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Interview „Wer kein Profi ist, sollte nicht verhandeln“ – Ratschläge eines FBI-Experten für die Ampel-Koalitionäre

Als Verhandler fürs FBI kennt Matthias Schranner sich mit brenzligen Situationen aus. Welche Fehler vermieden werden müssen, erklärt er im Interview.
18.10.2021 - 11:30 Uhr Kommentieren
„Wenn ich bis fünf Uhr morgens am Tisch sitze, bringt das niemanden weiter.“ Quelle: Schranner Negotiation
Matthias Schranner

„Wenn ich bis fünf Uhr morgens am Tisch sitze, bringt das niemanden weiter.“

(Foto: Schranner Negotiation)

Berlin Es sind komplexe Detailverhandlungen, die SPD, Grünen und FDP ins Haus stehen, wenn es in den nächsten Tagen und Wochen darum gehen soll, wie Deutschland in Zukunft regiert wird. Einer, der sich mit komplizierten und sogar extrem brenzligen Verhandlungssituationen auskennt, ist Matthias Schranner.

Bei der Polizei und dem amerikanischen FBI hat er gelernt, wie man mit Geiselnehmern und Erpressern verhandelt – seine Kenntnisse setzte er unter anderem als oberster Verhandlungsführer beim Bundesinnenministerium ein. Heute berät er Unternehmen, die UN, aber auch politische Parteien in schwierigen Verhandlungssituationen.

Im Handelsblatt erklärt er, wie die anstehenden Koalitionsverhandlungen seiner Meinung nach ablaufen müssten: „Die Koalitionäre sollten sich wegsperren, bis weißer Rauch aufsteigt – wie bei der Papstwahl“, sagt Schranner. Außerdem müsse es einen klaren Zeitplan geben. „Wenn ich bis fünf Uhr morgens am Tisch sitze, bringt das niemanden weiter.“

Die Komplexität von Verhandlungen werde zu oft unterschätzt, kritisiert er: „Wenn man kein Profi ist, sollte man nicht verhandeln.“ Zu leicht ließen sich Menschen stressen oder mit emotionalen Themen provozieren – das gelte auch für die Parteichefs. Die sollten sich in den Koalitionsverhandlungen deshalb lieber, so gut es geht, raushalten.

Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Herr Schranner, wenn sich die Parteien zu den Koalitionsverhandlungen treffen, sind sie dann Partner oder Gegner?
Die Gegenüber sind ganz sicher Partner – allein schon, weil man sie für die nächsten Jahre der Zusammenarbeit gegenseitig braucht. Außerdem herrscht ja eine gewisse Abhängigkeit und die Notwendigkeit, mit dem anderen klarzukommen. Aber natürlich gibt es immer auch eine Historie zwischen den Verhandlungspartnern und Positionen, die im Wahlkampf schon geäußert wurden. Die müssen dann verhandelbar gemacht werden.

Einige Parteien haben allerdings schon im Vorhinein rote Linien gezogen. War das taktisch unklug?
Bei roten Linien gibt es zwei Probleme. Erstens kann ich mich dann verhandlungstechnisch nicht mehr bewegen, ohne mein Gesicht zu verlieren. Das zweite ist, dass die Gegenseite dann alles versuchen wird, diese Linie zu knacken.

Die Vorsitzenden sollten sich bei den Verhandlungen eher zurückhalten, meint Matthias Schranner. Quelle: imago images/Chris Emil Janßen
SPD, Grüne und FDP

Die Vorsitzenden sollten sich bei den Verhandlungen eher zurückhalten, meint Matthias Schranner.

(Foto: imago images/Chris Emil Janßen)

Der Reiz des Verbotenen quasi?
Genau. Man motiviert die anderen dazu, da einen Punkt zu machen.

Und wenn man dann nicht damit durchkommt, hat man nur die Möglichkeit aufzustehen und zu gehen?
Entweder ich setz mich mit meinen Forderungen durch. Wenn ich das nicht schaffe, muss ich aufstehen und sagen: ,Das lassen wir mit uns nicht machen.‘ Eine dritte Möglichkeit wäre, dass man einen Weg findet, solche roten Linien wieder aufzulösen.

Wie kann das aussehen?
Am besten kann man sie an Parameter knüpfen. Man könnte zum Beispiel sagen, wenn die Wirtschaft um zehn Prozent wächst, dann können wir auch mehr bezahlen. So macht man ein festgelegtes Ziel interpretierbar.

Es braucht also Konditionalität.
Die braucht es immer in Verhandlungen, denn sonst verbeißt man sich und hat nur die Möglichkeit, auszusteigen, um das Gesicht zu wahren.

Wer sind denn in den Parteien Ihrer Meinung nach die besten Verhandler?
Aus meiner Sicht sind das diejenigen, die Gespräche am Laufen halten und vorantreiben. Ein Herr Habeck von den Grünen zum Beispiel, der nicht so sehr im Rampenlicht stand. Bei SPD und FDP könnten die Generalsekretäre Klingbeil und Wissing ihre Parteichefs schützen und als Verhandlungsführer auftreten.

