Porträt Armin Laschet Niedergang der Union: Der besondere Stil des „Volksparteilers“ Laschet

Der Spitzenkandidat der Union muss die Wahlniederlage erklären – und trotzdem um die Macht ringen.
Berlin Im Januar gab sich Armin Laschet noch zuversichtlich: „Wir liegen derzeit bei 35 Prozent plus X. Wenn wir Kurs halten, können wir das Ergebnis auch bei der nächsten Bundestagswahl erreichen“, sagte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen im Interview mit dem Handelsblatt. Es war nur noch wenige Tage, bis er zum neuen Vorsitzenden der CDU gewählt werden sollte. Mit der Bergarbeiter-Medaille seines Vaters in der Hand hatte er eine großartige Rede gehalten und sich so gegen Friedrich Merz und Norbert Röttgen durchgesetzt.
An diesem Sonntag könnte Laschet allenfalls eine Medaille für die erfolgreiche Teilnahme erhalten wie die vielen Läufer, die nach dem Berlin-Marathon rund um den Tiergarten nach Hause gehen, die Startnummer auf der Brust und die Medaille um den Hals.
Am Wahlabend dann sind es nach den Hochrechnungen sogar weniger als 25 Prozent, wahrscheinlich verliert er auch gegen Scholz. Es ist ein nie da gewesener Niedergang der Unionsfamilie, die sich noch im Frühjahr rühmte, die letzte verbliebene Volkspartei und damit die ewige Nummer eins im Land zu sein.
Laschet will Kanzler „für alle“ werden
„Mit dem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein“, räumt Laschet ein. „Brutal“, sei das Ergebnis, heißt es im Bundesvorstand. Kein Wunder, dass sich Laschet Zeit lässt, bis er am Wahlabend auf die Bühne des Foyers im Konrad-Adenauer-Haus tritt. An der Rückwand prangte das Plakat, das auch draußen an der Hauswand überdimensioniert hängt: Die großen Köpfe der Union: Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel – und Laschet. Er sollte für die nächste Ära stehen. Nun liegt die Union bei der ersten Hochrechnung sogar hinter der SPD.
Bereits im Sommer sanken die Umfragewerte und mit ihnen die Erwartungen: „Der Anspruch der Union muss es sein, mindestens bei 30 Prozent zu liegen“, erklärte Parteifreund Daniel Günther, Landesvater in Schleswig-Holstein. Die Partei werde ihren „eigenen Ansprüchen derzeit nicht gerecht“, stellt er ernüchtert fest.
Und kurz vor der Wahl mahnte CSU-Chef Markus Söder: „Die Goldmedaille bekommt, wer Erster ist“, und erteilte damit jeder Diskussion eine Absage, ein zweitplatzierter Laschet könne Koalitionsverhandlungen führen. Lieber Opposition als eine Regierung unter Führung einer schwachen Union, dachte sich der bayerische Ministerpräsident, der auch an seine Wahl im Jahr 2023 denken muss.
Doch am Abend ist die Strategie schon längst eine andere: Sollte es Blech sein, so könnte es doch noch Gold werden. Verhandlungen mit der FDP und den Grünen sind in greifbarer Nähe, auch CSU-Chef Markus Söder würde dies unterstützen. „Wir können nicht ablehnen, wenn die Möglichkeit einer Regierungsbildung besteht“, heißt es im CSU-Präsidium. Und auch CSU-General Markus Blume geht an diesem Abend mit der Botschaft nach 18 Uhr in die Öffentlichkeit.
Er sollte die Partei versöhnen und in die Nach-Merkel-Ära führen
Laschet wird von vielen als letzter Versuch begriffen, die tief gespaltene Partei doch wieder zu einen und somit zu alter Stärke zu führen. Die zerstrittenen Flügel nach 16 Jahren unter Angela Merkel – er sollte es richten: Laschet, Kind der Krönungs- und Reichsstadt Aachen im Herzen Europas mit Sinn für Humor im Allgemeinen und Karneval im Speziellen. Seit Januar ist er Bundesvorsitzender der CDU, wurde erst nach einem quälenden Machtkampf mit Söder Kanzlerkandidat und erlebte einen Wahlkampf des Abstiegs und der Attacken, die vor allem aus den sozialen Medien kamen und ihm das Image des Losers gaben – aber ebenso aus den eigenen Reihen, allen voran aus der CSU.
Andere hingegen werfen dem Vater von drei Kindern vor, dass er nicht führe, obwohl gerade jetzt Führung das Wichtigste sei.
Kooperativer Führungsstil – oder führungsschwach?
Seit 2017 regiert er als Ministerpräsident das bevölkerungsreichste Bundesland, dessen erster Integrationsminister er war. Er gewann damals hauchdünn, regiert seither mit der FDP mit einer Mehrheit von einer Stimme. Als Regierungschef von Nordrhein-Westfalen hat der 60-Jährige gezeigt, wie er Volkspartei lebt: An seinem Kabinettstisch sitzen nicht nur der Chef des Arbeitnehmerflügels, sondern auch der Chef des Wirtschaftsflügels. Laschet lässt allen ihren Raum und gönnt ihnen auch ihre Erfolge – im Übrigen auch dem kleinen Koalitionspartner. „In der politischen Auseinandersetzung ist er in der Lage, die unterschiedlichen Standpunkte zusammenzubringen und die Dinge nach vorn zu entwickeln“, lobt FDP-Minister Pinkwart seinen Chef. „Kategorien wie Gewinner oder Verlierer sind nicht sein Thema.“ Die einen nennen so etwas kooperatives Führen, andere Führungslosigkeit.
„Er repräsentiert die Partei in der ganzen Breite“, sagen Wegbegleiter, die mit ihm schon am Kabinettstisch von Jürgen Rüttgers saßen. Unternehmer würden sagen, Laschet sei „wirtschaftsfreundlich“, Kirchenvertreter würden sagen, er sei „ein guter Katholik und im besten Wortsinn konservativ“, Gewerkschafter sähen in ihm einen „christlich Sozialen“. Sein Freund, der Grüne Cem Özdemir, sagt: „Er ist Volksparteiler durch und durch.“
Nach einem ähnlichen Muster geht Laschet die Probleme an: als rheinischer Kapitalist, dem die Sozialpartnerschaft etwas bedeutet. Wer Armin Laschet dahingehend verstehen will, der muss einen Blick auf Thyssen-Krupp werfen. Der Sohn eines Bergarbeiters weiß, welche Rolle die Stahlindustrie für sein Bundesland Nordrhein-Westfalen spielt, das sie nicht nur 50.000 Arbeitsplätze sichert, sondern auch mit jeder produzierten Tonne Stahl 1,7 Tonnen Kohlendioxid in die Luft pustet. 2045 sollen es nur noch 0,0 Tonnen sein – CO2, nicht Stahl.
Die Frage nach der Zukunft der Stahlproduktion in Deutschland hält Armin Laschet für die Schlüsselfrage schlechthin. Seine Antwort darauf offenbart, was die Deutschen von ihm zu erwarten haben, sollte er tatsächlich der sechste Kanzler der Union und der neunte der Bundesrepublik Deutschland werden.
Und er deutet es auch an diesem Wahlabend an, als er auf der Bühne steht, im Wissen um die erste Hochrechnung. Von einer „Zukunftskoalition“ redet er, wieder von seinem Plan für weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung und Klimaschutz. „Dafür werde ich ab heute arbeiten“, kündigt er an. Und er ist gleich zu Zugeständnissen bereit, ganz der Volksparteiler. „Jeder Partner muss sich mit seinen Schwerpunkten wiederfinden. Bundeskanzler wird der, dem es gelingt, Gegensätze zu verbinden.“ Und: „Dieser Bundeskanzler muss ein Projekt entwickeln, das länger trägt als ein paar Wochen.“ Er müsse für alle da sein, die in Deutschland leben. „Zu dieser Aufgabe bin ich bereit“, sagt Laschet.
Gefragt nach seiner „großen politischen Idee“, nennt der Rheinländer die Soziale Marktwirtschaft, „ergänzt um das Ökologische“, und setzt hinzu: „Auch die künftigen Generationen im Blick haben, Klimaschutzziele erreichen, trotzdem Arbeitsplätze und Industrie sichern.“ Für ihn ist es „eine Riesenaufgabe, eine Riesenidee, die in dieser Form zusammengeführt nur die CDU vertritt“. Er will die industrielle Basis erhalten und setzt dazu auf Hightech. In der Stahlindustrie sieht er „gigantische Chancen bei der Wasserstofftechnologie“. Das alles klingt für viele vage und nicht visionär, weshalb sie ihm vorwerfen, zu wenig fürs Klima tun zu wollen.
Wenn Laschet redet, spricht da aber eben kein Revolutionär, sondern ein Evolutionär von jenem Typus, wie ihn die CDU in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahrzehnten zuverlässig hervorbringt, ganz gleich, ob die Protagonisten Norbert Blüm heißen oder Jürgen Rüttgers: weder Turbokapitalismus noch Staatswirtschaft lautet das Motto der rheinischen Kapitalisten.
Jene Denkschule, die wirtschaftliche und soziale Interessen und nun auch ökologische auszugleichen versucht, statt sie gegeneinanderzustellen, setzt aktuell kaum ein Politiker so konsequent um wie Laschet. Allenfalls Winfried Kretschmann lebt das Prinzip gegen alle Widerstände seiner Bundes-Grünen in Baden-Württemberg und regiert dafür mit dem Ergebnis einer Volkspartei: 32,6 Prozent erhielten die Grünen bei der Landtagswahl Mitte März.
Mit diesem Ergebnis wäre Laschet mit Sicherheit der nächste CDU-Bundeskanzler nach Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Helmut Kohl und Angela Merkel geworden. Doch von Werten jenseits der 30 Prozent musste er sich bereits im Sommer verabschieden.
Macht und Menschlichkeit – geht das gut?
