Wahlprogramme im Check - Rente: Rentenniveau, Beitragssatz und Steuerzuschuss - das wollen die Parteien ändern
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Wahlprogramme im CheckSteuerzuschuss, Beitragssatz, Alter: An welchen Stellschrauben die Parteien bei der Rente drehen wollen
Die Rente ist kein Gewinnerthema im Wahlkampf, weil jede Reform Verlierer mit sich bringt. Doch dass es großen Reformbedarf gibt, bestreitet kaum jemand.
Berlin Als der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium Anfang Juni „schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025“ heraufbeschwor, reagierte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ungehalten: Das seien „alles Horrorszenarien, mit denen Rentenkürzungen begründet werden sollen“.
Die Alterssicherung ist kein Gewinnerthema im Wahlkampf, weil jede Reform Zumutungen bereithält: für Rentner, für Beitrags- und Steuerzahler, für die junge Generation. Doch dass es Reformbedarf gibt, bestreitet kaum jemand.
Nach dem Sozialbericht der Bundesregierung werden die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung von 344,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf 405,1 Milliarden Euro im Jahr 2025 steigen. Und wenn ab Mitte des Jahrzehnts die geburtenstarken „Babyboomer“-Jahrgänge sukzessive in den Ruhestand gehen, gerät die umlagefinanzierte Rente erheblich unter Druck.
Die Stellschrauben, mit denen sich gegensteuern lässt, sind bekannt: Rentenniveau und Beitragssatz, Steuerzuschuss, Renteneintrittsalter und ergänzende Vorsorge. Auch ein neues „Jobwunder“ oder die Verbreiterung der Beitragsbasis könnten helfen, die absehbaren Finanzierungsprobleme der Rentenkasse zumindest zu lindern.
Doch an welcher Schraube will welche Partei drehen? Ein Überblick.
„Jobwunder“
Frühere Horrorszenarien beispielsweise über eine Beitragsexplosion seien nie eingetreten, weil sich die Beschäftigung positiv entwickelt habe, sagte Kanzlerkandidat Scholz. Und auch SPD-Rentenexperte Ralf Kapschack betont: „Unsere erste Stellschraube ist der Arbeitsmarkt.“ Es gebe noch viele Möglichkeiten, das Erwerbspersonenpotenzial zu steigern, etwa durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren und Migranten.
Doch sind Grenzen gesetzt, weil beispielsweise Frauen mit Kindern nicht ohne Weiteres in Vollzeit wechseln können und von den 60- bis 64-Jährigen bereits knapp 62 Prozent erwerbstätig sind; zehn Jahre zuvor waren es nur gut 38 Prozent.
Ungeachtet dessen setzen wie die SPD auch die Grünen vor allem darauf, dass möglichst viele Menschen zu möglichst hohen Löhnen arbeiten – und damit auf das Prinzip Hoffnung. Den FDP-Sozialexperten Johannes Vogel überzeugt das nicht: „Allein auf einen brummenden Arbeitsmarkt zu hoffen ist eine Milchmädchenrechnung.“
Zwar seien Horrorprognosen in der Vergangenheit tatsächlich nicht eingetreten. „Aber wir waren auch in einer demografischen Pause, die endet, wenn die Babyboomer in diesem Jahrzehnt in den Ruhestand gehen“, betont Vogel.
Serie: Wahlcheck
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Um mehr Geld für die Rentenkasse zu mobilisieren, wollen SPD, Grüne und Linke neben Arbeitnehmern noch weitere Gruppen einzahlen lassen, beispielsweise Abgeordnete, Selbstständige oder Beamte. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte vor fünf Jahren in einem Gutachten für die Grünen gezeigt, dass sich durch die Einbeziehung von 2,3 Millionen Selbstständigen der Beitragssatz in der mittleren Frist der nächsten zwei Jahrzehnte um etwas weniger als einen Prozentpunkt senken ließe.
Eine kurzfristige Entlastungswirkung wäre also durchaus gegeben, aber natürlich entstehen langfristig auch neue Leistungsansprüche. Gert G. Wagner, bis 2020 Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung und Mitglied der Rentenkommission, hielte es für sinnvoll, Beamte einzuschließen.
Denn wenn die gesetzliche Rentenversicherung den Anspruch habe, alle Erwerbstätigen abzusichern, sei systematisch nicht zu rechtfertigen, dass sich bestimmte Gruppen aus der Pflichtversicherung verabschieden können. „Dass aber die lange Lebenserwartung der Beamten sie für die Rentenversicherung zu einem schlechten Geschäft macht, ist auch klar“, sagt Wagner.
