Bundestagswahl Aktienrente, Schulden, Unternehmenssteuern: So könnte die Wirtschaftspolitik einer Ampelkoalition aussehen

Klar ist: Olaf Scholz müsste dem FDP-Chef in der Finanzpolitik viel bieten, um ihn in eine Ampel zu ködern.
Berlin Christian Lindner sprach am Dienstagmorgen Klartext. Ein Regierungsbündnis mit SPD und Grünen sei eine „theoretische Konstruktion“, über die im Moment zwar viel gesprochen werde. In der Realität gebe es aber „kaum praktische Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen“, so der FDP-Chef in einer RTL-Sendung. „Mir fehlt die Fantasie, welches Angebot Herr Scholz und Frau Baerbock der FDP machen könnten.“
Tatsächlich trennen FDP und SPD insbesondere in der Finanzpolitik Welten. Die SPD will den Spitzensteuersatz erhöhen, die FDP den Soli für höhere Einkommen streichen. Die SPD will eine Vermögensteuer einführen, die FDP hält das für Teufelszeug. Die SPD setzt beim Klimaschutz auf staatliche Förderung, die FDP will die Bekämpfung der Klimakrise über den Markt organisieren.
SPD und FDP sind sich in der Finanzpolitik also spinnefeind – und könnten nach der Bundestagswahl doch zusammenfinden. Hinter den Kulissen analysieren Parteistrategen, Berater und Ökonomen längst, wo es Anknüpfungspunkte in der Finanzpolitik zwischen beiden Parteien gibt. Und die sind zahlreicher und größer, als es auf den ersten Blick scheint.
So gibt es etwa bei den Themen Aktienrente, Entlastungen für Unternehmen und selbst beim Thema Staatsschulden durchaus manche Überschneidung, aus denen Sozialdemokraten und Liberale nach der Wahl eine gemeinsame Finanzpolitik zimmern können – auch unter einem in einer Ampel wahrscheinlichen Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Auf offener Bühne wird über diese Ideen natürlich nicht geredet. Weder SPD noch FDP wollen den Eindruck erwecken, zu früh zu siegesgewiss zu sein. Zudem gilt im Wahlkampf für beide Parteien der alte Satz von Hans Fallada: „Jeder kämpft für sich allein.“
Sowohl für die SPD als auch für die FDP eignet sich gerade die Steuerpolitik ganz wunderbar als Unterscheidungsmerkmal in einem Parteienspektrum, in dem die Unterschiede angeblich immer mehr verwischen.
Scholz sendet unmissverständliche Signale an die FDP
Während Lindner also erklärt, die Forderungen von SPD-Kanzlerkandidat Scholz nach Steuererhöhungen für Gutverdiener und Vermögende nach der Wahl seien „Gift“ für den Aufschwung, drischt Scholz auf den FDP-Chef ein, dessen Forderungen nach Steuersenkungen für Reiche seien „unfinanzierbar“, ja gar „unsolidarisch“. So weit, so erwartbar.
Zwischen den Zeilen aber sendet Scholz durchaus Signale an die Liberalen. Grüne Investitionen seien vor allem Sache der Privatwirtschaft, erklärte er jüngst. Und an der Schuldenbremse will er vorerst auch nicht rütteln. Und auch Lindner ist in der Schuldenpolitik einen Schritt auf die SPD zugegangen.
So ist Lindner zuletzt von seiner einst eisernen Linie abgekehrt, gar keine Schulden zu machen. „Die schwarze Null ist das Ziel“, sagte der FDP-Chef jüngst im Handelsblatt. „Aber zu Beginn des Turnarounds ist ein Defizit für Entlastungen und Investitionen unvermeidlich.“

Der Finanzminister verspricht, ein Scheitern wie 2017 werde sich unter SPD-Führung nicht wiederholen.
Genau hier besteht der erste Anknüpfungspunkt: Die von der FDP geforderten Entlastungen für die Wirtschaft könnten über Schulden finanziert werden, und die SPD dabei durchaus mitgehen. Wer will schon den Corona-gebeutelten Unternehmen einen Anschub nach Ende der Krise verwehren?
Scholz ist zwar gegen grundsätzliche Steuersenkungen für Unternehmen. Aber die braucht es gar nicht, um Betriebe zu entlasten. Dies ginge auch über großzügigere Abschreibungsregeln, für die es auch in der SPD einige Sympathien gibt, gerade mit Blick auf die Probleme einiger großer Industrieunternehmen.
Schaffung von Investitionsfonds wäre denkbar
Und eine ifo-Studie hat gerade erst gezeigt: Abschreibungen helfen Unternehmen sogar mehr als pure Steuersenkungen. „Die FDP sollte ihr politisches Kapital nicht für die schwarze Null aufbrauchen“, schrieb daher auch der Ökonom Daniel Stelter im Handelsblatt. Entscheidend sei, wofür Schulden gemacht werden. „Hier sollte die FDP ihr politisches Kapital einbringen und dafür sorgen, dass nicht Konsum und ideologische Projekte finanziert werden.“
Denkbar wäre dann auch ein weiterer Schritt: Die Schaffung von Investitionsfonds. Mithilfe solcher Fonds könnte sich der Staat höher verschulden, ohne dass die Schulden unter die Regeln der Schuldenbremse fallen. Die SPD fordert solche Fonds offen und will etwa die Staatsbank KfW zu einer Investitions- und Innovationsagentur umbauen, die FDP zeigt sich dagegen bislang skeptisch.
