Corona-App Bundesregierung rückt von favorisiertem Standard für Corona-Warn-App ab

Die Regierung hat nun drei unterschiedliche technische Konzepte in der näheren Auswahl für die App.
Berlin Die Bundesregierung sorgt mit ihren Plänen für eine Corona-Warn-App für Unmut unter Digitalpolitikern. Der Grund: Die Regierung hat nun drei unterschiedliche technische Konzepte in der näheren Auswahl für die Anwendung, obwohl sie sich eigentlich schon in einem gemeinsam mit den Bundesländern gefassten Beschluss auf den Pepp-PT-Standard festgelegt hatte, der von 130 europäischen Wissenschaftlern erarbeitet worden war, darunter auch Forscher des Robert Koch-Instituts.
Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warf der Bundesregierung vor, mit ihrem Vorgehen für „große Verwirrung“ zu sorgen. „Über die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung kann man sich echt nur wundern“, sagte vor Notz dem Handelsblatt.
„Bisher hieß es immer, auch die Bundesregierung würde einen zentralen Ansatz der Datenspeicherung verfolgen“, fügte der Grünen-Politiker mit Blick auf die ursprüngliche Festlegung auf den Pepp-PT-Standard hinzu. „Dementsprechend war die Verunsicherung bereits groß, denn ein solcher Ansatz lässt Raum für das Anflanschen weiterer, bisher nicht bekannter Funktionen.“ Diese könnten durchaus sinnvoll, in anderen Fällen aber auch „grundrechtlich bedenklich“ sein.
Wegen der Datenschutzfrage war das Pepp-PT-Projekt in den vergangenen Tagen in die Kritik geraten. Rund 300 Experten unterzeichneten einen offenen Brief, in dem sie vor der Gefahr von Überwachung und Missbrauch bei einer zentralisierten Speicherung von Daten warnten. Sie unterstützen mehrheitlich das DP-3T-Konzept, das vorsieht, die Daten dezentral auf den Smartphones abzulegen.
Befürworter der zentralen Speicherung sehen beim dezentralen Ansatz als Nachteil, dass die vernetzten Smartphones ständig sensible Daten untereinander austauschen müssen.
„Das von der Bundesregierung unterstützte Pepp-PT-Projekt ist in eine echte Vertrauenskrise geraten“, sagte von Notz. „Durch ihre bis heute extrem intransparente Vorgehensweise, ständige Terminverschiebungen und widersprüchliche Aussagen trägt die Bundesregierung hieran eine große Mitschuld.“
Von Notz warnt deshalb: „Die Corona-App droht derzeit ein weiteres von vielen Kapiteln des Scheiterns der Bundesregierung in praktisch allen digitalpolitischen Fragen zu werden.“
Dem will die Regierung entgegenwirken, indem sie sich für mehrere technische Plattformen für die Corona-App öffnet. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg (Linke) hervor.
Danach „betrachtet und bewertet“ die Bundesregierung nicht nur das Konzept des Projekts Pepp-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing), sondern auch den rivalisierenden Ansatz DP-3T (Decentralized Privacy Preserving Proximity Tracing) sowie die in Österreich eingesetzte Lösung der Accenture GmbH.
SPD-Chefin sorgt sich um Akzeptanz bei Warn-App
Die Bundesregierung betonte, sie ziehe ausschließlich eine Nutzung der Corona-Tracking-App auf freiwilliger Basis in Betracht. Modelle und digitale Anwendungen müssten den Vorgaben des Datenschutzrechts entsprechen, bei denen die Datenverarbeitung auf Basis einer Einwilligung erfolge. Es dürften auch keine Standortdaten erhoben werden.
Außerdem müssten höchstmögliche IT-Sicherheitsstandards eingehalten werden, die Information der betroffenen Personen müsse anonym erfolgen. Weiterhin solle das Modell anwenderfreundlich konzipiert und technisch geeignet sein, eine epidemiologisch nachvollziehbare Kontaktverfolgung zu ermöglichen.
Die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, fürchtet angesichts des Expertenstreits über den Umgang mit Nutzerdaten negative Auswirkungen auf die Akzeptanz einer Warn-App. „In einer offenen, demokratischen Gesellschaft wird es nicht gelingen, eine Debatte wie die um das beste Datenschutzkonzept für die geplante Corona Contact Tracing App zur Nachverfolgung von Kontakten zu beenden, indem man kritischen Stimmen den Mund verbietet“, sagte Esken dem Handelsblatt.
„Wenn es nicht gelingt, das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Privatsphäre zu gewinnen, dann wird die App ihr Ziel nicht erreichen, denn möglichst viele sollen sie freiwillig nutzen.“ Deshalb müssten alle Beteiligten sich jetzt darum bemühen, „ihren Teil zur Vertrauensbildung beizutragen, und das beginnt mit maximaler Transparenz und offener Kommunikation“, so Esken.
