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Interview Thema Klimaschutz: „In den Wahlprogrammen steckt mehr Zuckerbrot als Peitsche“

Karen Pittel, Klimaökonomin am Ifo-Institut, wirft den Parteien im Bundestagswahlkampf Unehrlichkeit vor – und warnt: Mit keinem Programm lasse sich das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen. 
06.08.2021 - 04:16 Uhr Kommentieren
Sind die Wahlprogramme der Parteien zum Thema Klimaschutz zu wenig konkret? Quelle: dpa
Solaranlage am Frankfurter Flughafen

Sind die Wahlprogramme der Parteien zum Thema Klimaschutz zu wenig konkret?

(Foto: dpa)

Die Leiterin des Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen des Ifo-Instituts, Karen Pittel, sieht die Vorhaben zum Thema Energie und Klima in den Wahlprogrammen kritisch. „Keines der Programme zeigt belastbare Wege auf, mit denen man das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 verlässlich erreichen könnte“, sagte Pittel dem Handelsblatt.

„In den Programmen steckt mehr Zuckerbrot als Peitsche. Es fehlt die ehrliche Analyse“, sagte Pittel. Das gelte auch für das Programm der Grünen. „Die Grünen etwa schreiben, ein CO2-Preis von 180 Euro würde zu erheblichen sozialen Unwuchten führen. Dabei hätten laut einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium selbst 180 Euro nicht ausgereicht, um das alte Klimaschutzziel von 55 Prozent Reduktion bis 2030 zu erreichen“, sagte sie.

Keines der Programme zeige zudem auf, wie sich ein forcierter Ausbau erneuerbarer Energien erreichen lasse. „Den Stein der Weisen hat niemand gefunden“, sagte Pittel.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Frau Pittel, seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz Ende April hat das Thema Klimaschutz enorme Aufmerksamkeit erfahren. Spiegelt sich das in den Programmen der Parteien angemessen wider?
Auf den ersten Blick mag das so wirken. Wenn man als Indikator heranzieht, wie oft das Wort „Klima“ in den Programmen auftaucht, liegen erwartungsgemäß die Grünen vorne: Bei ihnen taucht der Begriff an 247 Stellen auf. Das andere Ende des Spektrums markiert die FDP mit 58 Nennungen. Wenn man genauer hinschaut, offenbaren sich allerdings in allen Programmen erhebliche Defizite.

Inwiefern?
Die fehlende Detailtiefe mag für Wahlprogramme symptomatisch sein. Aber auch die großen Linien führen nicht zum Ziel. Keines der Programme zeigt nach meiner Einschätzung belastbare Wege auf, mit denen man das Ziel einer Emissionsreduktion um 65 Prozent bis 2030 oder das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 verlässlich erreichen könnte.

Haben Sie eine Erklärung dafür?
In den Programmen steckt mehr Zuckerbrot als Peitsche. Es fehlt die ehrliche Analyse. Die Grünen etwa schreiben, ein CO2-Preis von 180 Euro würde zu „erheblichen sozialen Unwuchten führen“. Dabei hätten laut einer Studie für das Bundeswirtschaftsministerium selbst 180 Euro nicht ausgereicht, um das alte Klimaschutzziel von 55 Prozent Reduktion bis 2030 zu erreichen. Immerhin schlagen die Grünen 60 Euro für 2023 vor. Allerdings entsprechen bereits 55 Euro im Jahr 2025 der geltenden Gesetzeslage. Es ist unehrlich, den Menschen vorzugaukeln, mit den 60 Euro schlage man einen konsequenten Klimaschutzkurs ein.


Die Klimaforscherin kritisiert: „Die Parteien scheuen sich, die erforderliche CO2-Bepreisung durchzusetzen.“ Quelle: imago images/Jürgen Heinrich
Karen Pittel

Die Klimaforscherin kritisiert: „Die Parteien scheuen sich, die erforderliche CO2-Bepreisung durchzusetzen.“

(Foto: imago images/Jürgen Heinrich)

Wie kann man diese Kluft überwinden?
Die Parteien scheuen sich, die erforderliche CO2-Bepreisung durchzusetzen. Stattdessen suggerieren sie, man könne Deutschland mit hohem Milliardenaufwand bis zur Klimaneutralität fördern.

