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Wahlprogramme 2021 im Vergleich Wohnraum, Eigentum und Co.: Um diese fünf Baustellen muss sich der neue Bauminister kümmern

Die Wohnungspolitik dürfte für die künftige Bundesregierung zu einem zentralen Thema werden. Dabei reicht es nicht, sich wie in den vergangenen Jahren auf Mietenregulierungen zu fokussieren.
29.08.2021 - 04:03 Uhr 1 Kommentar
Bezahlbares Wohnen: In Ballungsräumen ist das Angebot weiterhin eng
Baustelle in Berlin

Bezahlbares Wohnen: In Ballungsräumen ist das Angebot weiterhin eng

Berlin Der Bundesbauminister ist mit sich im Reinen. „Solche Impulse hat in den letzten 40 Jahren, die ich überblicken kann, noch keine Regierung gesetzt“, erklärte Horst Seehofer ein gutes halbes Jahr vor den Bundestagswahlen. Alle zentralen Punkte, die die Koalition bei einem Wohngipfel 2018 vereinbart hatte, seien abgearbeitet worden.

Das sehen nicht alle so. Ökonomen und Branchenexperten bescheinigen dem 72-jährigen CSU-Politiker allenfalls eine durchwachsene wohnungs- und baupolitische Bilanz.

Jürgen Michael Schick, Präsident des Deutschen Immobilienverbands IVD, kritisiert: „Der Bauminister hat sich leider von einer Regulierungsagenda sondergleichen treiben lassen.“ Der Fokus von Union und SPD lag Schick zufolge auf Mieterschutz. „Mit dieser Eindimensionalität muss endlich Schluss sein. Deutschland hat inzwischen das schärfste Mietrecht weltweit.“

Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) sagt: „Punktuell hat die Koalition sicherlich richtig gehandelt.“ Das Thema habe in den vergangenen Jahren jedoch nicht ganz oben auf der Agenda gestanden.

Das sind die fünf wesentlichen Baustellen, um die sich eine neue Bundesregierung kümmern muss:

1. Mehr Wohnraum schaffen – und eine Befriedung der aufgeheizten Debatte

In den Ballungsräumen ist der Bedarf an neuen Wohnungen weiter hoch. Für 1,5 Millionen neue Wohnungen wollte die Regierung sorgen, 1,2 Millionen wurden geschafft. Immerhin gelang es mit steigenden Neubauzahlen, den Anstieg der Mieten zu verlangsamen.

IVD-Präsident Schick fordert denn auch eine Befriedung der aufgeheizten Diskussion. „Der gute, schutzbedürftige Mieter auf der einen Seite, der böse, raffgierige Vermieter auf der anderen – diese Konfrontation führt zu nichts und ist fernab der Realität.“

Zudem seien Erzählungen von Mietenexplosionen „schlicht falsch“. „Seit 2018 schwächt sich die Dynamik bei der Mietenentwicklung merklich ab“, so Schick. 2019 und 2020 stiegen die Mieten kaum mehr als die Inflation, selbst in Ballungsräumen. Um diesen Trend zu wahren, „hilft ein größeres Angebot, es helfen keine weiteren Preiseingriffe in den Markt, wie Grüne, SPD und Linke es vorschlagen“.

Auch die Wohnungswirtschaft drängt zur Versachlichung der Debatte, die durch Mietpreisbremse und Mietendeckel immer weiter angeheizt wurde. Bundesweit zahlten rund 11,5 Millionen und damit 60 Prozent aller Mieterhaushalte in Deutschland aktuell eine Nettokaltmiete von unter sieben Euro pro Quadratmeter, heißt es beim Spitzenverband der deutschen Wohnungswirtschaft GdW.

Selbst Berlin fällt nicht mit maßlosen Miethöhen auf. Zum Vergleich: Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die insgesamt über 330.000 Wohnungen verfügen, vermieten für durchschnittlich 6,29 Euro pro Monat und Quadratmeter.

Neuvertragsmieten lagen 2020 bei sieben Euro. Die Deutsche Wohnen, die mancher Berliner am liebsten enteignet sähe, erhebt in der Hauptstadt für ihre 110.000 Wohnungen eine Miete von durchschnittlich 7,09 Euro pro Monat und Quadratmeter. Die Neuvertragsmiete liegt bei 8,87 Euro. Das zweite häufig kritisierte private Immobilienunternehmen Vonovia mit 40.000 Wohnungen gibt die Werte mit 6,53 Euro und 7,61 Euro an.