Kritik an Spahn-Vorstoß für Quarantäne-App
Esken verlangte vom Pepp-PT-Konsortium, auf die Kritiker zuzugehen. Die Wissenschaftler müssten „öffentlich darlegen, warum eine dezentrale Auflösung der anonymen Identitäten die Zielsetzung der App vermeintlich infragestellt“, sagte sie. „Das ist auch mir bisher nicht verständlich.“
Scharfe Kritik äußerte Esken an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Dieser sollte „nicht jeden Tag eine neue Corona-App – wie etwa die zur Quarantäne – ins Spiel bringen und dabei mit Begriffen wie Überwachung und Kontrolle neuen Anlass zum Misstrauen geben.“
Neben der viel diskutierten Tracing-App bringt hatte Spahn am Montag eine zusätzliche Quarantäne-App ins Spiel gebracht, mit der Kontaktpersonen von Corona-Infizierten informiert werden sollen.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Manuel Höferlin (FDP). „Die Menschen müssen der Technologie vor allem vertrauen, sonst wird die App keinen Erfolg haben“, sagte Höferlin dem Handelsblatt. „Deshalb ist es nicht hilfreich, wenn Gesundheitsminister Spahn alle paar Tage eine weitere App für weitere Anwendungsgebiete ins Spiel bringt und damit Befürchtungen vor Datenmissbrauch oder vor staatlicher Überwachung befeuert.“
Denn am Ende wisse in diesem „Durcheinander“ niemand mehr, worüber gerade gesprochen werde und worin der Nutzen bestehe. „Ich erwarte deshalb von der Bundesregierung, dass Sie endlich offenlegt, was ihre genauen Pläne mit einer Contact Tracing App sind und welche weiteren digitalen Anwendungen sie plant.“ Die Große Koalition stehe vor ihrer nächsten digitalen Bewährungsprobe in der Coronakrise. „Die App zum Contact Tracing muss jetzt kommen, sonst haben wir am Ende einen Corona-Impfstoff schneller entwickelt als eine App, nur weil sich die Beteiligten nicht einigen können.“
Linke erinnert Bundesregierung an Empfehlungen der EU-Kommission
Höferlin mahnte in diesem Zusammenhang, sich jetzt nicht von der „typischen German Angst“ einholen zu lassen, sondern das Ziel fest im Auge zu behalten. „Für mich braucht es eher heute als morgen eine auf Freiwilligkeit basierende App, die sicher Privatsphäre schützt und dabei hilft, relevante Kontakte zu nachweislich Infizierten zu identifizieren“, sagte der FDP-Politiker.
Der Grünen-Politiker von Notz sieht die Debatte inzwischen an einem Punkt, „an dem kaum noch Nutzervertrauen übrig ist und die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass die staatliche Corona-App letztlich niemand nutzt“.
Die Bundesregierung komme aus dem Dilemma des selbstverschuldeten Vertrauensverlustes absehbar nur wieder heraus, „wenn sie ab sofort echte Transparenz walten lässt und per eigenem Gesetz glasklar ausschließt, dass Daten irgendwann doch an Dritte gehen und diejenigen, die die App nutzen oder dies bewusst nicht tun, hieraus irgendwelche Vor- oder Nachteile erfahren“.
Anke Domscheit-Berg, die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, riet der Bundesregierung, die Empfehlungen der EU-Kommission und des EU-Parlamentes ernst zu nehmen und nur noch den dezentralen Ansatz weiterzuverfolgen. „Denn nur die Bereitstellung als Open Source, völlige Transparenz im Entwicklungsprozess und die Dezentralität des Datenabgleiches stellen sicher, dass der Datenschutz angemessen berücksichtigt wird“, sagte Domscheit-Berg der Nachrichtenagentur dpa. Nur bei diesem Verfahren würden Qualität und Akzeptanz der App so hoch sein, dass sie effektiv zur Eindämmung der Pandemie beitragen könne.
Mehr: Lesen Sie hier, warum der Streit um die Corona-Warn-App die Digitalverbände alarmiert.
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Durch die Entscheidung für Pepp-PT hat Spahn der App-Lösung den Todesstoß versetzt. Hat die Bundesregierung aus den Desastern bei der Gesundheitskarte und DE-Mail nichts gelernt? Nun bei Erfüllung der höchsten Datenschutzanforderungen wird die Lösung akzeptiert werden. Und diese Anforderungen erfüllt nur eine dezentrale Lösung.
Hier auch noch Apple und Google zu drängen eine zentrale Lösung zu unterstützen ist unglaublich! Wenn man in Deutschland noch auf den Rechtsstaat hoffen kann würde die Öffnung anderen Ländern hier ein absolutes Überwachungswerkzeug liefern.
Mir fehlt übrigens in der ganzen Diskussion eine Aussage von Dorothee Bär, der Staatsministerin für Digitalisierung. Sie sollte den notwendigen Sachverstand haben und ihre Kollegen von der dezentralen Lösung überzeugen.