Christian Lindner und Angela Merkel Ein ungleiches Paar

Keine öffentlichen Sympathiebekundungen.
Berlin Den Ton für die Sondierungsgespräche mit Union und Grünen setzte Christian Lindner bereits vor dem ersten Treffen. Angela Merkel solle in den Gesprächsrunden nicht als Frau Bundeskanzlerin, sondern als Frau Dr. Merkel angeredet werden, so die interne Ansage des FDP-Vorsitzenden. In der Parteiführung wurde das auch als Empfehlung für öffentliche Pressestatements aufgefasst. Die Logik dahinter: Merkel sitzt in den Sondierungsgesprächen nicht in ihrer Rolle als amtierende Bundeskanzlerin, sondern als Parteivorsitzende, die um eine Mehrheit wirbt. Bloß keinen übertriebenen Respekt aufkommen lassen.
53 Tage sind seit der Bundestagswahl ins Land gezogen. In der Nacht von Donnerstag auf den heutigen Freitag haben die Parteivorsitzenden versucht, das Feld zumindest für formale Koalitionsverhandlungen zu ebnen. In den Wochen zuvor hatte sich alles um einen waidwunden CSU-Chef Horst Seehofer gedreht, um seinen bockigen Landesgruppenchef Alexander Dobrindt oder den grünen Selbstdarsteller Jürgen Trittin. Eine Beziehung blieb dabei nahezu unbeobachtet: Angela Merkel und Christian Lindner. Auf den ersten Blick ein trotz aller inhaltlichen Differenzen harmonisches schwarz-gelbes Paar. Doch auch wenn sich die Jamaika-Sondierer zusammenraufen: Einfach wird es nicht zwischen den beiden. Hier Merkel, eine Aussitzkünstlerin wie einst Helmut Kohl. Dort der hungrige, ungeduldige Lindner. Hier der leidenschaftliche Porsche-Fahrer, der zu jedem Termin wie aus dem Ei gepellt erscheint. Dort die Pastorentochter aus Mecklenburg-Vorpommern, die so gerne Kartoffelsuppe kocht. Man kann sich ihr Kopfschütteln vorstellen, wenn sie an den twitternden Lindner in seinem weißen Sport-Shirt denkt. Der 38-Jährige, der morgens eine Stunde auf die Ruderbank geht, um fit zu bleiben. Die Kanzlerin, die jedes Jahr gemütlich durch die Berge wandert.
Lindner und Merkel trennt vieles in ihrer Sicht auf die Politik. Der FDP-Chef will die Kontinuität der seit Jahren andauernden Ära Merkel aufbrechen. Merkel IV, so Lindners Überzeugung, darf nicht wie Merkel I, II oder III werden. Der Dampfmacher stößt auf eine innenpolitisch erschlafft wirkende Kanzlerin, der ein „Weiter-so“ völlig genügen würde.
Doch genau darauf glaubt sich die FDP nicht einlassen zu können. Die Unschärfe der Union, das Merkel’sche System des Durchwurstelns, mache auch die FDP klein, so die Befürchtung führender Liberaler.
Dementsprechend herrscht eine Distanziertheit zwischen Lindner und Merkel, die sich in den Sondierungsgesprächen widerspiegelt. Verhandlungsteilnehmer erzählen von Wortgefechten, die eigentlich keine sind, weil Merkel nie zurückholzt. Lindner etwa hakte nach, als sich die CDU-Vorsitzende schwammig zur Zukunft der Europäischen Union äußerte: „Wie ändert sich Ihr Auftreten in Brüssel durch diese Formulierung ganz konkret?“ Das ist einerseits eine ungewohnt direkte Ansprache für Merkel, die in solchen Momenten sichtlich genervt wirkt. Allerdings lässt sie sich von solchen Attacken kaum aus der Reserve locken und beantwortet Lindners Frage natürlich nicht konkret. Die Frau hat bei Kohl das Aussitzen und Abtropfenlassen gelernt. Das geht nun schon seit Wochen so. Bellende Hunde beißen nicht, heißt es bei der Union über den FDP-Vorsitzenden. „Eine Einschätzung, die Lindner auf die Palme bringt“, sagt ein erfahrener FDP-Mann.
Es überwiegt nach wie vor das Misstrauen
Merkel und Lindner sind ein ungleiches Paar. Guido Westerwelle und Merkel waren auch ein ungleiches Paar, aber zumindest eine Zeit lang Wunschpartner. Zu schwarz-gelben Zeiten fürchteten die Liberalen die sonntäglichen Teestunden von Merkel und Westerwelle. Sie führten meist dazu, dass er seinen Parteifreunden am Montag im Präsidium erklärte, welche Positionen der FDP geräumt wurden. Westerwelles Nachfolger Philipp Rösler wollte zuerst Merkel in den Kochtopf setzen und wurde dann von ihr abgekocht. Das soll Lindner nicht passieren. Er und Merkel schätzen die Professionalität des jeweils anderen. Lindner respektiert die politische Leistung ihrer Kanzlerschaft. Es gibt bilaterale Absprachen zwischen den beiden. Doch es überwiegt nach wie vor das Misstrauen. Christian Lindner steckt das FDP-Trauma noch in den Knochen. Wie viele andere erinnert er sich an die hastig geführten Koalitionsverhandlungen 2009 zwischen Union und FDP, an die von der Union zunichtegemachten Steuerversprechen und an die erbärmliche Zweitstimmenkampagne der alten FDP-Führung, die von Merkel auch noch torpediert wurde. Lindner will Augenhöhe mit Merkel herstellen.
