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Bundestagswahl Warum der Bundestag bald schon 900 Abgeordnete haben könnte

Der 20. Bundestag wird erneut größer werden. Vor allem die Schwäche der CSU sorgt für eine Flut von Abgeordneten. Es könnten 900 anstatt 598 werden.
18.09.2021 - 09:56 Uhr Kommentieren
Dem deutschen Parlament droht ein Horrorszenario: Im nächsten Bundestag könnten etwa 900 Abgeordnete einen Platz beanspruchen. Quelle: Stefan Boness/Ipon
Bundestag

Dem deutschen Parlament droht ein Horrorszenario: Im nächsten Bundestag könnten etwa 900 Abgeordnete einen Platz beanspruchen.

(Foto: Stefan Boness/Ipon)

Berlin Die Raumplaner der Bundestagsverwaltung werden beim Studium des amtlichen Wahlergebnisses vor allem den Blick nach Bayern richten. Wird die CSU alle oder zumindest fast alle Direktmandate erringen? Und wie sieht es beim Zweitstimmenergebnis der Schwesterpartei aus? Wird es so schlecht sein, wie die Umfragen derzeit vermuten lassen?

Die Antworten auf diese Fragen entscheiden maßgeblich darüber, wie viele Abgeordnete im 20. Deutschen Bundestag sitzen werden, wie viele Büros sie beanspruchen und wie viel Platz in den Fraktions- und Ausschusssälen künftig nötig sein wird.

Es droht ein Horrorszenario: „Sollte die CSU wie 2017 alle 46 Direktmandate in Bayern gewinnen, hätte der Bundestag nach dem aktuellen Stand der Prognosen etwa 900 Abgeordnete“, prophezeit Matthias Moehl, Chef der Wahlkreisanalyseplattform Election.de. Zwar werden nach seinen derzeitigen Prognosen SPD und Grüne fünf bis sechs Wahlkreise in München und Nürnberg gewinnen und womöglich auch in Augsburg. Doch selbst dann „wären es immer noch um die 800“, rechnet Moehl vor.

Eigentlich entscheiden die Wahlberechtigten bei einer Bundestagswahl seit der Deutschen Einheit über 598 Sitze im Parlament – aus jedem der 299 Wahlkreise gilt es einen Kandidaten direkt zu wählen und obendrein noch mit der Zweitstimme die Parteien und deren 299 Vertreter, die über die Landeslisten einziehen. Allerdings durften sich seit 1990 stets mehr als 600 Politiker über den Einzug ins Parlament freuen.

In dieser Wahlperiode sind es sogar 709: 299 direkt gewählte und 410 weitere Parlamentarier, die es über die Landeslisten der Parteien geschafft haben – davon 111 als Ausgleichsmandatsträger. Die Verwaltung musste Räume anbieten und neu bauen, Abgeordnete mussten zusammenrücken.

Je schwächer die Volksparteien, desto mehr Überhangmandate

Die Welt im Deutschen Bundestag war so lange in Ordnung, wie die Volksparteien noch stabil Ergebnisse jenseits der 30 Prozent erzielten. Vor der Wiedervereinigung war dies der Fall. Mal stellte die SPD die Bundesregierung gemeinsam mit der FDP, meistens aber doch CDU und CSU mit den Liberalen, aufgeteilt auf damals 518 Mandate. Überhangmandate spielten keine Rolle.

Das änderte sich erst, als neben CDU/CSU, SPD und FDP nicht nur die Grünen, sondern auch die Linken im Parlament saßen und Überhangmandate sogar über Mehrheiten entschieden: 1998 etwa konnte die SPD 13 und damit alle Überhangmandate auf sich vereinen. 2009 waren es für die Union 24 Mandate extra – ohne dass sie bei den anderen Parteien ausgeglichen wurden.

Seit dieser Wahlperiode sitzt auch die AfD im Bundestag und sind es sogar 47 Überhangmandate, für die es aber nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts neue Regeln gibt. Wurden früher Überhangmandate gar nicht ausgeglichen, so geschieht dies nach dem neuen Bundeswahlgesetz inzwischen ab dem vierten Überhangmandat.

