Reaktionen zur Bundestagswahl Wirtschaftsverbände fordern rasch Klarheit über Regierungskoalition

Die Wirtschaft fordert rasch Klarheit über die künftige Regierungskoalition.
Berlin Aus Sicht der Wirtschaft ist die größte Gefahr gebannt, weil ein rot-rot-grünes Bündnis nicht zur Debatte steht. Doch das Ergebnis der Bundestagswahl ist für viele Unternehmer noch kein Grund zur Entwarnung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) appelliert an die Parteien, möglichst rasch für Klarheit zu sorgen.
„Angesichts des unklaren Wahlausgangs erwartet die deutsche Industrie jetzt von allen Parteien maximale Verantwortung und Anpacken der Prioritäten statt taktischer Manöver. Deshalb muss die Bereitschaft zu wegweisenden Entscheidungen zugunsten unseres Standorts das Leitprinzip für jede Koalitionsverhandlung sein, um den Stillstand zu überwinden“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Montag.
Klimaschutz, digitaler Wandel und geopolitische Krisen stellten enorme Herausforderungen dar. „Um diese zu bewältigen, braucht es konkrete Antworten wie den Start einer Verwaltungsreform, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und ein Wachstumsprogramm 2030“, so Russwurm. Ein Bekenntnis zum Industrie-, Export- und Innovationsland Deutschland sei „ohne Alternative für jede denkbare Koalition“, ergänzte er.
Zwei Koalitionsvarianten werden derzeit große Chancen eingeräumt: einer Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sowie einem Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP. In beiden Fällen spielen Grüne und FDP eine Schlüsselrolle. Bereits am Wahlabend zeichnete sich ab, dass sich die beiden Parteien abstimmen wollen, um dann mit einem dritten Bündnispartner, also der SPD oder der Union, zu sprechen.
Mehrere Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker von SPD, Union, Grünen und FDP hatten bereits am Sonntag angedeutet, ihnen sei an einer schnellen Regierungsbildung gelegen. So hatte etwa SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gesagt, er werde alles dafür tun, dass vor Weihnachten eine neue Koalition stehe.
Für einige Industriebranchen steht viel auf dem Spiel
Auch die Elektroindustrie pocht darauf, rasch Klarheit zu schaffen. „Auch wenn eine Regierungsbildung erst einmal komplex erscheint, muss jetzt schnell eine handlungsstarke Koalition zusammenfinden. Eine Hängepartie wäre der denkbar schlechteste Start in die neue Legislatur“, sagte Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI).
Deutschland brauche eine Aufbruchsstimmung, vor allem bei Klimaschutz und Innovationen durch Elektrifizierung und Digitalisierung. „Nur mit Tempo und Mut lassen sich die vor uns liegenden Herausforderungen annehmen. Hierfür ist eine starke Industrie wichtig“, sagte Weber. Der ZVEI repräsentiert Unternehmen mit 180 Milliarden Euro Jahresumsatz und rund 873.000 Beschäftigten.
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Für einige Industriebranchen, etwa Chemie oder Stahl, steht viel auf dem Spiel. Die Frage, wie sich ein künftiges Regierungsbündnis in Fragen des Klimaschutzes und der Energiepolitik positioniert, ist für manche Unternehmen von existenzieller Bedeutung.
Beim Verband der Chemischen Industrie (VCI) hieß es, die künftige Regierung müsse in den ersten hundert Tagen konkrete Weichen für eine industriepolitische Erneuerung Deutschlands stellen. „Die aktuellen Probleme warten nicht auf eine neue Regierung. Daher braucht Deutschland schnellstmöglich politische Handlungsfähigkeit“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Nur ein zügiger Aufbruch schaffe den nötigen Rückenwind, um Herausforderungen wie den Klimawandel anzugehen. „Mit und nicht gegen die Industrie ist hier das Erfolgsrezept. Wir stehen bereit“, sagte Große Entrup.
Auf mehreren Politikfeldern gilt es aus Sicht des VCI, mit Beginn der Legislaturperiode unmittelbar tätig zu werden. Dazu gehören vor allem Stromkosten, Forschungsförderung, Bürokratieabbau, Genehmigungsverfahren und Unternehmensteuern. Der VCI vertritt die Interessen von 1700 Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche, die 190 Milliarden Euro umsetzen und 464.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.
Die Stahlindustrie mahnte, Deutschland müsse sich "dringend mit starker Stimme in Brüssel einbringen, damit ein Green Deal ohne Verluste der industriellen Wertschöpfung möglich wird". Mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen könne die Stahlindustrie in Deutschland einen entscheidenden Beitrag zum Erreichen der klimapolitischen Ziele leisten. "Die ersten 100 Tage sollte eine neue Bundesregierung daher bereits nutzen, um die Weichen für die Dekarbonisierung der Produktion zu stellen. Eine Industriepolitik, die Investitionsrisiken für CO2-arme Technologien absichert, Anreize für die Verwendung von grünen Grundstoffen wie Stahl schafft und sich zugleich eine wettbewerbsfähige Versorgung mit Erneuerbaren Energien und Wasserstoff zur Aufgabe macht, ist der Schlüssel für einen klimaneutralen Industriestandort Deutschland“, hieß es bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl.
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