Corona-Folgen Samstagsunterricht, Nachhilfe, Kurz-Ferien: So wollen die Länder Lernlücken der Schüler schließen

In Kürze sollen in Deutschland wieder die Schulen öffnen. Dann wird sich verstärkt zeigen, ob bei vielen Schülern Wissen fehlt.
Berlin Winfried Kretschmann hatte eine Idee. Um Unterrichtsstoff nachzuholen, der durch die Pandemie verloren gegangen sei, könne man ja „an den Ferien ein bisschen was abknapsen“, etwa in den Sommerferien, schlug der Ministerpräsident von Baden-Württemberg vor. Rückenwind bekam der Grünen-Politiker sofort von Ifo-Präsident Clemens Fuest: Darüber müsse man „ernsthaft nachdenken“, empfahl der Topökonom.
Denn der anhaltende Ausfall des Schulunterrichts habe „massive, messbare Auswirkungen auf Lebenszeiteinkommen“, sagt Fuest. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Kluft zwischen Gut- und Schlechtausgebildeten sich noch vertiefe. Nötig seien besonders Programme für Kinder aus bildungsfernen Haushalten.
Kretschmann hat damit etwas angestoßen, was in vielen Bundesländern noch weitgehend fehlt: eine Planung, wie Corona-bedingte Lernlücken bei Schülern geschlossen werden könnten. Das zeigt eine Umfrage des Handelsblatts.
Doch die beiden hatten die Rechnung ohne Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann gemacht. Eisenmann, zugleich Spitzenkandidatin der CDU bei der Landtagswahl an diesem Sonntag und Kretschmanns Konkurrentin, ließ sofort abwinken. Kürzere Ferien seien der falsche Weg, „wir sollten nicht ein Problem lösen, indem wir neue Probleme schaffen“, sagte ihre Sprecherin.
Ein solcher Vorschlag suggeriere zudem, dass Schüler und Lehrkräfte durch Corona bereits genug gehabt hätten. Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) geißelte Kretschmanns Vorstoß als „unverschämt“. Der Grüne musste denn auch schon wieder zurückrudern: Er habe nur „laut gedacht“, es sei eine Idee von vielen.
Die Übersicht zu den Ideen und Planungen der anderen Länder lesen Sie hier:
Corona-Lücken
Der Handlungsbedarf ist da. Bundesweit kehren im Lauf des März alle Schüler zumindest teilweise wieder in die Schule zurück, hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz angekündigt. Experten warnen seit Monaten, dass vor allem schwächere Schüler nicht mehr mitkommen, teilweise sogar Dinge wieder verlernt haben. Doch eine Strategie, wie sie ihre Corona-Lücken füllen können, gibt es bisher nur in wenigen Ländern.
Die einen planen bereits Kurse, viele andere wollen erst einmal Lernstandsmessungen durchführen – also prüfen, wem wo Wissen fehlt.
Alle hoffen zudem – wie bei der versprochenen Bereitstellung von Laptops für alle bedürftigen Schüler – wieder einmal auf Geld vom Bund. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hatte vage ein Unterstützungsprogramm gegen Corona-Lernlücken angekündigt, doch die Gespräche dazu haben erst begonnen. Angedacht ist offenbar, dass dabei auch private Nachhilfeinstitute eingesetzt werden, heißt es in Baden-Württemberg.
Bis ein Bund-Länder-Konzept spruchreif ist, bastelt jedoch jedes Land zunächst einmal allein an Konzepten.
Der Fall Bayern zeigt dabei, was passieren kann, wenn Ferien gestrichen werden: Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Schulminister Michael Piazolo (Freie Wähler) hatten kurzerhand verfügt, dass die Faschingsferien ausfallen, damit die Schüler eine Woche mehr Online-Unterricht haben und Versäumtes aufholen. Das provozierte Widerstand: Einzelne Schulen reduzierten den Zoom-Unterricht, gaben keine Hausaufgaben auf, mitunter ging die Notbetreuung mit den Kindern zum Rodeln, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.
Rektoren rechtfertigten das mit dem Hinweis auf die pandemiebedingt ausfallenden Ausflüge und Klassenfahrten. Daher gebe es mehr als genug Zeit, Stoff nachzuholen.
