Sondierungsgespräche FDP und Grüne haben sich überraschend schon zu Gesprächen getroffen – Wo es bei den Verhandlungen schwierig wird

Dieses Foto haben Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck nach den ersten Gesprächen auf Instagram veröffentlicht.
Berlin Erst der Wahlsieger, dann der Rest. Die Reihenfolge bei Sondierungsgesprächen stand wie ein ungeschriebenes Gesetz über Jahrzehnte fest. Die Partei, für die das Kanzleramt am aussichtsreichsten ist, lädt ein. Doch diesmal ist alles anders. Mit Grünen und FDP starten die Dritt- und Viertplatzierten der Bundestagswahl in Gespräche.
Bislang hieß es, dass die Vertreter sich an diesem Mittwoch zusammensetzen würden, tatsächlich haben die Gespräche der Parteispitzen bereits begonnen. An einem ersten Treffen für sogenannte Vorsondierungen waren am Dienstag für die Christian Lindner und Volker Wissing für die FDP beteiligt, für die Grünen die beiden Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock.
Ein Bild auf den Instagram-Accounts der Beteiligten zeigte die vier Spitzenpolitiker bei dem Treffen. „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten“, hieß es dazu.
Ziel ist es zunächst, Vertrauen aufzubauen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden, sagte der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Dienstag in Berlin. FDP-Chef Lindner wirbt seit dem Wahlabend für dieses Vorgehen. Es sei sinnvoll, „dass diese beiden Parteien zuerst miteinander das Gespräch suchen, um zu prüfen, ob daraus bei allen Unterschieden ein fortschrittliches Zentrum einer neuen Koalition werden könnte“.
Erinnerungen an die schwierigen Jamaika-Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl 2017 werden wach, die die Liberalen schlussendlich verließen. Das wollen sowohl Grüne als auch FDP dieses Mal unbedingt verhindern – und deswegen schon vor den Gesprächen mit Union und SPD Gegensätze ausräumen, Schnittmengen identifizieren und so gemeinsame Positionen erarbeiten.
Dafür sollen zügig die Unterhändler der einzelnen Fachthemen für Verhandlungen zusammenkommen. Offen ist dabei noch, wer teilnimmt, welche Themen im Fokus stehen und wie lange die Gespräche dauern werden. Klar ist nur: Es gibt einiges zu besprechen. „Zwischen Grünen und FDP gibt es extreme Unterschiede – insbesondere in der Wirtschaftspolitik“, sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW).
Klimaschutz
Schon vor der Wahl zeigte sich, dass beim Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft Grüne und FDP zumindest ein ideologischer Graben trennt. Als Baerbock in einem TV-Triell von Verboten als Innovationstreiber sprach, dürfte der gemeine FDPler vor dem Fernseher hochgeschreckt sein. Für die Liberalen ist klar: Für mehr Klimaschutz muss der Staat zwar mehr eingreifen – aber mithilfe des CO2-Zertifikatehandels durch einen marktwirtschaftlichen Mechanismus.
Die Grünen hingegen setzen auch auf den Zertifikatehandel, vor allem aber auf Subventionen und Verbote. Auf den Autobahnen soll ein Tempolimit gelten, für Dächer müsse es eine Solarpflicht geben. Wie sollen diese Extrempositionen überbrückt werden?
IfW-Präsident Felbermayr hält ausgerechnet die Grünen für den flexiblen Akteur bei ihrem Kernthema. „Beim Klimaschutz traue ich den Grünen zu, dass sie mit marktwirtschaftlichen Mechanismen zufriedenzustellen sind“, sagt er. Natürlich favorisiere die Partei eine Verbotspolitik. „Aber die CO2-Bepreisung ist letztendlich das stärkste Verbot: Wer kein Zertifikat hat, darf nichts ausstoßen“, meint Felbermayr.
Robert Habeck: „Die Frage, wer Vizekanzler wird, ist völlig irrelevant“
Für weniger Konfliktpotenzial unter den potenziellen Partnern dürfte die Forderung der Grünen sorgen, den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Die FDP will den Kompromiss der Kohlekommission zwar eigentlich nicht wieder aufschnüren. Aber es gilt als wahrscheinlich, dass sich das mit der Kohle auch ohne den Gesetzgeber schon 2030 erledigt hat.
Das ergibt sich schon aus den Zielen des Klimaschutzgesetzes, außerdem machen es die CO2-Preise für die Betreiber ohnehin unattraktiv, länger am Netz zu bleiben. Ein früherer Ausstieg würde sich für die FDP also einigermaßen gut kommunizieren lassen, getreu dem Motto ‚der Markt hätte es auch so gewollt‘.
