Bundestagswahl '21 erklärt Überhangmandate nehmen Überhand – wieso der Bundestag immer weiter wächst
Düsseldorf Eigentlich sind 598 Sitze vorgesehen. Doch der Bundestag hat aktuell 709 Mitglieder - und wird künftig 735 Sitze haben. Möglich machen es das personalisierte Verhältniswahlrecht und Überhangmandate. Das bedeutet, dass die Wahlergebnisse der Parteien möglichst im gleichen Verhältnis in Parlamentsmandate umgewandelt werden. Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewinnt, als ihr Sitze gemäß dem Zweitstimmenanteil zustehen.
Damit aber das Verhältnis zu den anderen Parteien gewahrt bleibt, bekommen diese entsprechend Ausgleichsmandate. Die Gesamtzahl wird so lange vergrößert, bis jede Partei genau den Anteil an Sitzen hat, der ihren Anteil an Zweitstimmen widerspiegelt. Das führt dazu, dass der Bundestag immer weiter wächst.
Die Wahlrechtsreform von 2020 soll ein weiteres Wachsen des Bundestags verhindern: Bei der Bundestagswahl 2021 wurden erstmals Sitze parteiintern zwischen den Mandaten für die Erst- und Zweitstimmen verrechnet. So kann eine Partei, die in einem Bundesland zu viele Mandate bekommen hat, sie auf Bundesländer umverteilen, in denen ihr gemäß Zweitstimmenanteil weitere Sitze zustehen. Zudem werden bis zu drei Überhangmandate nicht ausgeglichen. Dafür gibt es eine Kommission aus Abgeordneten und Fachleuten.
Wie entstehen Überhangmandate?
In Deutschland gilt das personalisierte Verhältniswahlrecht. Mit der Erststimme wird in jedem der 299 Wahlkreise ein Kandidat direkt gewählt. Entscheidend für die Stärke einer Partei im Parlament ist aber ihr Zweitstimmenergebnis. Mit der Zweitstimme werden Parteien gewählt, die dazu Landeslisten aufstellen. Im Idealfall würden über die Listen ebenfalls 299 Abgeordnete in den Bundestag einziehen.
Aber: Hat eine Partei über die Erststimme mehr Direktmandate erhalten, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, darf sie diese behalten. Man spricht von Überhangmandaten.

Damit sich die über das Zweitstimmenergebnis ermittelten Mehrheitsverhältnisse trotzdem tatsächlich im Bundestag abbilden, erhalten die anderen Parteien dafür Ausgleichsmandate. Dieses komplexe System lässt den Bundestag wachsen.
Bei der Bundestagswahl 2017 kam es zu 46 Überhangmandaten: 36 erzielte die CDU, 7 die CSU und 3 die SPD. Zur Folge hatte dies 65 Ausgleichsmandate: 19 für die SPD, 15 für die FDP, 11 für die AfD, 10 für die Linke und ebenfalls 10 für die Grünen.
Was ist mit der Wahlrechtsreform?
Es ist nicht so, dass in der 2021 beendeten Wahlperiode nichts passiert wäre. Nachdem vor allem CDU und CSU jahrelang eine Reform verhindert hatten, setzten sie mit der SPD im Oktober 2020 eine Wahlrechtsänderung durch.
Allerdings konnten sie sich darauf nur mühsam einigen. Entsprechend dünn ist der Inhalt. „CDU und CSU haben eine wirksame Reform jahrelang blockiert und erst auf dem letzten Drücker agiert“, sagt die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann. „Aber auch die SPD hat keine besondere Energie in eine notwendige Veränderung gesteckt.“
So konnte sich die Große Koalition bestehend aus Union und SPD vor allem nicht zu dem heiklen Schritt durchringen, bei der Bundestagswahl 2021 die Zahl der 299 Wahlkreise zu verringern. Beschlossen wurde nur, Überhangmandate einer Partei teilweise mit ihren Listenmandaten zu verrechnen. Und beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Sitzen sollen bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden. Die Zahl der Wahlkreise wird erst bei der nächsten Bundestagswahl von 299 auf 280 gesenkt.
Wesentlich weitgehender war ein gemeinsamer Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linken, der aber im Bundestag keine Mehrheit bekam. Er sah unter anderem vor, die Zahl der Wahlkreise auf 250 zu verringern – was automatisch zu weniger Abgeordneten geführt hätte.
Folgen für die Bundestagswahl 2021: Höhere Kosten, längere Entscheidungswege
Die Folgen sind vielfältig: Mehr Abgeordnete verursachen natürlich mehr Kosten, was der Bund der Steuerzahler moniert. So erhält derzeit jeder Parlamentarier eine Abgeordnetenentschädigung von 10.012,89 Euro und eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von 4560,59 Euro im Monat. Allein dies macht pro Abgeordneten im Jahr knapp 175.000 Euro aus. Dazu kommen Kosten für die Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen, für Dienstreisen und Sachleistungen sowie noch ein paar Posten mehr.
Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass allein diese aktiven mandatsbezogenen Kosten bei jährlich 765.000 Euro je Abgeordnetem liegen. Die Organisation hält selbst die Normgröße von 598 Abgeordneten für übertrieben und plädiert für 500.
Zudem brauchen mehr Abgeordnete auch mehr Platz. Gerade wird in der Nähe des Reichstags ein neues Bürogebäude errichtet. Für veranschlagte 70 Millionen Euro entstehen 400 Büros, die zum Jahresende bezugsfertig sein sollen. Bis dahin muss improvisiert werden. Jeder und jedem Abgeordneten steht für sich und Mitarbeiter eine Bürofläche von 54 Quadratmetern zu.