Im Poker um die künftige Regierung gehen beide nicht zimperlich miteinander um. Lindner attestierte Merkel gleich zu Beginn der Jamaika-Gespräche, sie habe nach dem schwachen Ergebnis der Union bei der Bundestagswahl „einen deutlich spürbaren Autoritätsverlust“ erlitten. Er „erwarte, dass in der CDU in den nächsten vier Jahren eine Debatte über die Nachfolge von Angela Merkel eröffnet wird“. CDU-Generalsekretär Peter Tauber bescheinigte Lindner bereits im Wahlkampf, er wäre ein Gauland in überteuerten Maßanzügen. Dass Tauber diese Polemik ohne Absprache mit Merkel in die Welt gesetzt hat, glaubt in der FDP bis heute niemand. Im Kanzleramt wird schon mal über den „Polit-Zocker“ Lindner gelästert.
Andere FDP-Verhandler wie Wolfgang Kubicki sind dem Charme der CDU-Vorsitzenden bereits erlegen: „Allmählich werde ich zum Fan von Angela Merkel und ihrem wunderbar trockenen Humor“, sagte er jüngst. Kubickis grüner Jamaika-Kumpel aus Schleswig-Holstein, Robert Habeck, sprach schon von Merkel als „Chefin“. Ein solcher Satz ist Lindner noch nicht über die Lippen gekommen. Habeck entgegnete er: Es gebe keine Chefs und Chefinnen in den Sondierungen.
Unvergessen ist auch die Veröffentlichung des ersten Sondierungspapiers über das schwierige Thema Finanzen durch Lindner auf Twitter. Merkel ließ streuen, sie sei darüber nicht erfreut. Lindner hatte in die Runde gefragt, ob jemand etwas gegen eine Veröffentlichung hätte. Niemand widersprach, auch die Kanzlerin nicht. Sie hatte aber eher an eine Pressemitteilung gedacht. Die Anekdote zeigt den Kontrast: Auf der einen Seite Lindner, der als Digital Native seine Partei mit einem Social-Media-Wahlkampf triumphal zurück in den Bundestag brachte. Der locker als Chief Information Officer bei Internetriesen wie Facebook durchgehen könnte. Auf der anderen Seite die Kanzlerin, die zwar jedes Jahr tapfer den IT-Gipfel eröffnet, aber ansonsten das Thema Digitalisierung ebenso pflichtschuldig abarbeitet wie den neuesten Raumordnungsbericht.
Schon als Lindner noch Generalsekretär war, hatten beide Probleme mit ihrer Kommunikation. Offensichtlich hatte Merkel den aufstrebenden FDP-Star nicht ernst genommen. So etwas nagt an jedem Politiker. Selbst der Vollprofi Lindner dürfte daran geknabbert haben. Nur sein überraschender Rücktritt passte nicht in ihr Konzept, trug aus ihrer Sicht sicherlich zur Destabilisierung der schwarz-gelben Koalition bei. Ob sie ihm das persönlich übel nahm, ist nicht bekannt.
Vom „feinen Herrn A“ ist die Rede
Im Kanzleramt setzt man darauf, dass ein Bundesfinanzminister und Vizekanzler Lindner die ersten eineinhalb Jahre mit sich selbst beschäftigt wäre. Doch Lindner überlegt, Fraktionsvorsitzender zu bleiben und die Position zu einer Art Nebenregierung mit regelmäßigen Koalitionsausschüssen auszubauen. Die Idee kam von Lindners väterlichem politischen Ratgeber, dem FDP-Finanzexperten Hermann Otto Solms. In der Regierung Kohl gab es ein Vorkabinett, in dem die eigentlich wichtigen Entscheidungen getroffen wurden. Merkel hat solch ein Nebenmachtzentrum immer verhindert. Das passt zu ihrem Regierungsstil, aber nicht zu Lindners Vorstellung von Politik, denn die schiere Größe des Bundeskabinetts verhindert, dass dort effektiv um Kompromisse gerungen werden kann.
Noch Anfang der Woche überlegte Lindner, die Sondierungsgespräche einfach platzen zu lassen, wie FDP-Verhandler erzählen. Die wohl von Merkel unterstützten Überlegungen, das Bundesfinanzministerium so klein zu schneidern, dass am Ende von der einstigen Machtfülle nichts übrig bliebe, regt die FDP noch heute auf. Vom „feinen Herrn A“ ist die Rede, der sich das alles ausgedacht habe. Gemeint ist Kanzleramtschef Peter Altmaier, der damit auf die Ankündigung Lindners reagierte, jede Partei dürfe das Bundesfinanzministerium übernehmen, nur nicht die CDU. Die Frechheiten Lindners kommen auf dem Dienstweg zurück.
Was bei der FDP noch mehr für Unverständnis sorgt, ist das Kleinhäckseln der liberalen Steuerpläne durch die Union. Schon 2009 erklärten die konservativen Steuerpolitiker, allen voran Thomas de Maizière und später dann als Finanzminister Wolfgang Schäuble, die von der FDP geforderten milliardenschweren Steuersenkungsversprechen für nicht finanzierbar. Und so blieb am Ende als größter Erfolg von vier Jahren Regierungsbeteiligung die Liberalisierung des Fernbusmarkts – und die FDP flog 2013 aus dem Bundestag.
Lindner will um jeden Preis vermeiden, dass sich die Geschichte wiederholt. Die Wahrscheinlichkeit ist zwar noch immer hoch, dass es zu einer Jamaika-Regierung kommt. Doch für Lindner ist es nur schwer vorstellbar, alte Politikrituale fortzusetzen. Warum, fragt er sich, sollte er etwa an der alljährlichen Kabinettsklausur in Schloss Meseberg teilnehmen? Merkel war gefühlt schon immer auf den Bildern des Treffens, nur die Vizekanzler neben ihr wurden ausgetauscht.
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