Der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV) beobachtet seit Jahrzehnten eine kontinuierlich steigende Zahl an Menschen, die mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind. Ein Fünftel der Mieter in Deutschland empfindet seine Wohnkostenbelastung als zu hoch.

Auch dem Sozialwohnungsbau wäre durch mehr Neubau geholfen, sagt IVD-Präsident Schick. „In Ballungsräumen wie Berlin entstehen bei jedem Neubauprojekt 30 Prozent Wohnungen, die vergünstigt vermietet werden. „Und Menschen, für die auch diese Mieten zu hoch sind, muss der Staat über Wohngeld helfen.“

2. Für mehr Eigentum sorgen

IW-Ökonom Voigtländer sieht den Umgang der Koalition vor allem mit dem Thema Eigentumsbildung als enttäuschend an. „Union und SPD haben sich darauf beschränkt, das Baukindergeld einzuführen und die Wohnbauprämie leicht zu verbessern. Ansonsten ist nicht viel passiert.“

Die Bundesregierung habe weder eine Unterstützung in Form von staatlich garantierten Bürgschaftsdarlehen hinbekommen, damit mehr Menschen Zugang zu Wohneigentum bekommen, noch habe die Koalition nach Lösungen gesucht, Menschen bei der Grunderwerbsteuer zu entlasten, so Voigtländer. Hier gäbe es in den Wahlprogrammen durchaus Ansätze. „Mal schauen, ob dieses Mal geliefert wird.“

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In Deutschland gibt es rund 42 Millionen Wohnungen; Mietwohnungen sind mit einem Anteil von 53,5 Prozent bundesweit in der Überzahl. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für den IVD hatte indes jüngst ergeben, dass fast drei Viertel aller Mieter in Deutschland unabhängig von ihrer Parteipräferenz gern in einer eigenen Immobilie wohnen würden. „In den Wahlprogrammen von Grünen, SPD und Linken spielt die Förderung von Wohneigentum keine Rolle“, kritisiert IVD-Präsident Schick. „Stattdessen geht es eher um weitere Regulierungen, Enteignungen und Verbote.“

Die Umfrage hatte einen starken Wunsch nach staatlicher Förderung gezeigt, etwa durch einen Wegfall der Grunderwerbsteuer für Selbstnutzer, steuerliche Begünstigungen oder eine Wiedereinführung der Eigenheimzulage.

3. Die energetische Sanierung forcieren

2045 will Deutschland klimaneutral sein. Der Gebäudesektor steht für ein Drittel des Energieverbrauchs, seine Bedeutung ist immens. „Die energetische Sanierung wird viel Geld kosten, und zwar den Staat, Vermieter und auch Mieter“, sagt IVD-Präsident Schick. „Es ist an der Zeit, das mal so deutlich auszusprechen und nach Lösungen zu suchen, wie das sozial verträglich geschehen kann.“

Um im Gebäudebestand auch nur in die Nähe von Klimaneutralität zu kommen, sind enorme Anstrengungen nötig, etwa beim Austausch alter Öl- oder Gasheizungen, der Dämmung der Gebäudehülle oder dem Austausch der Fenster.

Viele Milliarden Euro sind in den vergangenen Jahren in die energetische Sanierung von Gebäuden und Wohnungen geflossen. Doch jede zweite Heizung in Deutschland ist technisch veraltet und unzureichend effizient. Zu diesem Ergebnis kam gerade der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) zusammen mit dem Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks (ZIV).

Einer, der einen Paradigmenwechsel fordert, ist der GdW-Präsident Axel Gedaschko. Er fordert: weg von immer teureren energetischen Sanierungen und immer mehr Dämmung, die häufig auch teuer für die Mieter seien, hin zu dezentraler, CO2-armer Energieerzeugung und besserer Gebäudetechnik.

Andere halten einen deutlich ambitionierteren CO2-Preis für einen wesentlichen Schlüssel für eine schnellere Energiewende im Gebäudebereich, kombiniert mit Förderprogrammen für energetische Sanierungen, etwa einen Heizungstausch. Auch eine Nachwuchs- und Qualifizierungsoffensive beim Handwerk müsse es geben. Kürzungen oder gar Streichungen der Modernisierungsumlage wären kontraproduktiv.