„Das ist so nicht vorgesehen“, kritisierte Piazolo den Ungehorsam. Um die Regeln durchzusetzen, hätten Ministeriale sogar Schulen abtelefoniert, berichteten Rektoren. Auf Anfrage des Handelsblatts teilt das Ministerium nun mit, die Schüler hätten ja an Fasching eine Woche zusätzliche Lernzeit gehabt, und überhaupt habe das Ministerium „auch in Pandemiezeiten alle Schüler fest im Blick“. Außerdem wolle man baldmöglichst wieder „Brückenangebote“ wie 2020 machen.
Breites Konzept für Schulen in Hamburg
In den übrigen Ländern sind verkürzte Ferien kein Thema. Besonders weit ist das Nachholkonzept in Hamburg: Die Märzferien vom 1. bis zum 14. dieses Monats sind „Lernferien“ – ebenso wie schon im Sommer und Herbst 2020. Schüler bis zur 9. Klasse können kostenlos in Zehnergruppen täglich drei Stunden lernen – angeleitet von Honorarkräften, Lehrern, Erziehern und Sozialpädagogen.
Da das Programm 2020 von vielen Tausend Schülern angenommen wurde, will Schulsenator Ties Rabe (SPD) es künftig in fast allen Ferien anbieten. Die Volkshochschule habe einen Pool an möglichen Kursleitungen aufgebaut, auf den die Schulen zugreifen können. Daneben plant der Schulsenat ein mittelfristiges Paket zur Lernförderung und will dabei vor allem die Tatsache nutzen, dass in Hamburg alle Schulen Ganztagsschulen sind.
In Rheinland-Pfalz, wo ebenfalls am Sonntag gewählt wird, hat der Landtag 48 Millionen Euro bewilligt, damit die vielen durch die Pandemie nötig gewordenen Lehrervertretungen bezahlt werden können. So soll vollwertiger Unterricht garantiert werden.
Um Lücken zu schließen, arbeitet das Land mit den Volkshochschulen zusammen, die am Nachmittag in Kleingruppen Nachhilfe in Deutsch und Mathe anbieten. Dafür steht eine Million Euro für bis zu 1700 Kurse bereit. Ferienkurse für Schüler mit Deutsch-Problemen werden ausgeweitet. Die 2020 eingeführte Sommerschule, die auch im Herbst stattfand, soll zum Dauerangebot werden.
Mecklenburg-Vorpommern setzt auf drei Säulen: Bildungsministerin Bettina Martin hat alle Lehramtsstudenten angeschrieben und um stundenweise Mithilfe in den Schulen gebeten - ihre Hochschulen sollen dies als Praxis anrechnen. Daneben erhalten alle Schulen, auch die Berufsschulen, pauschal 2500 Euro, um externe Hilfe zuzukaufen. "Das kann die Seniorin aus der Nachbarschaft sein, die beim Lesenlernen hilft, oder der Sozialarbeiter aus dem derzeit geschlossenen Jugendclub", sagte die Ministerin. Das Sommerprogramm von 2020 wird so ausgebaut, dass jeder Schüler bis zu 30 Förder-Stunden außerhalb der Schule in Anspruch nehmen kann - in den Ferien oder parallel zur Schule.
In Nordrhein-Westfalen hat der Landtag 36 Millionen Euro für außerschulische Angebote zur Nachhilfe bewilligt. Um kurzatmige Aktionen zu verhindern, dürfen damit Kurse bis zum Ende der Sommerferien 2022 finanziert werden.
Schon im zweiten Halbjahr 2020 hatte das Bildungsministerium, das für rund 2,5 Millionen Schüler verantwortlich ist, gut 2000 solcher Gruppenangebote und 400 Individualmaßnahmen mit rund 4,3 Millionen Euro gefördert – bis hin zu Berufsschülern.
Eine Ferienverlängerung jedoch „würde lediglich eine Aufgabenverschiebung bedeuten“, sagte ein Sprecher von Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP). Auch verpflichtender Samstagsunterricht sei „keine Option“, weil er „mit weitreichenden Eingriffen in die Familien verbunden“ sei.
In Niedersachsen arbeitet eine Arbeitsgruppe des Kultusministeriums noch an einer „langfristigen Strategie“ für weitere Förder- und Unterstützungsmaßnahmen. Klar ist bisher nur, dass die „Lernräume“, die die evangelische und die katholische Kirche vor allem zur Hausaufgabenbetreuung anbieten, zumindest bis zum Ende der Sommerferien laufen sollen.