Mit der Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung würde nur Zeit gekauft, schrieb kürzlich auch der Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI), Bert Rürup. „Der Preis wären mittelfristig höhere Personalausgaben der öffentlichen Arbeitgeber, langfristig ein im Vergleich zum Status quo höherer Rentenbeitrag sowie noch höhere Steuerzuschüsse.“
Rentenniveau, Beitragssatz und Steuerzuschuss
Ein sinkendes Rentenniveau, steigende Beiträge oder noch mehr Geld der Steuerzahler könnten die Rentenkasse entlasten. Noch bis 2025 ist das Niveau bei mindestens 48 Prozent und der Satz bei höchstens 20 Prozent gesetzlich festgeschrieben. SPD, Grüne und Linke wollen das Rentenniveau auch danach stabil halten oder sogar erhöhen. Und nach den Vorstellungen der Union soll ein Alterssicherungsbeirat Empfehlungen für die „Haltelinien“ über 2025 hinaus erarbeiten.
Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium rät allerdings in seinem Gutachten ausdrücklich davon ab, „in der politischen Diskussion die Illusion von langfristig gesicherten Haltelinien weiter aufrechtzuerhalten“.
Die Begründung liefern die Autoren um den Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, Axel Börsch-Supan, gleich mit: Soll das Rentenniveau dauerhaft bei 48 Prozent und der Beitragssatz bei 20 Prozent stabilisiert werden, müsste im Jahr 2045 schon deutlich mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Rentenkasse fließen.
„In der Rentenpolitik liegt ein großes Risiko darin, dass immer mehr Leistungen ausgereicht werden – häufig ohne angemessene Berücksichtigung von Beitragsleistungen oder Bedürftigkeit – und die Finanzierung auf den Bundeshaushalt verlagert wird“, warnt der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Es sei daher dringend notwendig, den steuerfinanzierten Zuschuss zur Rentenversicherung zu begrenzen.
Regelaltersgrenze
Die Menschen werden – erfreulicherweise – immer älter. Das führt aber zu immer längeren Rentenphasen. Dauerte sie für Männer vor der Jahrtausendwende durchschnittlich 13,6 Jahre, so waren es 2020 schon 18,5 Jahre.
„Das regelmäßige Renteneintrittsalter muss mit der wachsenden Lebenserwartung der Deutschen steigen, wenn die Belastung der aktiven Bevölkerung nicht zu groß und die Rentenhöhe nicht zu klein werden sollen“, fordert deshalb der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr.
Der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium hat in seinem Gutachten vorgeschlagen, die gewonnene Lebenszeit im Verhältnis zwei zu eins auf die Erwerbs- und die Ruhephase aufzuteilen. Eine drei Jahre höhere Lebenserwartung würde dann bedeuten: zwei Jahre länger arbeiten und ein Jahr länger Rente.
Folgt man diesem Prinzip, läge beim unterstellten Anstieg der Lebenserwartung das Renteneintrittsalter im Jahr 2040 bei 67,8 Jahren und 2050 bei 68,6 Jahren. Auch die Berater von Finanzminister Scholz führen in ihrer Expertise aus, dass sich durch eine regelgebundene Erhöhung des Rentenalters die Relation von Rentenempfängern und Beitragszahlern auf dem Niveau von 2035 stabilisieren ließe.
„Daher stellt sich die Frage, warum von Seiten der Politik – nahezu quer durch das politische Spektrum – eine solche Regelbindung abgelehnt wird und sogar die bereits beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre partiell zurückgenommen wurde“, schrieben sie in ihrem Gutachten.
Doch kurzfristig hilft das alles nicht. Neue, kapitalgedeckte Rentenformen würden eine Entlastung „erst mit einer erheblichen Zeitverzögerung bewirken“, sodass sie den Reformbedarf innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung „mittelfristig nicht beseitigen dürften“, schrieb der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium.
Rentenexperte Börsch-Supan sagt, mehr Kapitaldeckung könne langfristig helfen, aber für die Alterssicherung der Babyboomer komme sie zu spät. „Wir sollten lieber zunächst die Riesterrente reformieren und die Betriebsrenten stärken und in 15 Jahren wieder darüber diskutieren, ob eine grundlegende Umstellung der Rente auf deutlich mehr Kapitaldeckung sinnvoll ist.“
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Wenn man sich maßgeblich an Lobbyisten der Versicherungswirtschaft orientiert, kommt so etwas heraus.