Corona Der Querulant im Kabinett: Wie Hubert Aiwanger die CSU in Bedrängnis bringt

„Die Entscheidung, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung“.
Berlin Hubert Aiwanger ist ein Mann mit Ambitionen. Der bayerische Wirtschaftsminister und Vorsitzende der Freien Wähler will schaffen, was vor ihm noch keiner geschafft hat: Er will seine Partei im September zum ersten Mal in der Geschichte in den Bundestag führen. Doch von München nach Berlin ist es ein weiter Weg. Das weiß nicht nur Aiwanger, sondern auch sein derzeitiger Chef, Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Beide sind in aktuellen Umfragen recht weit von ihren Wahlzielen entfernt und führen wohl auch deshalb eine scharfe politische Debatte um das ganz große Politikum, das derzeit nicht nur Bayern, sondern ganz Deutschland beschäftigt: Welche Rolle spielt das Impfen bei der Pandemiebekämpfung, und wie viel Druck sollte die Politik auf ihre Bürger dafür ausüben?
Das Dilemma der beiden: Sie müssen sich voneinander abgrenzen, ohne ihre seit 2018 bestehende Koalition platzen zu lassen. Dabei haben sie sich allerdings in einen Konflikt hineinmanövriert, der in der Wortwahl mit jedem Tag an Schärfe gewinnt.
Die öffentliche Debatte begann mit einer Pressekonferenz am 29. Juni, bei der Ministerpräsident Markus Söder die Frage eines Journalisten, welche Mitglieder der Regierung denn mittlerweile gegen das Coronavirus geimpft seien, an den neben ihm stehenden Aiwanger weiterleitete und diesen aufforderte: „Vielleicht sagst du einfach selber was dazu, warum du dich nicht impfen lassen willst.“
Dadurch ging Impfenthusiast Söder in die Offensive und machte öffentlich, was ihm wohl schon seit einiger Zeit schwante: dass er mit seinem Stellvertreter einen Impfskeptiker in den eigenen Reihen hatte.
Aiwanger sah sich gezwungen, die eigene Zurückhaltung vor laufenden Kameras zu rechtfertigen. „Die Entscheidung, ob sich jemand impfen lässt oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Die nehme ich auch für mich in Anspruch“, sagte der 50-Jährige daraufhin.
Bayern mit niedriger Impfquote
Für Söder stellt diese „persönliche Entscheidung“ seines Wirtschaftsministers allerdings ein politisches Problem von nicht zu unterschätzender Tragweite dar. Er selbst hatte sich für mehr Freiheiten für Geimpfte ausgesprochen, etwa beim Besuch von Diskotheken oder der Rückkehr von einer Auslandsreise.
So sollten mehr Menschen zum Impfen animiert werden, denn mit 50,3 Prozent vollständig Geimpfter liegt Bayern hinter den meisten anderen Bundesländern zurück. Für Hubert Aiwanger kein Grund zur Eile, er selbst wolle sich erst noch von einer Impfung überzeugen lassen und verschärfte später in verschiedenen Interviews die rhetorische Gangart.
Er werde „nicht alles tun, was die Mehrheit fordert“ und das „politische Establishment“ von ihm erwarte. Er habe von Nebenwirkungen der Impfung gehört, bei dem ihm „die Spucke weggeblieben“ sei – welche das konkret seien, präzisierte Aiwanger allerdings nicht. Außerdem warnte er vor einer „Jagd auf Ungeimpfte“ und einer „Apartheids-Diskussion“ – ein Begriff, der im Nachhinein für besonders viel Empörung sorgte.
„Unmöglich“ hätte er diese Wortwahl gefunden, sagte Kontrahent Söder am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Gleichzeitig warnte er davor, Positionen anderer Parteien zu kopieren, denn ihm sei aufgefallen, dass AfD-Vorsitzende Alice Weidel „genau die gleiche Wortwahl verwendet“ hätte.
Diesen Fehler hätte er, Söder, selbst schon gemacht. Bereits in einem früheren Interview mit dem „Spiegel“ hatte er davor gewarnt, „an irgendeinem Rand“ nach Wählerstimmen zu fischen, denn: „Die Leute wählen am Ende richtige Querdenker.“
Ansonsten zeigte sich der Ministerpräsident vor allem paternalistisch besorgt um seinen Vize: Er hoffe, dass die Urlaubszeit Aiwanger helfe, um „runterzukommen“. Ein Wink, der Aiwanger wohl zeigen sollte, dass es an der Zeit sei, das Thema erst mal ruhen zu lassen. Der Chef der Freien Wähler ließ sich darauf allerdings nicht ein und legte am Montag nach. Es sei eine Unverschämtheit, ihn als „Querdenker“ abstempeln zu wollen, so Aiwanger.
Aiwangers Äußerungen zur Apartheid sind „unterirdisch“
Mittlerweile ist der Streit zwischen den beiden Vorsitzenden auch auf andere Teile ihrer Parteien übergesprungen. So bezeichnete CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer Aiwangers Äußerungen zur Apartheid im Bayerischen Rundfunk als „unterirdisch“ und fügte hinzu: „Ich glaube, dass Aiwanger gar nicht weiß, was Apartheid ist. Denn wer weiß, was das für ein menschenverachtendes System gewesen ist, würde solch einen Vergleich nie anstrengen.“ Kreuzer vermutet hinter den Äußerungen vor allem wahlkampftaktisches Kalkül: „Minister Aiwanger macht Bundestagswahlkampf“, sagte Kreuzer.
Umgekehrt erhob Aiwanger den gleichen Vorwurf auch gegen die CSU. Auf Twitter schrieb er: „Die CSU hat Angst vor schlechtem Bundestagsergebnis, greift deshalb die Freien Wähler an.“
Fest steht, dass beide Seiten beim momentanen Blick auf die Umfragewerte nicht zufrieden sein können. Während die CSU derzeit bei historisch schlechten 36 Prozent in Bayern liegt, ist für die Freien Wähler die Fünfprozenthürde und somit der Einzug in den Bundestag noch in weiter Ferne. Im Moment liegt Aiwangers Partei bei etwa drei Prozent bundesweit.
Und so müssen sich die Streitenden mit ihren Verbalattacken zügeln, um den Bruch der noch bis 2023 geltenden Koalition in München nicht zu riskieren. So betonte Ministerpräsident Söder im ZDF vorsichtshalber auch immer wieder: „Im Kabinett arbeiten wir gut zusammen.“
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