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Bundestagswahl „Wir leben stark von der Schwäche der Gegner“ – Ein Kanzler Scholz scheint möglich

Der SPD-Kanzlerkandidat holt in den Umfragen immer weiter auf. Auf seiner Wahlkampftour in Brandenburg trübt nur ein Thema die gute Laune: Afghanistan.
19.08.2021 - 00:00 Uhr 2 Kommentare
Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat und Bundesminister der Finanzen, besucht im Rahmen einer Wahlkampftour das Zementwerk Cemex AG in Rüdersdorf. Quelle: dpa
Olaf Scholz auf Wahlkampf

Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat und Bundesminister der Finanzen, besucht im Rahmen einer Wahlkampftour das Zementwerk Cemex AG in Rüdersdorf.

(Foto: dpa)

Berlin Olaf Scholz hat eine gelbe Warnweste über den dunkelblauen Anzug gestreift, auf seinem Kopf sitzt ein weißer Helm, den er aber erst einmal wieder abnimmt. In dieser halben Bauarbeiterkluft steht der Kanzlerkandidat auf dem Gelände des Cemex-Zementwerks Rüdersdorf, inmitten einer romantischen Industriekulisse, als deren Schutzmacht sich die SPD bis heute sieht.

Hinter Scholz streckt sich das riesige Industriegebäude in den brandenburgischen Himmel, die Abwärme eines Drehrohrofens strömt neben ihm herunter, in dem in luftiger Höhe bei 1450 Grad Rohmehl zu Klinker verarbeitet wird. Der Motor des Werks röhrt kräftig.

Bei der Produktion von Zement entsteht unvermeidbar eine Menge CO2. Cemex-Werksleiter Stefan Schmorleiz erklärt Scholz, wie sein Werk durch mehr Effizienz und den Einsatz von Wasserstoff bis 2030 klimaneutral werden will. Es gebe große Fortschritte. „Doch je mehr man sich anstrengt“, sagt Schmorleiz, „desto dünner wird die Luft nach oben“.

Es ist ein Satz, der auch den Wahlkampf von Scholz gut beschreibt. Der 63-jährige SPD-Politiker will den höchsten Berg der deutschen Politik erklimmen: das Kanzleramt. Für den Kanzlerkandidaten der SPD läuft es auf dem Weg dorthin gerade richtig gut. Neueste Umfragen sehen die SPD inzwischen vor den Grünen, und sogar die Union ist plötzlich in Schlagdistanz.

Doch das Chaos in Afghanistan hat den Wahlkampf durcheinandergewirbelt. Auf Scholz“ Wahlkampftour durch Brandenburg schwingt daher auf jeder Station immer die Frage mit, ob und wie sehr das Afghanistan-Desaster den Vizekanzler in Bedrängnis bringen kann.

Falsche Einschätzung der Lage

Die Bundesregierung hat die Lage in Kabul völlig falsch eingeschätzt, auch Scholz, der als Vizekanzler in allen Krisenrunden mit am Tisch saß. Und der in dieser Funktion auch die SPD-Ministerien koordiniert, darunter das Auswärtige Amt von Heiko Maas (SPD), der nun besonders im Kreuzfeuer der Kritik steht und mit Rücktrittsforderungen konfrontiert wird.

Gleichzeitig steht das Chaos von Kabul für das Gegenteil von gutem Regieren. Dabei lebt die Scholz-Kampagne gerade von dieser Inszenierung des Kandidaten: Scholz kann gut regieren, die anderen können es nicht. Nimmt man all diese Punkte zusammen, könnte durch die Krise die Luft für Scholz dünner werden. Oder nicht?

Wenn in Brandenburg die Lage in Afghanistan zur Sprache kommt, verfinstert sich die Miene des Vizekanzlers. Scholz spricht darüber, was schiefgelaufen ist, welche Lehren man aus dem Einsatz ziehen muss, dass ein Abzug aus Afghanistan zu keinem Zeitpunkt einfach gewesen wäre. Aber er wirkt nicht so, als ob ihn das Chaos in Kabul mit Blick auf den Wahlkampf sonderlich nervös mache. Im Gegenteil.

Ein paar Stunden nach seinem Besuch im Zementwerk steht Scholz im Zukunftstechnologiezentrum in Wislau, das Hightech-Firmen beheimatet. Bei der Firma FTI Engineering schaut er sich die digitale Zukunft bei Notarzteinsätzen an.

Als er bei einer Vorführung den Notarzthelfer spielen darf, spricht ihn der Firmengründer als „Herr Dr. Scholz“ an. „Falsche Titel sind im Wahlkampf sehr schwierig“, witzelt Scholz. „Doktor ist nur mein Bruder.“

Umfragewerte machen Scholz lockerer

Scholz wirkt seit einigen Wochen fast schon gelöst, so hat man ihn viele Jahre lang nicht angetroffen. Die steigenden Umfragewerte geben ihm Auftrieb, sie machen ihn lockerer. Auf der Fahrt zur letzten Station in Brandenburg lässt er sich von einer Mitarbeiterin im Bus den neuen „Deutschland-Trend“ zeigen – wieder gehen die Balken der SPD hoch, und die der Union runter. Die SPD steht jetzt bei 21, die Union bei 23 Prozent. Danach ist Scholz“ Laune noch besser.

