Cell Broadcast Seehofer gibt Warn-Nachrichten für Katastrophenfall in Auftrag

Der Bundesinnenminister sagte: „Die Warnung der Bevölkerung muss klappen, auf allen Kanälen“.
Düsseldorf Auch den Bundesinnenminister ließen die Bilder der Hochwasserkatastrophe nicht kalt. Kurz nach seinem Besuch in den betroffenen Gebieten gab Horst Seehofer (CSU) die Einführung eines neuen Warn‧instruments in Auftrag – das sogenannte Cell Broadcast für Handys.
Das teilte er dem ARD-Hauptstadtstudio mit: „Die Warnung der Bevölkerung muss klappen, auf allen Kanälen“, sagte Seehofer. Das Innenministerium soll nun bereits Gespräche mit den Netzbetreibern führen. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) kündigte an, eine mögliche Einführung prüfen zu lassen – die Ergebnisse werden im Herbst erwartet.
Damit aktiviert Seehofer eine Technologie, die eigentlich als veraltet gilt, weil sie kaum noch verwendet wird. Für den Katastrophenschutz aber bietet das System zahlreiche Vorteile. Vor allem kann Cell Broadcast in kurzer Zeit Millionen Handys erreichen – und nimmt dabei nur wenig Netzkapazität in Anspruch. Und: Auch der Datenschutz ist dabei kein Problem.
So funktioniert Cell Broadcast
Cell Broadcast ist im Grunde ein Mobilfunkdienst, der Massennachrichten an alle Handys verschickt, die sich in einem bestimmten Funkbereich befinden. Dies geschieht von der entsprechenden Basisstation der Mobilfunkanbieter aus.
Anders als häufig beschrieben, sind die beim Cell Broadcast verschickten Nachrichten streng genommen aber keine SMS-Nachrichten. Sie funktionieren aus mobilfunktechnischer Sicht anders – obwohl die Nutzer den Unterschied auf ihren Telefonen kaum erkennen dürften.
Während eine klassische SMS immer nur an einen Empfänger gerichtet ist, werden beim Cell Broadcast die Handys zu einer Art Radioempfänger, der ein ausgesendetes Signal der Funkmasten empfangen kann, wenn dieser Dienst aktiviert ist.
In den Anfangszeiten der Mobilfunktechnik wurde der Dienst tatsächlich als journalistischer Nachrichtenübermittler gebraucht und erfüllte häufig eine Art Tickerfunktion. In Deutschland wurde dieses Angebot mit dem aufkommenden Internet allerdings nach und nach abgeschafft. Die meisten Handys unterstützen Cell Broadcast aber prinzipiell.
Das sind die Vorteile von Cell Broadcast
Der Unterschied zur SMS ist aus mehreren Gründen wichtig. Da es sich bei Cell Broadcast anders als bei der SMS nicht um eine Eins-zu-eins-Kommunikation zwischen dem Versender und dem Empfänger der Nachricht handelt, nimmt Cell Broadcast vor allem deutlich weniger Netzkapazitäten in Anspruch. Ein ohnehin schon überlastetes Netz in einer Krisensituation kann dadurch geschont werden.
Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachricht ihr Ziel tatsächlich erreicht, erhöht sich.
Moderne Cell-Broadcast-Systeme können zudem mit einer einzigen Nachricht mehrere Millionen Mobiltelefone erreichen und sind somit sehr effizient. Eine einzelne Warnung kann dabei bis zu 1395 Zeichen lang sein und auch Links, aber keine Bilder enthalten.
Ein weiterer Vorteil ist die Regionalität. Durch Cell Broadcast können gezielt Leute gewarnt werden, die sich in einem bestimmten gefährdeten Gebiet aufhalten. Bei einer SMS hingegen müsste erst der Wohnort einer Person ausfindig gemacht werden – was datenschutzrechtlich äußerst bedenklich wäre.
Zudem würde man durch eine wohnortspezifische Nachricht Touristen, Reisende oder Pendler mit einem anderen Wohnsitz nicht erreichen. Cell Broadcast hingegen warnt nur die Menschen vor Ort – und lässt damit auch Anwohner außen vor, die sich beispielsweise woanders im Urlaub befinden.
Darum gibt es kein Problem mit dem ‧Datenschutz
Besonders wichtig ist die Unterscheidung zur SMS aber für den Datenschutz. Denn es gibt in Deutschland durchaus Gegner des Systems. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) etwa verwies kürzlich in der „Bild“-Zeitung auf Datenschutzbedenken. Zwar steht der Schutz der Bevölkerung an oberster Stelle, so Scheuer. Es gebe aber auch eine „Datenverantwortung“, so Scheuer.