Noch größer wird das Platzproblem im Plenarsaal. In ihn passen durch Zusammenrücken zwar auch 1400 Menschen, wie die Bundesversammlung im Februar 2017 gezeigt hat. Unter Corona-Abstandsregeln ist laut Bundestagsverwaltung aber nur Platz für maximal 340 Abgeordnete. Selbst für die Normgröße von 598 Abgeordneten ist der Plenarsaal also zu klein, wenn alle Abgeordneten an einer Sitzung teilnehmen wollen.
Für die konstituierende Sitzung gibt es bereits einen Plan B: Sie wird wohl in die wesentlich größere Halle des Paul-Löbe-Hauses verlegt, ein Bundestagsgebäude in unmittelbarer Nähe zum Reichstag.
Gravierender sei aus Sicht des Wahlrechtsexperten Robert Vehrkamp aber: Die Größe des Parlaments hat enorme Auswirkungen auf seine Arbeits- und Politikfähigkeit. Die Abläufe und Entscheidungen in Arbeitsgruppen und Ausschüssen würden schwerfälliger. „Ein zu großer Bundestag verschlechtert die Qualität des Politikbetriebs.“
Mehr zum Thema: Die Koalition kann sich nur auf eine Mini-Reform des Wahlrechts einigen
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Je mehr Abgeordnete in den Deutschen Bundestag einziehen, desto geringer deren Reputation. Ich befürchte die Zeit in der sie angepöbelt werden. Diese Anzahl an Abgeordnete versteht doch kein Wähler mehr, eine Begrenzung ist mehr als überfällig. Ich bezweifle aber dass die "Frösche den Sumpf selbst trocken legen können".
Je mehr Abgeordnete in den Deutschen Bundestag einziehen, desto geringer deren Reputation. Ich befürchte die Zeit in der sie angepöbelt werden. Diese Anzahl an Abgeordnete versteht doch kein Wähler mehr, eine Begrenzung ist mehr als überfällig. Ich bezweifle aber dass die "Frösche den Sumpf selbst trocken legen können".
Auch das kotzt die Menschen an!
Korrigierrte Fassung:
Es ist schrecklich, welches Szenario möglich wäre, wie folgendes Beispiel zeigt:
10 Parteien ziehen in den Deutschen Bundestag ein, mit jeweils 10% Anteil an den Zweitstimmen, also alle gleich stark.
Alle Erststimmen erhalte aber Partei A. Sie erhält folglich - gerundet - entsprechend hieraus 300 Direktmandate. Gemessen am Zweitstimmenanteil hätte sie nur 10% von 300 = 30 Sitze aufgrund der Direktmandate. Sie hat also 270 Überhangmandate. Damit stehen allen anderen neun Parteien, da sie aufgrund der Zweitstimmen alle gleich stark wie Partei A sind, jeweilis 270 Ausgleichsmandate zu.
Nun rechne man einmal, wie viele Bundestagsabgerodnete im neunen Deutschen Bundestag auf Basis dieses - überspitzten - Beispiels säßen und dem Steuerzahler und sich gegenseitig zur Last fielen.
Wir nähern und diesem Extremszenario immer mehr an, daher immer mehr Abgeordnete.
Fazit:
Es darf keine Direktmandate mehr geben, sondern ein reines Verhältniswahlrecht, und die Zahl der Bundestagsabgeordneten muss auf 100 begrenzt werden. Jeder Abgeordnete steht für ein Prozent. Das ist ein guter Kompromiss, wobei jedes Prozent, das Parteien generieren, die an der 5-%-Hürde scheitern, zu einem unbesetzten Stuhl führen sollte. Im Extremfall, wenn alle Parteien an dieser Hürde scheitern sollten, bliebe der Deutsche Bundestag also komplett leer. Dramatisch wäre das nicht. Das Leben ginge weiter, ganz bestimmt.
Es ist schrecklich, welches Szenario möglich wäre, wie folgendes Beispiel zeigt:
10 Parteien ziehen in den Deutschen Bundestag ein, mit jeweils 10% Anteil an den Zweitstimmen, also alle gleich stark.
Alle Erststimmen erhalte aber Partei A. Sie erhält folglich - gerundet - entsprechend hieraus 300 Direktmandante. Gemessen am Zweitstimmenanteil hätte sie nur 10% von 300 = 30 Sitze aufgrund der Direktmandante. Sie hat also 270 Überhangmandante. Damit stehen allen anderen neun Parteien, da sie aufgrund der Zweitstimmen alle gleich stark wie Partei A sind, jeweilis 270 Ausgleichsmandante zu.
Nun rechne man einmal, wie viele Bundestagsabgerodnete im neunen Deutschen Bundestag auf Basis dieses - überspitzten - Beispiels säßen und dem Steuerzahler und sich gegenseitig zur Last fielen.
Wir nähern und diesem Extremszenario immer mehr an, daher immer mehr Abgeordnete.
Fazit:
Es darf keine Direktmandate mehr geben, sondern ein reines Verhältniswahlrecht, und die Zahl der Bundestagsabgeordnete muss auf 100 begrenzt werden. Jeder Abgeordnete steht für ein Prozent. Das ist ein guter Kompromiss, wobei jedes Prozent, dass Parteien generieren, die an der 5-%-Hürde scheitern, zu einem unbesetzten Stuhl führen sollte. Im Extremfall, wenn alle Parteien an dieser Hürde scheitern sollten, bliebe der Deutsche Bundestag also komplett leer. Dramatisch wäre das nicht. Das Leben ginge weiter, ganz bestimmt.