Aber man könne den Liberalen die Idee schon schmackhaft machen, glaubt ein Genosse, etwa über einen staatlichen „Transformationsfonds“. Dieser könnte Unternehmen beim ökologischen Umbau mit Krediten helfen. Damit könnte die FDP sicher besser leben als mit direkten Klima-Subventionen. Diesen Vorschlag hatte der Ökonom Jens Südekum vor einigen Wochen schon im Handelsblatt gemacht.
Aktienrente könnte Realität werden
Lässt sich die FDP darauf ein, wäre auch ein anderes Lieblingsprojekt der Liberalen umsetzbar: die gesetzliche Aktienrente. „Sie taugt perfekt als erstes Projekt einer Ampel“, sagt ein Kenner. Dabei sollen nach schwedischem Vorbild alle Versicherten in Deutschland künftig einen Teil des Pflichtbeitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung in die gesetzliche Aktienrente einzahlen.
Ähnliches fordert die SPD in ihrem „Zukunftsprogramm“. Sie will eine private Altersvorsorge ermöglichen, „die nach schwedischem Vorbild von einer öffentlichen Institution angeboten wird“.
Finanziert werden könnte die neue Aktienrente über eine schuldenfinanzierten Staatsfonds, der sich jetzt für null Zinsen Geld einsammelt, um es dann renditebringend anzulegen. Für eine betriebswirtschaftlich orientierte Partei wie die FDP ließen sich Schulden dieser Art gegenüber ihrer Klientel durchaus als „gutes Geschäft“ verkaufen.
Knackpunkt vollständige Soli-Abschaffung
Beide Seiten müssten sich in einer Ampel aber auch von Projekten verabschieden. Die SPD ganz sicher von der Wiederbelebung der Vermögensteuer. Für Olaf Scholz wäre das kein Problem, er galt ohnehin nie als deren flammender Anhänger.
Die FDP wiederum müsste von ihren hochfliegenden Steuerentlastungsplänen für weite Teile der Bevölkerung Lebewohl sagen. Aber auch das könnten die Liberalen mit Blick auf die leeren Kassen, die man nach der Wahl „plötzlich“ vorgefunden habe, durchargumentieren.
Doch ganz ohne Steuersenkungen wird die FDP kaum in eine neue Regierung eintreten können. Größter Knackpunkt in Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen wäre daher wohl die Abschaffung des Solidaritätszuschlags.
Das Problem aus Sicht von Scholz: Fiele auch der Rest-Soli weg, würde dies ausschließlich Top-Verdiener entlasten. Weiteres Problem: Die FDP schließt jede Form von Steuererhöhungen kategorisch aus, eine Gegenfinanzierung durch Steuererhöhungen an anderer Stelle ist daher unmöglich.
Denkbar wäre aber ein Gegengeschäft in einem anderen Politikbereich. Und Scholz selbst hat früher argumentiert, nach 2020 wäre der Soli womöglich verfassungswidrig. In der nächsten Wahlperiode könnte es womöglich dazu auch ein Urteil aus Karlsruhe geben.
FDP braucht Anreize für Ampelkoalition
Klar ist: Scholz müsste Lindner in der Finanzpolitik viel bieten, um ihn in eine Ampel zu ködern. Nicht nur das Amt des Bundesfinanzministers. Sondern auch eine Garantie, dass anders als in der schwarz-gelben Koalition 2009 wenigstens ein Teil FDP-Finanzpolitik umgesetzt wird.
Damals ließ CDU-Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Liberalen brutal auflaufen – woraufhin diese 2013 aus dem Bundestag flogen. 2017 war die Kern-Forderung der FDP in den Jamaika-Verhandlungen dann die Abschaffung des Solis, was Union und Grüne aber nicht sonderlich interessierte – ein entscheidender Grund, warum die Verhandlungen platzten.
Scholz verspricht, ein Scheitern wie 2017 werde sich unter SPD-Führung nicht wiederholen. „Es gibt eine Voraussetzung für das Gelingen eines Regierungsbündnisses: Alle Beteiligten müssen gemeinsam erfolgreich sein wollen“, sagt er und gibt sich überzeugt: eine Ampel sei nach der Bundestagswahl „keine unlösbare Aufgabe“.
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„Vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages“! Wenn ich die deutsche Sprache richtig verstehe, bedeutet ‚vollständig‘ Abschaffung des Soli auf alle Steuerarten. Wirklich? Dies gälte dann auch für den Soli auf Kapitalertragssteuern. Nur redet darüber niemand. Oder ich spreche eben doch eine andere Sprache …
Falscher Ansatz!
Der Artikel beschreibt Anknüpfungspunkte von Herrn Scholz und der FDP.
Es wäre schon sinnvoller Anknüpfungspunkte zwischen Esken, Borjans und Künert zur FDP zu analysieren, da wird es wohl schwieriger!
Scholz primäres Interesse gilt rot/rot/grün und nicht ein Ampel-Bündnis. Längst hätten sich die Grünen und die SPD sonst klar von der Linken abgegrenzt.
Die Ampel-Spekulationen hier sind müßig.
Jeder stirbt für sich allein - heisst der Roman von Hans Fallada
Für die Schulden - externe Finanzierung in Schattenhaushalten / Investitionsfonds (nach Bert Brecht):
„Denn die einen sind im Dunkeln Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte Die im Dunkeln sieht man nicht.“
Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/776440-bertolt-brecht-denn-die-einen-sind-im-dunkeln-und-die-anderen-sin/
Außerdem: Hat Lindner für die FDP nicht klipp und klar erklärt, keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse?