Bundesverfassungsgericht Der neue Verfassungsrichter Stephan Harbarth ist hochgelobt, aber nicht unumstritten
Berlin Im Internet kursiert ein Filmchen. Es zeigt einen Mann, Mitte 30 in Cordhose und Pullover, der in den Weinbergen steht und von der „wunderbaren Landschaft“ im Kraichgau und Neckartal schwärmt. Das Video wurde nur wenige Tage vor der Bundestagswahl 2009 aufgenommen. Seit der Wahl sitzt Stephan Harbarth für die CDU im Bundestag in Berlin.
Dass der Unions-Fraktionsvize an diesem Donnerstag vom Parlament zum neuen Verfassungsrichter gewählt wurde und am Freitag sogleich vom Bundesrat zum neuen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts gekürt werden soll, kommt für Harbarth nun einer Heimkehr gleich: Karlsruhe liegt von seinem privaten Wohnort nur rund 50 Kilometer entfernt.
In den neun Jahren, die seit dem Video vergangen sind, hat der Jurist Harbarth politische Karriere gemacht. Nun soll er in Karlsruhe als Vorsitzender des Ersten Senats Vizepräsident Ferdinand Kirchhof ablösen, der aus Altersgründen ausscheidet.
Damit wäre es auch sehr wahrscheinlich, dass der gebürtige Heidelberger in zwei Jahren Präsident Andreas Voßkuhle beerbt, dessen Amtszeit dann endet. Als oberster Verfassungshüter stünde Harbarth protokollarisch dann auf Rang fünf der Republik.
Harbarth, der im Dezember 47 Jahre alt wird, gilt als besonnener Typ. Er ist schmal, trägt in Berlin stets dunkle Anzüge mit Krawatte und Einstecktuch und sein Haar liegt mittlerweile wie eine silberne Haube auf seinem Kopf. In der Fraktion gilt er als Mann für schwierige Fälle, wie etwa in der Debatte um den Migrationspakt.
Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der sehr lange eng mit Harbarth zusammengearbeitet hat, beschreibt ihn als „vorzügliche Wahl“ für den neuen Posten. Der neue Verfassungshüter habe eine „abwägende Art“, sei „geistig unabhängig“ und „schieße“ nicht schnell mit Meinungen. „Doch bei aller Zurückhaltung zeigt er immer inhaltliche Stärke und Führungskraft“, lobt der Ex-Minister.
„Autorität hat er über seine Person, nicht über seine Funktion.“ Zudem sei er „im guten altmodischen Sinne höflich und nobel“, berichtet de Maizière. Und er werde „auf viel Geld verzichten“, sobald er ins Amt kommt.
Harbarth gehört zu den Top-Verdienern im Bundestag
Tatsächlich gehört Harbarth im Bundestag zu den Top-Verdienern. Als einer der Geschäftsführer der internationalen Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz meldet er jährlich Nebeneinkünfte von mehr als 250.000 Euro an das Parlament.
Doch seine Tätigkeit als Rechtsanwalt wird dem Mann, der auch an der Yale Law School einen Abschluss gemacht hat, nun von Kritikern vorgehalten. Manch einem gilt er schon deshalb als befangen, weil er etwa Daimler bei der Veräußerung sämtlicher Anteile des Airbus-Vorgängers EADS beraten hat und auch Allianz, Merck, Sanofi-Aventis oder Kuka zu seinen Mandanten zählten. Wirtschaftliche Verflechtungen ermöglichten keine Unabhängigkeit, so der Vorwurf.
Pikant sei auch die Tatsache, dass seine Kanzlei – wenn auch nicht er selbst – Volkswagen im milliardenschweren Musterverfahren zur Diesel-Abgasaffäre berät. Das könne zur Hypothek für künftige Verfahren in Karlsruhe werden. „Herzlichen Glückwunsch an Volkswagen! Cleverer Move“, kommentierte zum Beispiel Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick die Nominierung von Harbarth.
Der Jurist ist ein tiefer Kenner des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts. Er lehrt als Honorarprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und ist Mitautor des Münchener Kommentars zum GmbH-Gesetz und eines führenden Kommentars zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz. Im Verfassungsgericht wie in der Politik wird es begrüßt, dass nun ein echter Anwalt nach Karlsruhe kommt.
Unter den Parteien, die sich wegen der nötigen Zweidrittelmehrheit bei der Richterwahl hinter den Kulissen einigen mussten, gilt Harbarth als gemäßigter Konsenskandidat. Er sei ein „ausgezeichneter Kandidat“, versicherte etwa SPD-Fraktionsvize Eva Högl.
Fürsprecher des Uno-Migrationspakts
Zuletzt sprach sich Harbarth, der bereits im Alter von 16 Jahren in die Junge Union eintrat, für den geplanten Uno-Migrationspakt aus – allerdings nicht, ohne zu betonen, dass es eine Zuwanderung von Gering- oder gar Unqualifizierten nicht geben könne. Dass er seinerzeit gegen die Ehe für alle stimmte, zeigt jedoch auch das Koordinatensystem des Katholiken, der verheiratet ist und drei Kinder hat.
Seine Heimatverbundenheit ist offensichtlich: Er plaudert bei der Rotwein-Nacht der Rauenberger Winzer genauso, wie er im Freizeitlook bei der Walldorfer Straßenkerwe anzutreffen ist oder mit Fan-Schal der TSG Hoffenheim zujubelt.
Künftig wird Harbarth als Verfassungsrichter zuweilen der Politik auf die Finger hauen und Gesetze als verfassungswidrig beanstanden müssen. Ob er ähnlich stark wie manche seiner Vorgänger auch detaillierte Verbesserungsanweisungen präsentieren wird, dürfte sich schnell zeigen.
Kritik wie sie einst vom damaligen Bundesminister Wolfgang Schäuble oder Bundestagspräsident Norbert Lammert (beide CDU) kam, das Bundesverfassungsgericht greife zu sehr in die Gesetzgebung ein, wäre dann eine Art Lob.
Spätestens als Präsident wird Harbarth dem Gericht auch nach außen ein Gesicht verleihen und dafür sorgen müssen, dass es das beliebteste Verfassungsorgan bleibt. Nach innen gilt es dann, die Richter zu einen.
Seine Vertrauten bezeichnen Harbarth als „großartigen Menschen“. Seine Klienten sehen seine Stärke darin, komplexe Sachverhalte in den Griff zu bekommen und Lösungen zu finden. Das klingt vielversprechend, könnte es doch sein, dass Harbarth als Präsident des Bundesverfassungsgerichts dereinst ein Anker der Stabilität werden muss – sollten die politischen Verhältnisse in Berlin mit einer weiteren Erosion der Volksparteien zunehmend instabil werden.
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