„Dann wurde die Versorgung mit Impfstoffen schlecht organisiert, mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaft sich nur sehr zögerlich erholt.“ Und er fügte hinzu: „Die Pandemie ist in Europa insgesamt vergleichsweise schlecht gemanagt worden.“
Der Ifo-Chef übte zudem Kritik an übermäßigen staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft. Zwar müsse der Staat in einer schweren Krise handeln. Die Erholung nach der Krise erfordere aber primär privates Engagement und Unternehmertum. „Der Staat hat hier die Aufgabe, wichtige Infrastrukturen und rechtliche Rahmenbedingungen bereitzustellen, aber er soll unternehmerische Entscheidungen und Marktprozesse nicht ersetzen oder dirigistisch steuern“, erklärte Fuest.
„Wir sehen etwa in der Klimapolitik einen überzogenen Interventionismus, der dem Klima nicht nützt und der Wirtschaft eher schadet.“ Die Herausforderung liege darin, staatliches Handeln und Marktprozesse intelligent zu kombinieren. Fuest bemängelte: „Derzeit schlägt das Pendel meines Erachtens zu sehr in die Richtung staatlicher Eingriffe, wir erleben eine Art Neodirigismus, der mir Sorgen macht.“
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Herr Fuest, die deutsche Wirtschaft wächst in diesem Jahr laut Bundesregierung um 3,5 Prozent. Damit fällt die Erholung vor allem im Vergleich zu den USA und China bescheiden aus. Was sind die Gründe?
In China ist es gelungen, die Infektionslage vergleichsweise schnell unter Kontrolle zu bringen. Deshalb hat die Wirtschaft sich dort schneller erholt. In den USA war der Wachstumseinbruch 2020 nicht geringer als in Deutschland, aber 2021 läuft es dort deutlich besser, vor allem weil Amerika die Impfungen schneller organisiert. Hinzu kommen die massiven Konjunkturprogramme, mit denen die Erholung befeuert wird.
In Europa insgesamt sieht die Lage nicht besser aus als in Deutschland. Hat der Kontinent im Krisenmanagement versagt?
Viele europäische Länder haben spät und unentschlossen auf die Pandemie reagiert und eine Art Mittelinzidenzstrategie verfolgt, die uns im Dauerlockdown hält. Dann wurde die Versorgung mit Impfstoffen schlecht organisiert, mit dem Ergebnis, dass die Wirtschaft sich nur sehr zögerlich erholt. Die Pandemie ist in Europa insgesamt vergleichsweise schlecht gemanagt worden.
Was müsste die Bundesregierung jetzt tun, um die Wachstumskräfte zu stärken?
Kurzfristig ist es entscheidend, die Infektionen zu senken. Zentral ist dafür nach wie vor eine Beschleunigung der Impfungen, allerdings brauchen wir für die kommenden Wochen weiterhin eine Beschränkung sozialer Kontakte. Mittelfristig brauchen wir attraktive und verlässliche Bedingungen für private Investitionen ebenso wie öffentliche Investitionen in die Verbesserung der Infrastruktur und die Digitalisierung des öffentlichen Sektors.
Prioritäten der neuen Bundesregierung
In den letzten vier Merkel-Monaten wird voraussichtlich nicht mehr viel passieren. Was sollten die Prioritäten einer neuen Bundesregierung sein?
Die neue Bundesregierung sollte vier Themen in den Mittelpunkt stellen: Die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise, die mittelfristige Sicherung inklusiven Wohlstands, den Umwelt- und Klimaschutz und die europäische Integration. Die Pandemie hinterlässt stark gestiegene Staatsschulden, Bildungsdefizite und einen beschleunigten Strukturwandel, vor allem einen Digitalisierungsschub. Um das zu bewältigen brauchen wir nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die besondere Unterstützung vor allem junger Menschen aus bildungsfernen Gruppen.
Im Moment liegen die Grünen in den Umfragen vorn. Wie sehen Sie eine mögliche Kanzlerschaft Baerbocks? Was würde das für den Wirtschaftsstandort bedeuten?
