Koalitionsgespräche Finanzierung von Investitionen und Rente: Scharfe Kritik von Top-Ökonomen an den Ampel-Verhandlern

Unklar ist, wie die Ampelkoalitionäre ihre teuren Pläne für Klimaschutz, Digitalisierung und Modernisierung bezahlen wollen.
Berlin Ein kleiner Parteitag der Grünen hat am Sonntag den Weg für Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien frei gemacht. Vorher hatte bereits der SPD-Vorstand ebenfalls derart entschieden. Am Montag will schließlich die FDP-Parteiführung darüber befinden.
Signalisiert auch sie wie erwartet Zustimmung, könnten die Verhandlungen schon in der kommenden Woche starten – und Olaf Scholz (SPD) womöglich noch deutlich vor Weihnachten zum nächsten Bundeskanzler gewählt werden.
Inhaltlich ist indes eine heftige Debatte um die Finanzierung der Pläne ausgebrochen, auf die sich die drei Parteien bereits geeinigt haben. Unklar ist vor allem, wie die Ampelkoalitionäre ihre teuren Pläne für Klimaschutz, Digitalisierung und Modernisierung bezahlen wollen.
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, findet die Passage zu den Zukunftsinvestitionen „im Rahmen der Schuldenbremse“ jedenfalls „rätselhaft offen“. Eine Lösung dafür könnten Investitionsgesellschaften für die verschiedenen Infrastrukturnetze sein, sagte er dem Handelsblatt. Hüther selbst hatte schon 2019 die Schuldenbremse infrage gestellt.
Auch die SPD-Linke will eine „öffentliche Investitionsgesellschaft“, um schuldenbremsen-konform investieren zu können. Davon hänge ab, ob die Ampel „ein Modernisierungsjahrzehnt einläuten kann oder nicht“, sagte Dierk Hirschel, Mitglied im Vorstand des SPD-Forums Demokratische Linke 21 und Verdi-Chefökonom.
Scholz: „Es geht darum, die Dinge richtig zu kombinieren“
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat den Vorwurf zurückgewiesen, dass bei den Ampel-Sondierungen keine Antwort auf die Frage nach der Finanzierbarkeit der Pläne geliefert worden sei. Es gehe um einen großen Aufbruch, die Modernisierung des Landes, sagte Scholz am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Dabei gehe es zu einem erheblichem Anteil darum, privatwirtschaftliche Investitionen zu ermöglichen.
Klar sei aber auch, dass man zusätzliche Mittel für öffentliche Investitionen bereitstellen müsse. „Es geht also darum, die Dinge richtig zu kombinieren“, betonte Scholz. „Was wir uns vorgenommen haben, ist, sehr solide zu wirtschaften und zugleich ein Jahrzehnt der Investitionen in Deutschland zustande zu bringen, privat und öffentlich.“
Zu Vorschlägen, öffentliche Investitionsgesellschaften einzurichten, verwies Scholz darauf, dass es längst öffentliche Einrichtungen gebe, die investierten. Als Beispiel nannte er die Deutsche Bahn und die KfW. „Insofern ist das nur die Beschreibung eines Prinzips, das es schon gibt und das in den Rahmen der Handlungsmöglichkeiten mit einbezogen werden muss.“
Im Sondierungspapier heißt es lediglich: „Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur.“
Nach Darstellung Habecks sind die Ampel-Parteien bei der Finanzierungsfrage weiter, als es das Sondierungspapier spiegelt. „Die Finanzen sind besser unterlegt in den Gesprächen, als es das Papier wiedergibt“, sagte Habeck im ZDF. „Die Sätze sind spartanisch, das gebe ich zu. Aber wir haben uns sehr viele Gedanken dazu gemacht, wie diese Sätze dann in den Koalitionsverhandlungen mit konkreten Möglichkeiten unterfüttert werden.“
Einen anderen Vorschlag, wie die neue Regierung an mehr Geld kommen könne, ohne Steuern zu erhöhen, kommt von Ifo-Chef Clemens Fuest: Sie könnte 2022 noch einmal kräftig Schulden machen und in einer Rücklage parken, bevor dann 2023 wieder die Schuldenbremse gilt. Dem kann auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm etwas abgewinnen. DIW-Chef Marcel Fratzscher schlug konkret vor, 500 Milliarden Euro extra aufzunehmen.
Parallel dazu tun sich kleinere neue Einnahmequellen auf: So könnte die geplante, von SPD-Chef und Bundesfinanzminister Olaf Scholz maßgeblich vorangetriebene globale Mindeststeuer für Unternehmen Deutschland jährlich fünf bis sechs Milliarden Euro einbringen.
Ein großes Plus versprechen sich die potenziellen Koalitionäre auch von intensiveren Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Steuervermeidung, schreiben sie im Papier. Schließlich sei „Deutschland noch immer ein Geldwäscheparadies“, räumt SPD-Chef Norbert Walter-Borjans in der „Bild am Sonntag“ freimütig ein.
„Die Behörden kommen gar nicht nach, die Verdachtsmeldungen der Banken abzuarbeiten.“ Effektiver Kampf gegen Betrug und das Schließen von Schlupflöchern könnte durchaus „jährliche Mehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich“ bringen.
Schließlich könnte auch eine Cannabis-Legalisierung mehrere Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskassen spülen, schätzen Ökonomen. Dafür sind alle drei Partner offen, auch wenn sie im Sondierungspapier nicht erwähnt ist.

Eine Cannabis-Legalisierung könnte mehrere Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskassen spülen, schätzen Ökonomen. Die Grünen sind offen dafür, aber auch FDP und SPD.