Brandenburg will zunächst eine neue „Lernstandserhebung“ abwarten. Die hatte im Oktober gezeigt, dass zumindest nach Einschätzung der Schulleitungen „kein flächendeckender Unterricht samstags und in den Ferien notwendig war“, teilt das Bildungsministerium mit. Solange unklar ist, wie viel Stoff die Schüler verpasst haben, bleibt es den Schulen überlassen, schulische oder außerschulische Extrakurse zu organisieren.

An Grundschulen in Bayern werden Schüler mit Schnelltests auf Corona getestet.
Berlin setzt auf Klassenwiederholungen
Die Bundeshauptstadt plant mit Klassenwiederholungen. Im Abgeordnetenhaus änderte soeben die regierende rot-rot-grüne Mehrheit gemeinsam mit der CDU das Schulgesetz: Eltern dürfen nun allein entscheiden, ob ihre Kinder vielleicht besser eine Klasse wiederholen. Die massiven Warnungen der Schulleiter, dass dann im nächsten Schuljahr die vollen Klassen endgültig überquellen würden, nutzten nichts. Nun gibt es einzelne Forderungen, Samstagsunterricht einzuführen.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verweist aktuell jedoch nur auf das Programm „Lernbrücken“ mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, das bis zum Ende der Osterferien für 1,7 Millionen Euro weiterlaufen soll. Hierbei kooperiert der Senat erstmals mit freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, um Familien von Schülern zu kontaktieren, die große Probleme haben.
Auffallend offensiv geht Bremen mit Lernlücken um: Als einziges Bundesland hatte die Hansestadt zusätzlich zum Online-Unterricht die Schulen über den gesamten Lockdown für alle, die kommen wollten, geöffnet. „Dennoch wurde viel versäumt“, räumt die Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogdan (SPD) offen ein. Daher sind sowohl in den Oster- als auch in den Sommerferien ein- bis zweiwöchige freiwillige Lernferien geplant – vor allem, um Lücken in Deutsch und Mathe zu schließen.
In den Osterferien wird das Angebot allerdings wohl auf die vier Tage vor den Feiertagen begrenzt, denn „die Schulleitungen sehen Schwierigkeiten, die Schüler und Schülerinnen nach Osten noch einmal für vier Tage zu mobilisieren“.
Erwogen wird aber auch Samstagsunterricht. Weil aber von Mitte April bis Mitte Mai Ramadan ist, könnten damit muslimische Kinder nicht durchgängig erreicht werden. Zudem hätten sie samstags oft Extra-Unterricht in den Moscheen. An weiterführenden Schulen sollen vor allem „Problemschüler“ für Ferienkurse gewonnen werden.
Das kleine Saarland verspricht „zusätzliche Förderstunden für alle Schüler“. Dafür soll die Corona-Lehrkräftereserve von bisher 200 Stellen um weitere 300 aufgestockt werden. Für die „Reintegration der Schüler in eine feste Tagesstruktur“ und die individuelle Förderung soll eigens ein neues System von „Schulbegleitern“ aufgebaut werden. In den Ferien gibt es Angebote für Schüler bis zur 10. Klasse.
Hessen plant in den Oster- und Sommerferien „Lern-Camps“, konkrete Angaben zum Umfang gibt es noch nicht. Weitere Angebote seien in Arbeit, heißt es dort lapidar.
Gelassenheit herrscht auch in Sachsen-Anhalt: Auch dort sollen zunächst „mögliche Lerndefizite“ ermittelt werden, um dann eventuell Ausgleichsmaßnahmen zu entwickeln. Ob und in welchem Umfang es wie 2020 freiwillige Lernangebote in den Ferien gebe, sei „auch abhängig vom weiteren Verlauf des Schuljahres“, heißt es im Kultusministerium.
Auch Sachsen und Thüringen wollen erst sehen, wie viel Stoff die Schüler tatsächlich verloren haben, bevor entschieden wird, ob es wieder eine Sommerschule gibt. Schleswig-Holstein ließ die Anfrage unbeantwortet.
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An Ferienkürzungen sehe ich gerade das grundlegende Problem das sehr viele Eltern bereits Ihre Sommerurlaube gebucht haben, je nachdem wann die Ferien gekürzt werden, könnte es zu viel Chaos führen und einer zusätzlichen Verdichtung in der Urlaubszeit. Man sollte definitiv damit kalkulieren, dass in der Urlaubszeit Menschen definitiv in Urlaub fahren werden.
