Wie nur hat es die Soziologin Benner hierher verschlagen? Nach dem Abitur machte sie eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin bei der Carl Schenck AG in Darmstadt, war Vorsitzende der Jugend- und Ausbildungsvertretung, später Betriebsrätin und kam so in Kontakt mit der IG Metall. Nach Abschluss ihres Soziologiestudiums stieg sie dann voll bei der Gewerkschaft ein.
Zurück zur Podiumsdiskussion in Düsseldorf. Zu Beginn der Veranstaltung scannt Benner das Publikum. Erkennt sie jemanden, sucht sie Augenkontakt und hebt ihre Hand ein paar Zentimeter zu einem Hallo. Netzwerke sind in der Gewerkschaft entscheidend. Im siebenköpfigen Vorstand sitzt neben Benner nur noch eine Frau, Irene Schulz.
Die sieben Bezirksleiter sind ausnahmslos Männer. Seitdem Benner da ist, tut sich aber etwas. „Gerade in den zwei vergangenen Jahren sind viele Geschäftsführerinnen in den Regionen gewählt worden“, sagt sie. Sie könnten im nächsten Schritt Bezirksleiterinnen werden.
Als Zeichen dafür hängen in ihrem Büro in Frankfurt zwei Retro-Metallschilder an der Wand. Eines zeigt Rosie the Riveter, eine US-Werbefigur zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Sie warb im Blaumann mit hochgekrempelten Ärmeln und gestreckter Faust für mehr Frauen in der Rüstungsindustrie. „We can do it!“ steht darüber.
Auf dem zweiten Metallschild ist ein Mann zu sehen, der ein Baby trägt. „Das muss auch gehen“, kommentiert Benner ihre Dekoration. Auf dem Podium in Düsseldorf versuchen Benner und Clever, den Gästen die aktuelle Tarifdebatte zu erläutern. Benner spricht doppelt so viel wie der Arbeitgebervertreter. Mit ihren Händen strukturiert sie, was sie sagt: erstens, zweitens, drittens. Der Moderator wird ungeduldig und bittet sie, zum Ende zu kommen. Benner bringt unbeirrt ihre Ausführung zu Ende. Erst dann signalisiert sie mit einem Nicken: Ich bin fertig.
Eine für die Hofmann-Nachfolge?
Viele fragen sich, wann für Benner der nächste Karrieresprung ansteht. Traditionell wird bei der IG Metall der Zweite irgendwann zum Ersten Vorsitzenden. Doch beim Gewerkschaftstag, der Sonntag beginnt, stellt sich IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zur Wiederwahl. Benner muss also warten. Und es ist auch nicht sicher, ob sie den Spitzenjob später bekommt. Denn auch unter den Bezirksleitern gibt es durchaus Ambitionen.
Von ihnen will denn auch keiner öffentlich kommentieren, ob Benner das Zeug zur Ersten Vorsitzenden hätte. Keine Personalfragen so kurz vor dem Gewerkschaftstag, heißt es. Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagt: „Sie ist extrem charmant und eloquent. Aber das darf man keineswegs falsch bewerten. Sie weiß genau, was sie will.“
In Düsseldorf sammeln die Moderatoren Fragen aus dem Publikum. Eine Teilnehmerin will wissen, warum nicht der Staat Tarifverträge regelt. Als Benner antworten soll, schaut sie erst den Moderator an und sagt dann: „Ich habe verstanden, dass ich mich kurz fassen soll.“
Ein Schmunzeln geht durch den Raum. Der Gesichtsausdruck des Moderators entspannt sich. Und dann antwortet Benner doch sehr ausführlich. Die Schultern des Moderators sacken leicht ein. Er hat kapituliert.
„Frauen in Führungspositionen zu bringen ist strukturelle Arbeit“, sagt Benner. In der Gewerkschaft ist sie neben dem Personal auch für Zielgruppenarbeit und Gleichstellung zuständig. Sie setzt auf Netzwerke und gezielte Förderung. „Das gilt sowohl für Betriebe als auch für die IG Metall selbst.“ Sie selbst ist im Frauennetzwerk der Gewerkschaft aktiv.
Überhaupt ist Benner wichtig, dass Menschen sich gegenseitig unterstützen. Vielleicht komme das aus der Kindheit, mutmaßt sie. „Meine Mutter hatte eine typische Frauenerwerbsbiografie.“ Arzthelferin, kleine Nebenjobs. Während des Studiums habe sie ihrem Mann finanziell den Rücken freigehalten, danach war er der Hauptverdiener. Nach der Scheidung stand sie allein mit zwei Kindern da. Diese Ungerechtigkeit habe sie geprägt, sagt Benner.
Im Berufsleben wurde sie immer wieder gefördert und unterstützt – „auch von Männern“. Innerhalb der Gewerkschaft ist ihr der Rückhalt ohnehin gewiss. Mit großer Mehrheit – 91,6 Prozent, und damit 0,6 Punkte mehr als Hofmann – wurde sie 2015 zur Vizechefin gewählt. Ob sie nicht gerne schon jetzt Erste Vorsitzende geworden wäre? „Nein, das Team bringt uns jetzt Stabilität“, sagt sie. „Außerdem bin ich noch jung.“
Benners Kontrahent Clever ist mittlerweile vom Tisch weggerückt. Die Gewerkschafterin spricht, schaut von rechts nach links in den Saal, als wolle sie kontrollieren, ob ihr die Zuhörer wirklich folgen. Als der Moderator sich regt und zum Mikro greift, kommt sie ihm zuvor. „Ich weiß, kurz fassen“, sagt sie. Dann lächelt sie und holt doch erneut aus. Sie lässt sich nicht moderieren. Sie übernimmt.
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