlaufen wird. Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierten ihren Kontrahenten Olaf Scholz (SPD) wegen mutmaßlicher Versäumnisse im Kampf gegen Geldwäsche, Scholz musste sich den Vorwurf gefallen lassen, seine Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen zu haben.
Auch die Corona-Pandemie, der Umgang mit der Linkspartei und der rechtspopulistischen AfD sorgten für Kontroversen. Laut einer Blitzumfrage direkt nach dem Triell konnte Olaf Scholz die Mehrheit der Zuschauer trotzdem von sich überzeugen. Auch für den Rhetorik-Experten Stefan Wachtel stehen Gewinner und Verlierer des Triells eindeutig fest: „Scholz hat für seine Kundschaft alles richtig gemacht.“
Der Coach für Spitzenmanager bescheinigt ihm und Baerbock eine gute Vorbereitung, dem Unions-Kanzlerkandidaten Laschet hingegen vertane Chancen. Dieser habe sich verhalten wie „während einer mündlichen Prüfung“, nicht wie eine Führungspersönlichkeit.
Vizekanzler Scholz hingegen habe seine Rolle kultiviert und sich zu einem Weiter-so bekannt – damit sei er sogar erfolgreich gewesen. Die Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock setze sich vorwiegend über ihr Markenzeichen, die Verwendung von Sprachbildern, durch, erklärt Wachtel.
Lesen Sie hier das komplette Interview:
Herr Wachtel, wer ist der rhetorische Sieger des vergangenen Duells?
Es gibt zwei Sieger: Olaf Scholz und Annalena Baerbock. Baerbock ist noch besser aufgetreten als beim letzten Mal. Sie scheint gute Berater zu haben. Sie hat sehr pointiert geredet, war gut vorbereitet. Und sie hat sich auf ihr Markenzeichen konzentriert, das eine alte rhetorische Taktik darstellt: nämlich die Verwendung von Bildern statt Sachargumenten. Etwa „Kinder“, „Menschen, die leiden müssen“, „das Klima, das leidet“. Das ist eine bewährte Methode. Sie ist gut darin, sich selbst zu loben, und hat Thesen, die zum Nachdenken anregen, wie: „Jedes Verbot ist ein Innovationstreiber.“ Das lässt vermuten, wo es langgehen könnte mit ihr, sollte sie ins Kanzleramt kommen.
Starke These.
Sie weiß, wie sie ihre Anhänger erreicht. Das ist Taktik. Rhetorik und Ethik gehen dabei nicht immer miteinander einher.
Wie bewerten Sie das Auftreten von Olaf Scholz?
Er hat dieselbe Taktik verwendet wie beim letzten TV-Triell: Scholz bringt seine Authentizität und Rolle als Politiker in Harmonie. Kurzum: Er hat sich selbst gespielt. Diese Rolle hat er so weit kultiviert, dass er damit einen Preis gewinnen könnte – und diese Bundestagswahl.
Wie hat er das geschafft?
Seine Art zu reden ist nicht ideenreich oder kreativ. Er hat keine neuen Themen vorgebracht, sein Ansatz war stattdessen: „Weiter so! Keine Experimente, bloß nicht aus dem Mainstream herausragen.“ Er tritt sachlich, ruhig und bewahrend auf. Einmal hat er gesagt „Für die, die mich kennen ...“ Damit hat er den Erbschleicher von Merkel gespielt. Und das scheint zu funktionieren. Scholz hat für seine Kundschaft alles richtig gemacht.
Und Armin Laschets Auftreten?
Armin Laschet ist der Verlierer des Triells. Er ist derjenige, der von unten kam, der arbeiten musste, der gekämpft hat. Der von Anfang an keine Chance hatte und dessen Argumente sowie Rhetorik keine Flughöhe erreicht haben.
Das klingt ziemlich theatralisch.
Ist es nicht. Laschet hat sich verhalten wie in einer mündlichen Prüfung.

Wachtel ist Executive Coach für Führungskräfte und Autor des Buches „Das Zielsatz Prinzip“.