Auch werden Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland mit dem Ergebnis in anderen Bundesländern teilweise verrechnet. So kommt etwa die AfD angesichts ihrer Stärke in Sachsen laut Election-Chef Moehl derzeit auf drei Überhangmandate und die CDU in Baden-Württemberg auf zwölf. Die SPD wird vermutlich in Hessen vier Direktmandate mehr erringen, als ihr eigentlich an Sitzen nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Hinzu kommen noch einzelne weitere Mandate im Rest der Republik.

Starke Direktkandidaten der CSU, aber eine schwache Partei

Und doch kann dies „nur dämpfen, aber nicht verhindern“, dass der Bundestag wächst und wächst, wie Moehl sagt. „Mit jedem CSU-Überhangmandat entstehen für die anderen Bundestagsparteien etwa 20 Ausgleichsmandate.“

Der Grund ist simpel: Die CSU tritt nur in Bayern an, kann also ihr Ergebnis nicht mit dem in anderen Landesverbänden verrechnen. Deswegen gilt: „Für die Bundestagsgröße sind nur die CSU-Überhangmandate entscheidend, weil die daraus entstehenden Ausgleichsmandate dann die Überhänge der anderen Parteien mehr als kompensieren.“

So strömen Kandidaten in den Bundestag, die selbst nicht damit gerechnet haben. Das Wahlrecht geht davon aus, dass die Partei, die besonders viele Zweitstimmen erhält, auch ebenso erfolgreich bei den Erststimmen ist. Doch genau das ist nicht mehr der Fall. Versuche einer grundlegenden Wahlrechtsreform sind bislang immer gescheitert, da sich entweder die großen oder die kleinen Parteien benachteiligt fühlen.

Die Staatsrechtlerin Sophie Schönberger von der Universität Düsseldorf kritisiert diese Entwicklung. Die Zeiten der Parlamente mit zwei großen Volksparteien seien vorbei „Auf dieses neue Parteiensystem, das ja eher mittelgroße Parteien hat, ist das Wahlrecht im Grunde nicht eingestellt“, sagt sie. Sie kritisiert nicht nur, dass damit das Parlament für den Steuerzahler deutlich teurer wird. „Auch die Ausschüsse werden größer“ – und damit die Arbeit schwieriger. „Dann funktioniert der Bundestag als Parlament einfach nicht mehr, und das ist ein großes, großes demokratisches Problem.“

Starke Spitzenkandidaten sorgen für viele Zweitstimmen

Es sei nur schwer abzuschätzen, wie stark die Ergebnisse der großen Parteien bei den Erst- und Zweitstimmen abweichen, sagt Moehl. „Unionswähler, die zur FDP abwandern, bleiben in hohem Maße den Direktkandidaten der Union treu. Auf der anderen Seite kann die SPD weniger als bisher auf Erststimmen von Grünen-Wählern setzen, da diese verstärkt die Erststimmen ebenfalls an die Grünen vergeben“, hat er beobachtet.

Auch spiele der Spitzenkandidat immer wieder eine wichtige Rolle wie etwa zuletzt bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Reiner Haseloff von der CDU, Malu Dreyer von der SPD und Bodo Ramelow von der Linkspartei hätten für ein starkes Zweitstimmenergebnis gesorgt, „während die Erststimmen hinter dieser Entwicklung zurückblieben“.

So etwas sorgt dafür, dass es keine Überhangmandate gibt. Dieser Effekt fällt aber bei CDU und CSU angesichts der niedrigen Beliebtheitswerte von Spitzenkandidat Armin Laschet aus. „Bei dennoch vergleichsweise geringen Zweitstimmenanteilen würde die Union dann zahlreiche Überhangmandate erhalten, die vor allem bei der CSU entscheidend für die Bundestagsgröße sind“, sagt Moehl.

Könnten mehr Abgeordnete nicht helfen, bessere Gesetze zu machen, weil sich die Abgeordneten die Arbeit und Themen besser aufteilen könnten? Staatsrechtlerin Schönberger hat da ihre Zweifel: „Das Problem ist, dass Sie durch ein größeres Parlament in erster Linie einmal mehr Hinterbänkler produzieren.“

Mehr: Politikwissenschaftler Korte: „Die Union steckt im Visionsvakuum“

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