Seltene Einigkeit herrscht zwischen den Parteien darüber, dass es eine Wasserstoffstrategie brauche. Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, sieht das als Möglichkeit für Kompromisse auch in anderen Bereichen: „Wo sinnvoll und speicherfähig, können auch Bauvorgaben wie ein Photovoltaik-Dach Teil einer Wasserstoffstrategie sein.“
Schuldenbremse
Ähnlich wichtig wie die Debatte um die Klimamaßnahmen dürfte die Frage sein, wie sie finanziert werden sollen und was das für die Schuldenbremse bedeutet. Grüne und FDP sind sich einig, dass es Investitionen für die grüne Transformation braucht – nur über den Weg dorthin nicht. Die Grünen wollen in die Schuldenbremse eine Investitionsregel verankern. Die FDP will das Konzept hingegen nicht antasten. Parteichef Lindner hat stattdessen ein Instrument für Investitionen neben der Schuldenbremse ins Spiel gebracht.
Das könnte man den Grünen aber schmackhaft machen. Denn ihre Idee dürfte ohnehin nicht durchsetzbar sein. Die Schuldenbremse ist verfassungsmäßig verankert, eine Änderung braucht im Bundestag also eine Zweidrittelmehrheit. Die ist aber in weiter Ferne.
Also ein Instrument außerhalb der Schuldenbremse: Ein Konzept dafür liegt auf dem Tisch und hört auf den Namen Sondervermögen. Dabei kann der Bundestag mit einfacher Mehrheit für bestimmte Bereiche Investitionen auf den Weg bringen, die nicht auf die Rechnung der Schuldenbremse einzahlen.
Die Crux: Das Schaffen von Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse ist an strenge Regularien geknüpft. So gibt es bereits das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ – das allerdings unter die Schuldenbremse fällt. „Bei einer anderen Gestaltung müssten Schuldenbremsen-Befürworter schon eine Kröte schlucken“, sagt der Ökonom Jens Boysen-Hogrefe. Die Einigungslinie für Grün-Gelb müsste also lauten: Die FDP darf die Schuldenbremse behalten, muss sie allerdings grün einschränken.
Eng damit verbunden ist die Debatte um ein weiteres Kernthema der FDP: Steuersenkungen. Allerdings scheint ein Kompromiss in Sicht. Lindner hat bereits angedeutet, dass auch ein Programm für schnellere Abschreibungen als Vehikel für Entlastungen annehmbar sein könnte.
Mieten und Bauen
In der Wohnungs- und Baupolitik überwiegen die Differenzen zwischen Grünen und FDP deutlich. Vor allem in der Mietenpolitik gibt es große Unterschiede. Während die Grünen gern weitere Mietenregulierungen durchsetzen würden, wollen die Liberalen davon nichts wissen.
Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch: Beide Parteien wollen die Digitalisierung in den Behörden vorantreiben, um Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und Bauvorhaben schneller auf den Weg bringen zu können. Die Branche beklagt sich seit Langem darüber, dass Genehmigungen zu lang dauern und zu bürokratisch sind.
Beide Parteien treten zudem für mehr Wohneigentum ein und wollen den Kauf von Wohnraum erleichtern. So plädieren die Grünen etwa für eine niedrigere Grunderwerbsteuer für Privatpersonen. Die FDP wird bereits konkreter: Sie will bei der Grunderwerbsteuer einen Freibetrag von bis zu 500.000 Euro für natürliche Personen einführen. Dieser Freibetrag soll wiederauffüllbar sein, damit er bei einem Verkauf für einen neuen Erwerb wieder zur Verfügung steht.
Gesundheit/Pflege
Grüne und FDP haben viele Schnittmengen, aber auch teils völlig gegensätzliche gesundheitspolitische Forderungen, die eine Einigung erschweren dürften. Die größte Hürde ist die Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Einig sind sich beide Parteien zumindest darin, dass die neue Regierung nicht drum herumkommen wird, die Finanzierung des Gesundheitswesens zu reformieren. Der Weg dahin unterscheidet sich aber.
Während die Grünen die Systemfrage stellen und auf lange Sicht eine Bürgerversicherung umsetzen wollen, bauen die Liberalen weiterhin auf die gesetzliche und private Krankenversicherung. Sie fordern mehr Wettbewerb zwischen den Kassen und wollen den Wechsel zwischen ihnen erleichtern.