Bitte erklären Sie uns das genauer.
Laschet hat auf Fragen geantwortet, statt sich dezidiert zu Themen zu äußern. Experten antworten auf Fragen, Executives, also Führungspersönlichkeiten, sprechen zu Themen.
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Woran liegt es, dass Laschet diese Chance vertan hat?
An mangelnder Vorbereitung. Redner, ob Manager oder Politiker, sollten ein eigenes Thema haben, das sie vorbringen wollen. Dazu sollten sie sich überlegen, wie sie es formulieren wollen – Satz für Satz. Und das sollten sie mehrmals proben. Zwei oder drei Stunden genügen da nicht. Sobald jemand sagt: „du machst das schon“, oder etwa: „das entwickelt sich im Gespräch“, läuft etwas schief. Darauf dürfen Sie sich nicht verlassen. Laschet ist nicht zum ersten Mal daran gescheitert.
Die Situation – begrenzte Redezeit, Konfrontation von Konkurrenten, Fragen der Moderatoren – macht es den Kandidaten aber nicht gerade leicht.
Das stimmt. Aber sie müssen vor Beginn der Veranstaltung wissen, welche Themen die Moderatoren ansprechen. Die sind meist vorhersehbar. Sie dürfen nicht überlegen, was sie antworten. Auch hier gilt der Grundsatz: Experten beantworten Fragen, Executives sprechen über Themen. Außerdem erscheinen die Kandidaten bei einem TV-Triell nicht als Privatpersonen, sondern als Figuren in ihrer Rolle.
Wie bewerten Sie das Triell insgesamt, unabhängig vom Auftreten der Kandidaten?
Es fehlten Originalität, kurze Sätze, der richtige Biss. In einem Satz: Es fehlte Christian Lindner!
Das müssen Sie uns erklären.
Allgemein ist es falsch, den Liberalismus nicht abzubilden. Die FDP kann genauso an der Regierung beteiligt sein, wie die Grünen. Und rhetorisch: Da gibt es kaum jemanden, der die Qualität, Originalität und Pointierung so gut beherrscht wie Christian Lindner.
Lassen Sie uns auf die Inhalte zu sprechen kommen. Gleich zu Beginn gab es einen Schlagabtausch zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz. Beim Thema Wirecard geriet Letzterer ins Schlingern.
Das war der Höhepunkt des Triells. Die Diskussion hat gezeigt: Beide haben recht, beide haben ihre Standpunkte dargestellt und sich gegenseitig Vorwürfe gemacht – in dieser Situation genau das Richtige. Es gibt nicht nur eine Wahrheit. Dass Laschet diese Vorwürfe ins Spiel bringen würde, war klar. Genauso erwartbar war, dass Scholz eine Antwort parat hatte. Ich hätte mir mehr davon gewünscht. Dieser Moment zeigte jedoch auch die Ignoranz der Politiker auf: Es wurde viel wiederholt und wenig konkretisiert.
Annalena Baerbock hat Scholz und Laschet unbeeindruckt diskutieren lassen.
Sonst hätte sie nicht gewinnen können. Das war sehr clever von ihr und richtig, sich da rauszuhalten. Möglicherweise war es Koalitionstaktik oder aber rhetorisches Kalkül: Manchmal ist Schweigen die große Kunst. Viele Politiker unterliegen dem Reflex, unbedingt etwas sagen zu wollen. Diese Rolle im TV-Triell verlangte allerdings, für einen Moment nichts zu sagen. Sie hat zudem auf Zielsätze hin pointiert: „Nicht dieses Rumgeeiere.“ Professionell, würde ich sagen.
Herr Wachtel, vielen Dank für das Gespräch!
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Gute Analyse...und in der Tat ist Christian Lindner ein begnadeter Rhetoriker aber bei den Inhalten stockt mir öfter der Atem,,,synthetische Kraftstoffe aus Peru...den fairen Co2 freien Marktpreis an der Zapfsäule hätte ich mal gerne von ihm gewusst.