4. Bauvorschriften verringern

Deutschland ist ein Land langsamer Planungs- und Genehmigungsverfahren und ausufernder Bauvorschriften. Union und FDP wollen das ändern, kündigen eine Beschleunigung an und wollen Bauvorschriften verringern. „Es gilt, die 20.000 Baunormen deutlich zu entschlacken“, mahnt IVD-Präsident Schick. Keinesfalls dürften keine neue hinzukommen, auch nicht energetischer Art.

Auch GdW-Präsident Gedaschko verlangte jüngst „weniger teure Auflagen“, darüber hinaus mehr bezahlbares Bauland und mehr Anreize für bezahlbaren Wohnungsneubau.

Schick sagt: „Die FDP fordert, bei jeder neuen Maßnahme die Auswirkungen auf die Baukosten zu checken. Das würde vielleicht dazu führen, dass mal Abstand von Maßnahmen genommen wird, die in unserer Wohlstandswelt eine nette Bereicherung sind, aber nicht wirklich notwendig.“ Die derzeit stark steigenden Baukosten seien „ein Dilemma“. Politisch sei das aber kaum zu lösen. Auch den Fachkräftemangel werde man nicht mit einem Federstrich beseitigen können.

Zunehmend eine Rolle spielt in den Programmen der Parteien ein ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen. Hier könnten sich bei allen sonstigen Differenzen in der Wohnungspolitik Grüne und Union annähern. „Wir wollen das Bauen mit Holz und die Verwendung von Recyclingmaterial deutschlandweit stärker voranbringen“, heißt es bei der Union. Die Bauwirtschaft solle zu einer Kreislaufwirtschaft werden, die auf mehr heimischen Baustoffen wie Sand, Gips und Holz basiert und Recyclingmaterial in Bauteilen nutzt.

5. Klein- und Innenstädte klimaresilient und attraktiver machen

Mit der Corona-Pandemie und fortschreitendem Klimawandel muss die nächste Regierung die Frage angehen, wie Zentren vor Verödung bewahrt und Städte klimaresilient werden können. 

Zudem ist die Wohnungsmarktlage regional sehr unterschiedlich. Wachstumsstarken Regionen mit Wohnungsknappheiten stehen ländliche, periphere oder strukturschwache Regionen gegenüber, in denen Mieten und Preise stagnieren oder aufgrund von Bevölkerungsrückgang und Leerstand sinken.

Dabei „leben 70 Prozent der Deutschen in Klein- und Mittelstädten“, erinnert IVD-Präsident Schick. Den Fokus auf Regionen jenseits der Ballungsräume zu lenken sei denn auch „immens wichtig“.

Im weiteren Metropolenraum Berlins beispielweise liegt der Leerstand nach Angaben des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bei 10,9 Prozent – trotz vielerlei Abrissmaßnahmen. Besonders dramatisch sei die Lage in 15 Städten mit einer Leerstandsquote von über 15 Prozent. 

Hier wäre mehr Tempo beim Ausbau der Digital-, Verkehrs- und Sozialinfrastruktur notwendig, meint Schick. „Wie sollen die Leute in einer Gegend wohnen, wo es keinen Internetanschluss gibt und kaum noch Busse fahren?“ Die nächste Bundesregierung müsse sich um die Frage kümmern, wer die Infrastrukturkosten übernimmt, um weiter entfernt liegende Gemeinden besser an die Metropolen anzubinden.

Mehr: Von der Bildung bis zur Rente: Die Wahlprogramme im großen Vergleich

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1 Kommentar zu "Wahlprogramme 2021 im Vergleich: Wohnraum, Eigentum und Co.: Um diese fünf Baustellen muss sich der neue Bauminister kümmern"

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  • Auf den ersten Blick ein schöner Lobbybeitrag. Auf den zweiten Blick nicht mehr. Über die Positionen von IVD, IW und GdW wird ausführlich berichtet. In dem Artikel - im Mieterland Deutschland - findet sich allerdings das Wort "Mieterbund" überhaupt nicht. Solch eine Sorte Lobbyismus ist einfach zu plump, als dass man darauf hereinfallen könnte, da mag das Ganze auch als redaktioneller Beitrag getarnt sein.

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