Es kommt darauf an, welche Wirtschaftspolitik die Koalition unter einer Kanzlerin Baerbock verfolgen würde. Im Programmentwurf der Grünen stehen Ideen, die für die ökonomische Entwicklung positiv sind, etwa mehr öffentliche Investitionen. Die vorgesehene Steuerpolitik würde die wirtschaftliche Erholung mit einer Erhöhung des Einkommen-Spitzensteuersatzes und der Einführung einer Nettovermögensteuer aber belasten und Investoren eher vergraulen. Zwar soll es bei der Vermögensteuer Ausnahmen für Unternehmen geben, damit wird die Steuer aber ungerecht. Es bleibt abzuwarten, wie das endgültige Programm aussieht.
Wir sehen auch eine Zweiteilung der Wirtschaft. Während mittlere und kleinere Unternehmen stark leiden, geht es den Konzernen sehr gut. Setzt die Politik falsche Prioritäten?
Es gibt durchaus große Unternehmen, die von der Pandemie stark getroffen sind, zum Beispiel Tui oder die Lufthansa. Die besonders belasteten Branchen wie Gastronomie oder der Präsenz-Einzelhandel sind stark mittelständisch geprägt. Das ist keine Politik gegen kleine Unternehmen. Es ist eher so, dass diese Unternehmen besonders unter dem misslungenen Pandemiemanagement leiden, das uns im Dauerlockdown hält.
Wie beurteilen Sie ein mögliches Auslaufen der Insolvenzantragspflicht Ende April? Käme das zu früh – oder wäre es sogar begrüßenswert, weil wir sonst eine Zombiewirtschaft schaffen?
Je länger die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt bleibt, desto triftiger sollten die Gründe dafür sein. Die Debatte über Zombieunternehmen in Deutschland halte ich allerdings für überzogen. Wir werden auch künftig Restaurants und Hotels brauchen. Solange die Pandemie eine Rückkehr zur Normalität verhindert, ist es schwer zu sagen, welche Unternehmen eine Zukunft haben und welche nicht.
Aber ausgerechnet im Krisenjahr 2020 gab es weniger Insolvenzen als in den Vorjahren. Kann das aus marktwirtschaftlicher Perspektive eine gesunde Entwicklung sein?
Dafür gibt es Gründe: die umfangreichen staatlichen Hilfen, die Aussetzung der Pflicht zum Insolvenzantrag unter bestimmten Bedingungen und den Umstand, dass die Pandemie unterschiedliche Branchen sehr unterschiedlich trifft. Viele Unternehmen haben gelernt, mit den schwierigen Bedingungen zurechtzukommen.
Der Einfluss des Staats wächst mit der Pandemie überall – selbst in den USA, seit Joe Biden Präsident ist. Sehen Sie generell eine Tendenz zu mehr Staatsgläubigkeit und ein Misstrauen gegenüber marktwirtschaftlichen Mechanismen? Und: Besorgt Sie das?
Ja. In einer schweren Krise sind entschlossene staatliche Eingriffe erforderlich. Die Erholung nach der Krise erfordert aber primär privates Engagement und Unternehmertum. Der Staat hat hier die Aufgabe, wichtige Infrastrukturen und rechtliche Rahmenbedingungen bereitzustellen, aber er soll unternehmerische Entscheidungen und Marktprozesse nicht ersetzen oder dirigistisch steuern. Wir sehen etwa in der Klimapolitik einen überzogenen Interventionismus, der dem Klima nicht nützt und der Wirtschaft eher schadet. Die Herausforderung liegt darin, staatliches Handeln und Marktprozesse intelligent zu kombinieren. Derzeit schlägt das Pendel meines Erachtens zu sehr in die Richtung staatlicher Eingriffe, wir erleben eine Art Neodirigismus, der mir Sorgen macht.
Herr Fuest, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Fuest und Fratzscher im Podcast Handelsblatt Today: Welche Corona-Strategie hilft der Wirtschaft?
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Das hängt auch immer davon ab, wo wir uns mit vergleichen! In Deutschland macht der Förderalismus (der sich bisher sicherlich meistens bewährt hat) aktuell Probleme - in der EU ist es in komplexerer Form noch ausgeprägter! Da haben es andere, wie China usw. einfacher. Die Frage ist: was wir wollen!