Was ist daran schlecht?
Es ist nicht effizient und damit viel zu teuer. Es fehlt das Vertrauen in die Lenkungswirkung des CO2-Preises. Natürlich wird man auch einzelne Schritte zur Klimaneutralität gezielt fördern müssen. Das ist Teil des Instrumentenmixes. Aber man darf es damit nicht übertreiben. Nehmen Sie die Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien über das EEG. Da hat man sehr lange sehr viel gefördert. Dem Ausbau der Erneuerbaren hat das enorm geholfen. Es wurde aber nicht in gleichem Maße unattraktiv, Strom mittels fossiler Energieträger zu produzieren.

Gibt es Bereiche, für die Sie Förderprogramme für den richtigen Weg halten?
Ja. Zum Beispiel beim Aufbau der Wasserstoff-Technologie. Hier sollten gezielt Märkte geschaffen werden. Das muss man mit öffentlichen Mitteln unterstützen.

Warum fehlt der Politik das Vertrauen in die Lenkungswirkung eines angemessen hohen CO2-Preises?
Grundsätzlich wirkt ein CO2-Preis weniger offensichtlich als beispielsweise Verbote. Dies spielt sicher nach wie vor eine Rolle. Ich denke aber auch, dass die Parteien sich nicht trauen, den Menschen gegenüber komplett ehrlich zu sein. Klimaschutz ist auch mit finanziellen Lasten verbunden. Dies gilt für CO2-Preise ebenso wie für Subventionen oder Verbote; die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist allerdings anders. Hier sollte mehr aufgeklärt werden, anstatt den CO2-Preis zu verwässern.

Parteiübergreifend wird der forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien zum vordringlichen Ziel erklärt. Wie belastbar sind die Aussagen in den Programmen?
Den Stein der Weisen hat niemand gefunden. Wie man höhere Ausbauziele nicht nur einfordern, sondern auch sicher erreichen kann, wird in keinem der Programme belastbar aufgezeigt. Ehrlich machen sollten sich die Parteien aber auch, wenn sie Ziele wie Klimaschutz und Naturschutz gleichzeitig verfolgen. Natürlich ist es absolut sinnvoll, den Ausbau von Windenergie „naturverträglich“ zu gestalten, wie von CDU/CSU und Grünen gefordert. Ohne Konkretisierung, was damit über bestehende Regeln hinaus gemeint ist, verunsichert dies Investoren aber weiter.

Die Parteien wollen die Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität unterstützen. Welche Instrumente empfehlen Sie?
Energieintensive Branchen, in denen massive und frühzeitige Investitionen notwendig sind, brauchen Signale, dass die Politik selbst daran glaubt, dass die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Beim derzeitigen Zögern aller Parteien kann man Zweifel daran nachvollziehen. Differenzverträge, wie sie ja auch in den Programmen der Parteien explizit erwähnt werden, erzeugen diese Signale.  

Auch der Grenzausgleich spielt in den Überlegungen der Parteien eine Rolle. Was halten Sie davon?
Bei einem CO2-Grenzausgleich sehe ich eine Reihe offener Fragen: Kann man das System ohne Riesenaufwand technisch umsetzen? Kann man den CO2-Gehalt vor Ort glaubhaft zertifizieren? Und was ist mit den Exporten aus der EU hinaus? Die EU plant aktuell mit einem CO2-Grenzausgleich bei Importen, der natürlich nicht den Exporteuren hilft. Wenn man aber Exporte entlasten wollte, würde dies nicht nur teuer, man weicht auch die Emissionsziele des Emissionshandels auf.

Was ist zu tun?
Extrem hilfreich wäre, wenn es Europa gelingt, mit anderen großen Emittenten, allen voran den USA und China, ein System zu etablieren, das einen Grenzausgleich unnötig macht. Dies reduziert auch die Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und hilft dem Klimaschutz. Ohne eine absehbare Einigung auf ein Hauptinstrument, wie beispielsweise einen einheitlichen CO2-Preis, bleibt dies allerdings schwierig.  

Gibt es Aspekte, die in den Wahlprogrammen komplett fehlen?
Die Internalisierung externer Kosten jenseits des Klimas in der Energiebesteuerung kommt leider viel zu kurz. Dabei ist es entscheidend, die Energiebesteuerung so zu reformieren, dass sich der Verbrauch von Ressourcen und die Belastung der Umwelt durch Schadstoffe tatsächlich realistisch in den Energiesteuern widerspiegeln. Doch dazu sagen die Parteien so gut wie nichts.

Frau Pittel, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Dieser Mittelständler zeigt, welche Probleme der CO2-Preis mit sich bringt.

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