Für ihn ist Cell Broadcast für den Datenschutz vollkommen unbedenklich, solche Argumente seien „vorgeschoben“.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber dagegen widerspricht auf Anfrage der Behauptung, dass es datenschutzrechtliche Bedenken gebe und sieht das Argument als Schutzbehauptung, um von Versäumnissen abzulenken. „Der Datenschutz soll schon wieder als Ausrede herhalten, um von möglichen Versäumnissen abzulenken“, sagte Kelber dem Handelsblatt
„In der öffentlichen Debatte werden leider gerade einige der Fakten durcheinandergeworfen.“ Cell Broadcast sei im Gegenteil sehr datenschutzfreundlich.
Auch der technologiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Mario Brandenburg, sagt: „Wenn Datenschutzbedenken oder hohe Kosten gegen Cell Broadcast ins Feld geführt werden, dann verdeutlichen diese Argumente ein fehlendes Verständnis für digitale Katastrophenwarnsysteme.“
Der Grund für solche Aussagen: Cell Broadcast ist eben gerade keine Massen-SMS. Eine SMS wird immer einem einzelnen Empfänger zugeordnet, weshalb der Anbieter auch Informationen darüber braucht, welches Handy er konkret ansteuern soll. Beim Cell Broadcast hingegen werden alle Handys im Umkreis informiert und deshalb keine spezifischen Empfängerdaten geteilt.
Deswegen wird die Technologie unter Datenschützern auch als unbedenklich eingestuft. „Es werden keine Daten der Bürgerinnen und Bürger verarbeitet“, sagt Kelber. Er hält die Technologie deshalb „aus Sicht des Datenschutzes für den Katastrophenfall für eine sehr sinnvolle Technologie“.
In diesen Ländern wird das System schon angewendet
Cell Broadcast kommt etwa in den USA und in Neuseeland, aber auch in EU-Mitgliedstaaten wie den Niederlanden, Rumänien oder Litauen als nationales Warnsystem zum Einsatz. Im Vereinigten Königreich soll das System wegen der Corona-Pandemie im Sommer 2021 eingeführt werden. Die Alarmkanäle tragen unterschiedliche Namen wie Emergency Alert System (USA) oder NL-Alert (Niederlande).
Die EU arbeitet derzeit an einem System, das ab 2022 europaweit im Katastrophenfall zum Einsatz kommen soll – auch hierfür soll unter anderem Cell Broadcast zum Einsatz kommen. Bis dahin müsste Deutschland sich also ohnehin mit der Technologie als flächendeckendes Warnsystem auseinandersetzen.
Das ist jetzt nötig, um Cell Broadcast einzuführen
Die wesentlichen Faktoren sind Zeit und Geld. Die Telekommunikationsanbieter geben an, dass die Einführung der Technik mehrere Monate in Anspruch nehmen könnte. Zudem bräuchte es einen konkreten Auftrag mit konkreten Vorgaben.
„Grundsätzlich ist es so, dass die Ausgestaltung des Katastrophenmanagements in Deutschland in der Verantwortung der Behörden liegt“, lässt etwa Telefónica mitteilen. Der Netzbetreiber stünde „für einen Dialog zur Implementierung und Ausgestaltung des Verfahrens zur Verfügung“.
Dass ein solcher Dialog bald anstehen könnte, dafür sprechen auch die Aussagen von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Er forderte am Donnerstag, die Technik bundesweit einzuführen, und fügte hinzu: „Wenn es bundesweit nicht geht, wird Nordrhein-Westfalen den Weg dafür ebnen.“
Von der Komplexität der Vorgaben hinge auch ab, wie viel Zeit genau benötigt würde und was das Vorhaben kosten würde, heißt es von den Netzbetreibern. Das BBK geht von 20 bis 40 Millionen Euro allein für die Startinvestitionen aus.
Zudem müssten rechtliche Unklarheiten beseitigt werden wie etwa die Frage, wie die Schnittstelle zwischen Katastrophenschutz und den Mobil‧funk‧anbietern gesteuert würde und wer für die übermittelte Information letztendlich verantwortlich wäre. Auch Missbrauch wie Phishingnachrichten durch Hacker sei eine Gefahr, sodass vor einer Inbetriebnahme auch solche Sicherheitsbedenken geklärt werden müssten.
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