Wahlkampf „Lasten- und Pflichtenheft“ statt konsistenter Digitalstrategie – Experten kritisieren CDU-Papier

Mithilfe eines Digitalpapiers soll die CDU aus dem Umfragetief geführt werden.
Berlin An Metaphern mangelte es wahrlich nicht, als die Unionsparteien am gestrigen Montag im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin zu ihrem Digitalisierungskongress einluden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach in ihrer Rede davon, die Digitalisierung sei wie ein Haus, dessen Grundlagenarbeit geleistet sei. „Der Tiefbau steht, aber man sieht das Gebäude noch nicht ganz“, so die Kanzlerin.
Der Unions-Kandidat für ihre Amtsnachfolge, Armin Laschet, verglich in seiner darauffolgenden Rede Internet und Realität mit zwei Welten, die mittlerweile „verschmolzen“ seien.
Der frühere Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, nannte den Koalitionspartner SPD abfällig den „USB-Stick der Digitalisierung“. Und Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitalisierung, sagte, Deutschland habe den Anspruch, „Digitalweltmeister“ sein zu wollen – allerdings brauche das deutsche Bildungssystem in dieser Hinsicht noch ein „Update“.
Bär gehört zu Laschets jüngst präsentiertem „Zukunftsteam“ und hat, pünktlich zum Digitalkongress, gemeinsam mit mehreren Bundestagsabgeordneten ein Strategiepapier zur „Digitalen Modernisierung von Staat und Wirtschaft“ vorgelegt.
Darin enthalten sind 25 Punkte, mithilfe derer die Union das sehr ambitionierte Ziel erreichen will, Deutschland in der kommenden Legislaturperiode zum „Vorreiter der Digitalisierung“ zu machen.
In dem Strategiepapier geht es unter anderem um die digitale Modernisierung von Staat und Verwaltung, die Förderung der digitalen Wirtschaft und der Start-up-Szene, um einen effizienteren Datenschutz, aber auch um die Förderung klimaneutraler Technologien sowie der Spielebranche. Thesen, die so oder so ähnlich bereits im Wahlprogramm der Partei zu finden waren.
Digitalexperten zweifeln an Umsetzung
Entsprechend skeptisch fällt das Urteil der Digitalexperten aus. Viele begrüßen zwar, dass die Punkte in dem Programm in die richtige Richtung gingen, insgesamt blieben sie aber zu vage, es fehle an konkreten Maßnahmen, und die Umsetzung sei fraglich.
Der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg, zeigte sich gegenüber dem Handelsblatt erfreut, „dass das Papier die Chancen der Digitalisierung in den Vordergrund stellt und nicht durch Bedenkenträgertum geprägt ist“.
Gleichzeitig kritisiert Berg, dass die Vorschläge teils vage blieben, „über die Formulierung von Zielen nicht hinausgehen und einschlägige Maßnahmen dort weitgehend schuldig bleiben“.
Auch der Geschäftsführer des Verbandes der Internetwirtschaft Eco, Alexander Rabe, sieht das Papier nicht als „großen Wurf“ oder „Masterplan“.
Zwar gingen die skizzierten Schritte in die richtige Richtung, allerdings hätten viele Punkte „auch schon in den vergangenen Regierungsjahren durchaus entschlossener angegangen werden müssen“, sagte Rabe dem Handelsblatt. Insgesamt wirke das Papier eher wie ein „Lasten- und Pflichtenheft, weniger wie eine konsistente Digitalstrategie“.
Für den Bundesverband digitale Wirtschaft sind die vorgelegten 25 Punkte nur eine „weitere Ausgestaltung des Wahlprogramms der CDU“, wie Geschäftsführer Marco Junk seine Einschätzung gegenüber dem Handelsblatt formulierte – neue Themen würden nicht thematisiert.
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Zwar würden Bereiche, in denen es in Deutschland bei der Digitalisierung noch hakt, erkannt. Insgesamt kritisiert auch Junk die Pläne allerdings als „zu vage“ und fügt hinzu: „Am bemerkenswertesten ist an dem Papier, dass die Union es nach 16 Jahren an der Regierung drei Wochen vor der Bundestagswahl vorlegt. Das sollte bei der Prognose der Umsetzungswahrscheinlichkeit mitbewertet werden.“
Ähnlich schätzt das auch der Vorsitzende des Bundesverbandes Künstliche Intelligenz, Jörg Bienert, ein. Er lobte vor allem die geplante Unterstützung des Mittelstandes und den vereinfachten Datenschutz.
„In Summe sind die Inhalte des Papiers zu begrüßen“, sagte Bienert. „Allerdings mangelte es in der Vergangenheit nicht an Versprechungen, sondern an deren Umsetzung.“ Damit die in dem Papier festgehaltenen Punkte kein bloßes Vorhaben blieben, brauche es eine „gründliche Analyse der Ursachen“.
Konkret adressiert die CDU in ihrem Papier auch die Bedingungen für Unternehmensgründungen in Deutschland – ein Punkt, den der Deutsche Startup-Verband begrüßt. Auch der Vorsitzende Christian Miele allerdings hält die Umsetzung der vorgelegten Ideen für „überfällig“. Es gelte jetzt, bei der Digitalisierung „Gas zu geben, damit wir nicht weiter ins Hintertreffen geraten“.
Kritik auch von den anderen Parteien
Die anderen Parteien kritisieren vor allem, dass die Union in ihrer bisherigen Regierungszeit die nun vorgelegten Strategien nicht angegangen sei. Der digitalpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Jens Zimmermann, gibt zu bedenken, dass CDU und CSU seit Jahren Schlüsselpositionen in Sachen Digitalisierung besetzen: „Was jetzt vollmundig angekündigt wird, wurde bisher durch Unionshäuser verschlafen oder gar blockiert“, sagt Zimmermann.
Scharfe Kritik an den Digitalplänen der Union kam auch von den Grünen. „Wo bei der Union Zukunft draufsteht, ist alter Wein drin“, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz.
„Die bloße Ankündigungsrhetorik eines wahllos zusammengestellten Zukunftsteams kurz vor der Bundestagswahl mit lauter Dingen, die man 16 Jahre in Regierungsverantwortung nicht umgesetzt hat, bringt uns keinen Zentimeter weiter.“
In zentralen digitalpolitischen Bereichen sei Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich längst abgehängt. „Das ist für eine der wichtigsten Industrienationen der Welt extrem blamabel.“
Auch FDP und Linke halten laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) die Pläne für „unglaubwürdig“. Linkenfraktionschef Dietmar Bartsch sagte, die Union habe bei der Digitalisierung viel geredet und nicht geliefert. „Deshalb sind wir weiter digitales Entwicklungsland“, so Bartsch.
FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte dem RND: „Die Union hat den Bürgerinnen und Bürgern bereits vor acht Jahren das schnellste Netz der Welt versprochen.“ Insgesamt habe die Union 16 Jahre Zeit gehabt, Deutschland zu modernisieren, und es nicht getan.
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