Nach einer früheren Studie des Ökonomen Justus Haucap könnte dies jährlich etwa 2,7 Milliarden Euro bringen. Mittlerweile erwartet er sogar deutlich höhere Einnahmen durch Steuern und Einsparungen an anderer Stelle, sagte er dem „Spiegel“. In Kürze will er dazu eine neue Berechnung veröffentlichen.
Auf massive Kritik stoßen die Ankündigungen im Sondierungspapier zur Rente: „Wir werden die gesetzliche Rente stärken und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent sichern. Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“ Das sei „unbefriedigend und widersprüchlich“, moniert Hüther. „Dieser Herausforderung ist so nicht angemessen zu begegnen“, warnt der Ökonom.
Noch schärfer reagiert Ifo-Chef Fuest auf diesen Passus: Das sei „alles andere als zukunftsträchtig“, denn „mit nachhaltiger Finanzpolitik sind diese Rentenbeschlüsse nicht vereinbar. Die Rentenreform wird offenbar schlicht vertagt.“
Angesichts der Demografie könne es nicht funktionieren, „das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent festzusetzen und gleichzeitig Rentenkürzungen und das Eintrittsalter nicht anfassen zu wollen“.
Die anderen genannten Maßnahmen, wie die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Zuwanderern, „reichen einfach nicht aus – auch wenn sie grundsätzlich zu befürworten sind“, sagte er dem Handelsblatt.
Bisher habe die Politik immer auch Haltelinien für die Rentenbeiträge fixiert. Im Papier der Ampel-Sondierer stehe aber nur, dass die Beitragssätze langfristig durch den Einstieg in eine Kapitaldeckung stabilisiert werden sollen. „Wie das gehen soll, ist unklar“, so Fuest, „da können die Beitragszahler einiges erwarten.“ Und das, obwohl die Lohnnebenkosten in Deutschland ohnehin schon sehr hoch seien.
Hüther nennt Anhebung des Mindestlohns „ordnungspolitisch fragwürdig“
Ein zentraler klarer Punkt der Sondierer war die Einigung auf eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro unter Druck von SPD und Grünen. Hüther nennt dies „ordnungspolitisch fragwürdig“. Der Eingriff hebele nicht nur die Kommission der Sozialpartner aus, die generell für die Bestimmung des Mindestlohns zuständig ist.
Er stehe auch im Gegensatz zu den geplanten neuen Experimentierräumen in der Arbeitswelt und besseren Anreizen bei Minijobs. Die Arbeitgeber hatten den Mindestlohnbeschluss bereits heftig kritisiert. Das Ignorieren der Mindestlohnkommission sei „ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie“ und „brandgefährlich“, hatte deren Präsident Rainer Dulger gewarnt.
FDP-Chef Christian Lindner hingegen verteidigte den Kompromiss, den die Liberalen hier eingegangen sind: „Die einmalige Ausnahme ist vertretbar und entspricht der Meinung der Bevölkerungsmehrheit“, sagte er der „Bild am Sonntag“.
Auf Kritik stoßen daneben die vagen Innovationspläne der drei Parteien, die vor allem Modernisierung, Digitalisierung und Aufbruch versprechen. Nach dem Ergebnispapier wollen sie die Ausgaben Deutschlands für Forschung und Entwicklung zwar insgesamt von zuletzt 3,2 Prozent auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Das sei durchaus „ambitioniert“, meint IW-Chef Hüther. Allerdings nennen die drei Verhandler dafür kein Jahr. Die abgewählte Große Koalition wollte das 3,5-Prozent-Ziel bis 2025 erreichen.
Noch „fehlt auch ein Gesamtkonzept für einen radikalen Richtungswechsel in Deutschland auf breiter Ebene“, kritisierte der Vorsitzende der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI), Uwe Cantner. Bisher hätten sich die Sondierer damit begnügt, die erwarteten Schlagwörter wie Gründungen, Transformationen, digitale Geschäftsmodelle oder Fachkräftestrategie zu erwähnen. Nun gelte es, „ein konsistentes neues Programm für Forschung und Entwicklung aufzustellen“.
Die Kunst dabei sei, die gegenseitigen Abhängigkeiten von Staatsmodernisierung, Digitalisierung, Klimaschutz, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit „in ein inhaltlich und zeitlich abgestimmtes Ganzes zu gießen“. Dazu müssten die Partner ganz neue Strukturen und Formate schaffen. Moderne, agile Formen der Innovationspolitik würden aber bisher nicht mal diskutiert.
Im Papier wird allgemein die Modernisierung des Staates versprochen. Grünen-Urgestein Jürgen Trittin schildert am Beispiel von Genehmigungsverfahren, was das konkret heißen müsste: „Mein Vorschlag: Die Behörden haben sechs Wochen Zeit, um festzustellen, ob die Antragsunterlagen vollständig sind. Sie dürfen nur einmal etwas nachfordern“, sagte er der „Bild am Sonntag“.
„Dann haben sie ein halbes Jahr Zeit, um endgültig zu entscheiden“. Auch Grünen-Parteichef Robert Habeck hatte schon gefordert, dass etwa die Genehmigungsverfahren für Windparks statt sechs Jahren nur noch sechs Monate dauern dürften.
Mit Agenturmaterial.
Mehr: Die Ampel bietet jetzt die Chance auf eine echte Reformregierung.
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Ohne die notwendigen Investitionen wird bald China in Deutschland registrieren, anfangs ökonomisch, später???
Diese Top-Ökonomen können einem langsam auf den "Zwirn" gehen. Der überwiegende Teil unter der Bevölkerung will scheinbar diese Regierung; das es schwierig ist, sich zwischen 3 Parteien zu einigen, war doch absehbar. Die CDU-CSU zerlegt sich selbst und ist absolut keine Alternative.