Wer näher mit Laschet zusammenarbeitet, der lobt ihn mit dem Tenor des Titels, den ihm auch seine Biografen verliehen haben: der „Machtmenschliche“. „Er ist bei aller Härte des Geschäfts selbst in schwierigen Situationen sehr verbindlich im Umgang“, sagt der Liberale Pinkwart. Laschets Freund Özdemir sagt über ihn: „Bei aller Geselligkeit und Freundlichkeit – er weiß, wie das politische Geschäft funktioniert und dass man die Dinge im richtigen Moment an sich ziehen muss.“
Was sympathisch ist, wird ihm im Wahlkampf zum Verhängnis: Er lacht versehentlich für alle gut sichtbar im Hochwassergebiet. Laschet steht im Hintergrund, weit hinter Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und doch nah genug im Blickfeld der Kameras. Steinmeier redet zu den von der Zerstörung schockierten Erftstädtern, Laschet hört ihn nicht. Aber in Zeiten der sozialen Medien kommt es nicht auf Details oder Wahrheit an, sondern auf Wirkung. „Blöd“ sei es gewesen, entschuldigte sich Laschet später.
Seither kämpft er gegen das Image des Unglaubwürdigen. Mal ist es eine Currywurst, dann ein Eis oder ein Auftritt bei Elon Musk in dessen Tesla-Europazentrale Grünheide. Musk lacht neben ihm. Nicht über Laschet, aber was spielen Fakten im Zeitalter der Fake News schon noch für eine Rolle. Ohnehin bestand der Wahlkampf aus vielen Pannen, angefangen damit, dass der Parteichef und Kanzlerkandidat erst sehr spät feststand.
„Das ganze Jahr 2020 waren wir mit dem Corona-Krisenmanagement beschäftigt, dann hatten wir die internen Wahlen, dann kam die Flut.“ Laschet wäre gern früher Kanzlerkandidat von CDU und CSU geworden. „Natürlich wäre das schöner gewesen.“ Für ihn waren es „in der Tat bewegte Monate, viele externe Einflüsse auch“. Ohne die Corona-Pandemie hätte der Parteivorsitzende bereits ein Jahr vorher festgestanden, wäre die Kampagne besser gelaufen.
Laschet ist offen für Neues
Dann wäre vielleicht auch sichtbar geworden, wofür er steht: Etwa ist er durchaus offen für Neues, auch wenn ihn Grünen-Herausforderin Annalena Baerbock im Wahlkampf immer wieder alt aussehen lassen wollte. Wenn er etwa wie im Falle der Stahlindustrie vom grünen Wasserstoff redet, dann blitzt in ihm das Progressive auf, das ihn in der Vergangenheit bereits begleitet hat: Der Schüler Laschet soll in seiner Abiturrede dafür geworben haben, sein katholisches Gymnasium für Mädchen zu öffnen.
Als „Tatort“-Fan spielte Laschet nicht nur aus Liebe in der ARD-Kultserie mit. „Es sollte ein innovatives Projekt sein“, erinnert er sich. Mehrere Kommissare in einem „Tatort“, ohne Drehbuch, 90 Minuten improvisiert und ein Ministerpräsident, der moderierend mahnt, den Fall zu lösen. So etwas gefällt ihm. Der Landeschef schuf auch als Erster ein Digitalministerium, um die Dauerbaustelle vieler Regierungen endlich zu schließen und die Verwaltung ins 21. Jahrhundert zu führen.
Der noch junge Bundestagsabgeordnete Laschet erwärmte sich 1994 bereits für die Grünen, als viele sie noch als Radikale beschimpften. Laschet erkannte das Progressive in ihnen und wollte die Zeit nach Helmut Kohl denken. Bereits als 24-Jähriger, frisch verheiratet, sei Laschet in der Lage gewesen, die Strömungen zu vereinen, kümmerte sich etwa um neue Wege in der Entwicklungspolitik, wie sich Wegbegleiter erinnern.
Auch Cem Özdemir hat ihn so erlebt. „Wir waren eine Art Thinktank“, erinnert sich der Grüne an die Zeit der „Pizza-Connection“, jenes schwarz-grünen Schnupperkurses, der in Bonn regelmäßig im italienischen Restaurant Sassella tagte. Und doch weiß auch Özdemir, dass Laschet deswegen noch kein Grüner ist: „In der Industriepolitik kann man jetzt nicht sagen, dass er ein Öko ist. Wenn Armin kann, dann regiert er mit der FDP.“
So wie in Nordrhein-Westfalen, wo er mit seinem Freund Christian Lindner geräuschlos das Land führt. Und im Bund? Das Wahlergebnis macht es am Abend möglich – wenn auch nicht mit seinem Freund Lindner allein, dafür aber zusammen mit seinem Freund Özdemir und den Grünen. Für Rot-Rot-Grün jedenfalls reicht es nicht. Es ist der kleine Erfolg, der Laschet am Wahlabend das Überleben sichert und der die offizielle Sprachregelung der Partei wird.
Seine Tage als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen sind so oder so gezählt. Die Regierung mit der FDP dürfte schon in wenigen Tagen ein anderer übernehmen: Hendrik Wüst, Chef des Wirtschaftsflügels und Verkehrsminister unter Laschet ist als Nachfolger auserkoren.
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