Afghanistan ändert mit Blick auf die Wahl aus Sicht von Scholz und seiner Strategen nichts am Aufschwung der SPD. Diese Ansicht verströmen sie zumindest nach außen. Die Verantwortung für die dortige Lage verteile sich auf viele Schultern. Ja, natürlich auf SPD-Außenminister Heiko Maas, der die Lage falsch eingeschätzt habe.

Aber eben auch auf Innenminister Horst Seehofer (CSU), der die Visa-Ausstellung verzögert habe, auf Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die für den Bundeswehreinsatz verantwortlich sei, und natürlich auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Chefin des Krisenstabs.

Das ist nicht ganz falsch, aber manche Nebelkerzen der SPD zünden auch nicht. Die Behauptung aus SPD-Kreisen, Merkel und Kramp-Karrenbauer hätten die Rettungsaktion in Afghanistan verzögert, weil sie am vergangenen Freitag noch zweifelten, ob das bestehende Mandat einen Einsatz erlaube, ist Unfug. Die Bundeswehr kann sich jederzeit bei „Gefahr im Verzug“ in Bewegung setzen, wie auch Maas sagte.

Zu komplex die Situation, zu unklar die Schuldfrage

Vor allem aber glaubt man in der SPD nicht, dass Afghanistan zu einem großen Wahlkampfthema wird. Zu verworren sei die Situation, zu unklar die Schuldfrage. Union und SPD würden sich bei der Frage der Verantwortung jedenfalls neutralisieren. Wenn die ersten Briefwahlwähler jetzt ihr Kreuz machten, würden sie ihre Wahl zwischen Union und SPD daher nicht von Afghanistan abhängig machen.

Im Zementwerk Cemex kommt Scholz gerade von einer kurzen Führung zurück. „Wir stehen vor der größten Modernisierung der Industrie, vergleichbar nur mit den Umwälzungen Ende des 19. Jahrhunderts“, sagt er danach.

Gerade dieser Termin zeige: „Klimapolitik ist Industriepolitik. Hier wird deutlich: Wir können die ökologische Modernisierung schaffen, ohne auf etwas verzichten zu müssen“, so Scholz.

Neben Scholz steht Gernot Schmidt, SPD-Landrat im Märkisch-Oderland, ein Genosse von altem Schrot und Korn: nahbar, frei Schnauze, mit Genderdebatten kann er eher wenig anfangen. Scholz behaupte immer, er spüre auf seiner Wahlkampftour die Trendwende zugunsten der SPD.

Spürt Schmidt diese angebliche Wende in seinem Landkreis auch? „Wir leben stark von der Schwäche der Gegner.“ Die Journalisten gucken etwas verdutzt. So sei es doch oft im Wahlkampf, schiebt Schmidt hinterher. Und Scholz? „Der ist nicht unpopulär.“

Aber auch nicht populär? Schmidt überlegt. „Scholz ist leise, still und bedächtig.“ Und was heißt das für die Wahl? Schmidt überlegt noch ein klein wenig länger. „Die Ruhe zieht schon. Vielleicht braucht man jetzt genau das.“ Afghanistan erwähnt Schmidt mit keinem Wort.

Mehr: Die größten Herausforderungen stehen den Taliban erst noch bevor

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2 Kommentare zu "Bundestagswahl: „Wir leben stark von der Schwäche der Gegner“ – Ein Kanzler Scholz scheint möglich"

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  • Nein, es ist eben kein Unfug. Anderen Redaktionen liegen ja Dokumente vor, die belegen, dass die Union aufgrund der Zweifel gezögert hat.

  • Das ist m.E. kein Problem der jetzigen Regierung, sondern das Resultat einer fatalen Fehleinschätzung, die vor vielen Jahren stattgefunden hat.
    Warum ist man nach Afghanistan gegangen und was hat man dort erwarten können? Soziologen, Psychologen, Politikwissenschaftler hätten als Experten helfen können oder wollte man nur diesmal an der Seite der USA kämpfen, nachdem man im Irak noch Nein gesagt hat?

    Und ein Abzug ist alternativlos gewesen. Zu jedem Zeitpunkt wollte nur ein Teil die USA und Allierten dort haben, aber ein anderer Teil und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Teile der lokalen Machthaber wollten es eben nicht. So dusselig kann keine Armee sein, dass sie sich in Tagen von Guerillas überlaufen lässt - es sei denn, die Verantwortlichen unterstützen es.

    Was sind also die Lehren?
    Wesentlich kritischer mit allen Auslandseinsätzen umgehen und diese stärker hinterfragen - Man sollte sich bei allen Einsätzen außerhalb des direkten Interessenbereiches fragen, warum man dort Soldaten einsetzen will?

    Ist es nicht an der Zeit, sich generell zu überlegen, ob an der westlichen Ideologie die Welt noch genesen wird, wenn der größere Teil der Menschheit diese nur noch bedingt teilt?

    Was hat derjenige, der diese Abenteuer bezahlt kurz-, mittel- und langfristig davon?

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