Laschets Wahldebakel „Digital Brain Drain” – Wahlergebnis kostet Union wichtige Digitalkompetenz

Die Saarländerin, die dem Bundestag seit 2009 angehörte, verlor ihren Wahlkreis an die SPD.
Berlin Wie stark die Niederlage der Union bei der Bundestagswahl ausgefallen ist, lässt sich nicht nur an den deutlich veränderten Mandatszahlen erkennen, sondern auch daran, dass mit dem historischen Verlust an Parlamentssitzen auch Expertise verloren ging.
Die CDU/CSU-Fraktion ist von bisher 245 auf jetzt 196 Sitze geschrumpft. Im neuen Bundestag sind damit viele Fachpolitiker nicht mehr dabei. Besonders deutlich traf es die Digitalexperten der Union.
Die Arbeitsgruppe „Digitale Agenda“ der Fraktion ist mit einem Mal führungslos geworden. Der Vorsitzende Tankred Schipanski (Thüringen) verpasste ebenso den Wiedereinzug ins Parlament wie sein Vize Maik Beermann (Niedersachsen).
Noch schwerer dürfte der Verlust von Nadine Schön wiegen. Die Saarländerin, die dem Bundestag seit 2009 angehörte, verlor ihren Wahlkreis an die SPD und schaffte es wegen des schwachen CDU-Ergebnisses auch nicht über die Landesliste ins Parlament.
Schön war als stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende für digitale Themen zuständig. Sie ist Co-Chefin des Netzwerks Digitalisierung der CDU und einer der Köpfe hinter „Neustaat“, einem viel beachteten Buch über die grundlegende Modernisierung und umfassende Digitalisierung des Staates und seiner Verwaltung.
Initiative D21 sieht „Digital Brain Drain“
Das Thema spielte auch im Wahlkampf der Union eine zentrale Rolle. CDU-Chef Armin Laschet hatte sich zum Beispiel dafür starkgemacht, dass „einige der Ideen aus dem Buch“ in das Wahlprogramm der Union einfließen.
Und er hatte immer wieder versichert, als Kanzler bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung „endlich Tempo“ zu machen. Laschet bekräftigte zudem seinen Plan, im Fall einer Kanzlerschaft ein Digitalministerium einzurichten.
In diesem Zusammenhang fiel auch der Name von Schön. Auf die Frage, wer das von CDU und CDU angestrebte Digitalressort leiten solle, nannte Laschet die Saarländerin. Daneben aber auch Schipanski.
Der CDU-Politiker gehörte dem Bundestag über zwölf Jahre als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter an. „Gegen den Bundestrend war es leider nicht möglich, das Direktmandat zu verteidigen“, schrieb Schipanski auf Twitter. Die Wähler in seinem Bundesland hätten sich mit Mehrheit für die AfD entschieden. Auch in seinem Wahlkreis.
In der Digitalszene wurden die personellen Verluste teilweise mit großem Bedauern aufgenommen. Sie habe „geschockt festgestellt“, dass Schön und Schipanski nicht mehr im Bundestag vertreten seien. „Der CDU geht damit wichtige Digitalkompetenz verloren“, schrieb die Leiterin des Bereichs „Digitalisierte Gesellschaft“ bei der Stiftung Mercator, Carla Hustedt, auf Twitter.
Der Vizepräsident der gemeinnützigen Initiative D21, eines Digitalnetzwerks aus Unternehmen und Politik, Thomas Langkabel, sprach von einem „Digital Brain Drain“. „Ich habe aber die Hoffnung, dass es doch einige Neugewählte gibt, die hier aushelfen werden können“, schrieb Langkabel auf Twitter.
Bitkom fordert „Grundkonsens für ein starkes Digitalministerium“
Der Präsident des IT-Verbands Bitkom, Achim Berg, sieht die Lage weniger dramatisch, weil fast alle Bundestagsfraktionen seit einigen Jahren „in aller Breite Digitalkompetenz aufgebaut“ hätten.
Für die Union seien zum Beispiel mit Dorothee Bär und Hansjörg Durz (beide CSU) sowie den CDU-Politikern Helge Braun, Thomas Heilmann, Thomas Jarzombek und Ronja Kemmer sechs ausgewiesene Digitalexpertinnen und -experten im neuen Bundestag vertreten. „Auf ihr Know-how wird sich die Union in Digitalfragen in der neuen Legislatur stützen“, sagte Berg.
Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) mahnte, dem Digitalthema künftig generell einen größeren Stellenwert einzuräumen. „Digitalpolitik war zu lange Steckenpferd einiger weniger in allen Parteien, die sich dafür einsetzten“, sagte BVDW-Geschäftsführer Marco Junk. „Daher darf es nicht auf diese oder jene Person ankommen, sondern Digitalpolitik muss endlich Chefsache aller Parteien werden.“
Ähnlich sieht es Bitkom-Präsident Berg. „Ausnahmslos alle Parteien sind gefordert, Digitalexpertinnen und -experten aufzubauen, ihnen zuzuhören und das nötige Gewicht zu geben, das dieses wichtige Thema verdient.“
Zugleich plädierte er mit Blick auf die verschiedenen Koalitionsoptionen dafür, die Leitlinien der Digitalpolitik der künftigen Bundesregierung unabhängig von Parteifarben und Personalien zu entwickeln. Wichtiger seien Ziele und Strukturen.
„Bei allen jetzt anstehenden Gesprächen sollte ein Grundkonsens für ein starkes Digitalministerium angestrebt werden“, sagte Berg. Dieses Ressort müsse mit allen Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet sein, um die Digitalpolitik im Bund voranzutreiben und zu koordinieren.
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Wenn das Thema im Wahlkampf der Union eine so zentrale Rolle spielte, warum haben sie dann diesen Digitalexperten keine besseren Listenplätze gegeben, damit sie sicher in den Bundestag kommen?