Man sollte Schülern nicht noch mehr Steine in den Weg stellen und Ihnen die notwendige Freizeit gönnen. Im Homeschooling müssen Sie meistens sowieso mehr lernen als sonst in der Schule.
Ich finde die Idee ebenfalls gut. Schließlich hatten die meisten Kinder schon eine Woche vor Weihnachten und noch eine Woche nach Weihnachten zusätzlich frei. Zumindest unsere Kinder haben nicht einmal Aufgaben für die Zeit bekommen. Wenn ich dann noch die anderen freien Tage (Feiertage, bewegliche freie Tage usw.) hinzu zähle, finde ich die Idee verkürzter Ferien gar nicht so schlimm. Wer weiß, ob wir im Sommer (uneingeschränkt) in den Urlaub fahren können. Sollen dann die Kinder wieder sechs Wochen durch die (berufstätigen) Eltern betreut werden? Es entstehen einfach zu große Bildungslücken, die teilweise - je nach Jahrgang - nicht mehr aufgeholt werden können. Zudem befürchte ich, dass Lehrstoff in den weiterführenden Jahren dann einfach vorausgesetzt wird. Was will man dann tun? Einfach ein Auge zudrücken und die Kinder weiterkommen lassen? Damit tun wir den Kindern und uns keinen Gefallen, weil einfach zu viel Wissen fehlt. Peitscht man den Stoff durch, werden viele Kinder riesige Probleme bekommen, bzw. tendenziell schlechtere Noten. Daher, Ferien verkürzen, Unterrichtsstoff so gut wie möglich nachholen. Erfordert vielleicht mehr Flexibiltät, sind aber die Meisten in der Wirtschaft gewohnt. Ein ziemlich großer Anteil der Lehrer nach unseren Erfahrungen leider nicht.
Es wird mit Sicherheit Mittel und Wege geben, um grundlegend wichtiges Wissen und mögliche Versäumnisse nachzuholen. Wenngleich Meinungen und Standpunkte immer ergebnisoffen diskutiert und nicht direkt verurteilt werden sollten, wären bspw. Ferienverkürzungen aus meiner Sicht keine Option. Unsere Kinder haben, so wie viele Erwachsene auch, in den zurückliegenden Monaten stark unter den Einschränkungen und fehlendem sozialen Kontakt gelitten. Ferien zu kürzen wäre ein falsches Signal an die Kinder und sicherlich auch viele Eltern und kommt fast einer Bestrafung gleich. Die Kinder können für die Situation und das weitreichende Versagen der Politik, die Grundlage digitaler Unterrichtsmöglichkeiten zu schaffen, am wenigsten. Digitaler Unterricht ist kein Allheilmittel und wird auch in Zukunft den persönlichen Austausch und den Unterricht in der Schule nicht vollumfänglich ersetzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass spätestens nach den anfänglichen Problemen im Frühjahr 2020 mit dem neuen Schuljahr Konzepte hätten entwickelt und umgesetzt werden können, um jedes Schulkind arbeitstäglich, wenigstens für einige Stunden, digital zu unterrichten.
Es gibt mittlerweile einige Beispiele in unserem Land, vornehmlich vorangetrieben durch Schulen in freier Trägerschaft, wo digitales lernen bereits heute gelebt und umgesetzt wird. Angefangen von Büchern und Dokumenten bis hin zum Unterricht per Video ist vieles technisch möglich, wenn alle hierzu bereit sind. Letztendlich müssen wir unsere Kinder auf die Zunkunft und das reale, digitale Leben vorbereiten. Die Wirtschaft macht es uns vor und ist in vielen Bereichen hier schon sehr viel weiter.
Alles Unsinn. Für alle Schüler bundesweit ein halbes Jahr ranhängen. Und als nächsten Schritt die Kultusminister abschaffen. Die Kleinstaaterei ist zu teuer und überholt. Wie so vieles in unserem Föderalismus.
Die Idee aus BW finde ich gut.
Aber ich fürchte, daß viele, arme und überarbeitete Lehrer/innen NEIN sagen werden. Am schnellsten diejenigen, die unkündbar sind.
Hoch leben die deutschen Beamten.
the stupid german