Also verhandeln nicht die Parteichefs selbst?
Parteichefs sollten Visionäre sein, die das große Bild malen können. Es braucht aber Verhandlungsführer, die weniger im Rampenlicht stehen und mehr testen können – da bieten sich zum Beispiel die Generalsekretäre an. Personen wie Scholz, Lindner und Baerbock sind in ihren Positionen schon sehr festgesetzt. Außerdem sind sie auch emotional angreifbar. Wenn Sie Frau Baerbock in den Verhandlungen fragen: „Na, haben Sie das schon wieder irgendwo abgeschrieben?“, wird sie wahrscheinlich emotional reagieren.

Würde es den Parteien guttun, einen professionellen Verhandler wie Sie dabeizuhaben?
Bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 wäre da sicherlich großer Bedarf gewesen, da ging alles drunter und drüber. Dieses Mal sieht es sehr viel disziplinierter aus. In der Politik ist die Idee, sich jemanden von außen dazu zu holen, allerdings generell noch nicht so ausgeprägt – da ist die Wirtschaft schon weiter.

2017 sind ja auch sehr viele Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. Wie beeinflusst das die Verhandlungen?
Das führt dazu, dass ich nichts mehr testen kann – was aber erlaubt sein muss. Sollte jemand umkämpfte Lösungen an die Presse durchstechen, gibt es einen riesigen Shitstorm. Dann würde niemand mehr etwas testen, denn dann entsteht Misstrauen, und die Leute ziehen sich zurück. Die Folge davon ist, dass es dann zum Machtkampf kommt – ich halte es für wahnsinnig gefährlich, wenn es um Macht geht und nicht mehr um Inhalte.

Grüne machen Weg für Ampelkoalition frei

Damals sind die Verhandlungen ja auch gescheitert.
Ja, genau. Ob es politisch die richtige Entscheidung war, kann ich nicht beurteilen. Aber die Kommunikation der FDP damals war falsch. Die Absage kam sehr überraschend und hat die anderen brüskiert. Das hätten die Verhandler alle gemeinsam verkünden müssen.

Sie haben ja in sehr viel brenzligeren Situationen verhandelt – etwa bei Geiselnahmen. Was ist der verhandlungstechnische Unterschied zu den Koalitionsverhandlungen?
Der größte Unterschied ist, dass es bei einer Geiselnahme nur einen einzelnen Verhandler gibt, der sehr stark unter Stress steht. In der Politik hingegen muss man sehr viele Interessen auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die Gemeinsamkeit ist, dass es in beiden Fällen nur Menschen sind, die Verhandlungsfehler begehen. Sie werden im Stress oft noch drängender, verbeißen sich und schmeißen hin. Andere schalten auf Durchzug, wenn ihnen der Konflikt zu viel wird.

Haben Sie Tipps für Verhandlungen, die nicht von Profis geführt werden?
Wenn man kein Profi ist, sollte man nicht verhandeln. Das wird von den meisten Menschen komplett unterschätzt. Verhandlungsführung ist komplex: Was in einer Phase gut sein kann, ist in einer anderen schlecht. Am Anfang muss man sich einen klaren Rahmen setzen, dann gibt es aber auch eine Phase, in der man zuhören muss. Strategisch verhandeln können nur wenige, die meisten lassen sich von ihrer Intuition leiten.

Gibt es denn keine geheimen Tricks? Über Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa sagt man, sie habe sehr viel Sitzfleisch und könne ihre Verhandlungspartner dadurch so lange zermürben, bis sie einlenken.
Aus meiner Sicht sind Tricks immer falsch, weil sie manipulativ sind und sich negativ auf langfristige Beziehungen auswirken. Ich werde lieber von den Leuten regiert, die professionell verhandeln können, als von solchen, die besonders gut sitzen können. Ab einem bestimmten Punkt wird eine Verhandlung auch nicht mehr besser. Was habe ich gewonnen, wenn ich bis fünf Uhr morgens am Tisch sitze? Das bringt am Ende niemanden weiter.

Das heißt, dass es einen klaren Zeitplan braucht, der auch eingehalten wird?
Gut wäre für die Koalitionsverhandlungen, wenn man sich wegsperrt, bis weißer Rauch aufsteigt, so wie bei der Papstwahl. Am besten an einem geschichtsträchtigen Ort wie Heiligendamm, wo 2007 das G8-Treffen stattgefunden hat. Dann muss man die Verhandlungen wirklich ernst nehmen, die Handys weglegen und sich einen zeitlichen Rahmen setzen, etwa von acht bis 20 Uhr. Danach muss es dann eine Phase zum Erholen geben, die auch zum Beziehungsaufbau genutzt werden kann.

Die Kardinäle bei der Papstwahl sind allerdings so lange abgeschottet, bis sie ein Ergebnis haben. Fordern Sie das auch von den Koalitionären? Sich zurückzuziehen, bis es heißt: Habemus Kanzler?
Ja, das würde ich verlangen. Wir haben jetzt Mitte Oktober, und die große Frage ist doch, wer als Kanzler die Neujahrsansprache hält. Ich glaube nicht, dass die Wählerinnen und Wähler ein Verständnis dafür haben, wenn sich die Koalitionsverhandlungen noch wahnsinnig lange hinziehen. Als Land sechs Monate nicht handlungsfähig zu sein können wir uns in Anbetracht der derzeitigen Krisen nicht leisten.
Herr Schranner, vielen Dank für das Interview.

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