Um die Pflegeversicherung zu stärken, fordert die FDP ein Drei-Säulen-Modell aus betrieblicher und privater Vorsorge sowie den bestehenden Umlageverfahren. Die Grünen wollen hingegen auch hier alle Versicherten in eine Bürgerversicherung einzahlen lassen.
Unionsfraktion will Jamaika-Sondierung aktiv anbieten
Denkbar ist, dass die Unterhändler vor allem den Punkt Bürgerversicherung bis zu den Verhandlungen mit SPD und Union ausklammern. Die SPD ist dafür, die Union dagegen. Denkbar ist auch, dass Grüne und FDP ihren Konflikt zugunsten einer anderen Forderung aufgeben – die Bürgerversicherung werde nicht „kriegsentscheidend“ sein, heißt es. Stattdessen könnte man sich auf kurzfristigere Maßnahmen einigen, etwa einen erhöhten Steuerzuschuss für die gesetzlichen Krankenversicherungen.
Denn neben den Gegensätzen finden sich bei Grünen und den Liberalen viele Schnittmengen, die auf die von beiden Seiten als übergreifende Klammer geforderte „große Erzählung“ einzahlen würden. Beide eint das Ziel, die ambulante und stationäre Versorgung grundsätzlich zu modernisieren. Das teils schlechte medizinische Angebot in ländlichen Regionen und ein Missverhältnis der Zahl der Krankenhäuser und deren Qualität sind nur einige Probleme, die beide Parteien angehen wollen.
Sowohl Grüne als auch FDP kritisieren in ihren Wahlprogrammen die Krankennaus-Fallpauschale, die Fehlanreize setze. Die Grünen wollen Krankenhäuser stärker nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag durch eine Vorhaltepauschale für bestimmte Einrichtungen wie eine Notfallambulanz oder eine Geburtsstation finanzieren. Die FDP hingegen fordert, bei der Vergütung stärker die Qualität miteinzubeziehen.
Überschneidungen gibt es auch beim Punkt Digitalisierung, die beide Parteien stärker vorantreiben wollen.
FDP und Grüne wollen etwa mit Robotik und Telemedizin den Pflegeberuf attraktiver machen und die elektronische Patientenakte weiter ausbauen. Beide Parteien wären sich auch schnell in der Drogenpolitik einig, insbesondere bei der Legalisierung von Cannabis. Ein Randthema zwar, das allerdings große Signalwirkung haben könnte.
Ein grün-gelbes Bündnis verbindet auch die gemeinsame Forderung, die epidemische Notlage sofort aufzuheben - und, den Arzneimittelstandort Deutschland zu stärken. Insgesamt überwiegen die Schnittmengen, wodurch die Gesundheits- und Pflegepolitik zu einem wichtigen Anker eines grün-gelben Bündnisses werden könnte.
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Es wäre schon einiges gewonnen, wenn endlich alle klimaschädlichen Subventionen abgeschaft würden. Das sollte der FDP doch eigentlich auch gefallen.
Der Ausgang der Bundestagswahl hat eindeutig gezeigt, dass es der Mehrheit der Deutschen immer noch viel zu gut geht. Das wird sich nun demnächst dramatisch ändern.
Was gibt es also praktisch zu tun, statt nur nichtssagende Kommentare zu schreiben??
Schauen, dass man in den nächsten Jahren nicht selber mit unter die Räder kommt.
Inbvestitionen ausschließlich im Ausland und außerhalb der Eurozone.
Wer die Nerven zum Zocken hat: konsequent den Euro shorten. Ich selbst bin nun mit ca. 40% meines Spekulationskapitals Euro short; sollten die GrünInnen an der Regierung beteiligt werden, gehts hoch auf 80-90% - und zwar mit einem noch größeren Hebel.
Helme auf und durch die Sch...e durch oder mit untergehn. Mehr gibt es aktuell nicht zu sagen.
Herr Phlippen
Annalena redet doch immer von Ihren Kindern und Schule.
Was so sie den nach Ihrer Meinung für einen Posten bekommen?
Außenministerium?
Herr Berchtold, Herr Schmidl,
alte weiße Männer ?
Herr Berchtold
Familienministerin ! wäre passend.
Annalena, mit dem Charme einer Schülersprecherin nun in der Regierung, Donnerwetter. Hoffentlich bekommt sie nur den Posten, den grünen Vorgarten zu pflegen, denn beim Apfelpflücken würde sie wahrscheinlich abstürzen, von der hohen Leiter.
Man darf gespannt bleiben, wie wichtig die eigene Überzeugung noch sein wird, wenn ein paar Pöstchen am Horizont erscheinen.