Corona-Insolvenzen Koalitionsstreit über längeren Insolvenzschutz für Firmen eskaliert

Ohne die Koalitionseinigung lebt nun die komplette Insolvenzantragspflicht wieder auf, und Unternehmen müssen bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag bei Gericht einreichen.
Berlin Der Streit in der Großen Koalition über einen längeren Corona-Insolvenzschutz für Firmen ist eskaliert. Offiziell ist die Sonderregelung zwar bereits Ende April ausgelaufen. Doch die SPD wollte in dieser Woche noch einen letzten Versuch unternehmen, mit der Union eine Einigung zu erzielen. Das ist nicht gelungen.
„Die Union will keine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. „Die Firmen und Arbeitsplätze, die jetzt verloren gehen, hat die Union auf dem Gewissen.“
Die Union wies die Äußerungen scharf zurück. „Dass die SPD-Fraktion nun Gespräche für gescheitert erklärt, verwundert uns“, sagte der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak dem Handelsblatt. Die SPD hätte besser konkret sagen sollen, für welche Unternehmen unter welchen Voraussetzungen die Antragspflicht ausgesetzt werden solle. Leider sei da nichts gekommen. „Das erscheint daher als durchsichtiger Versuch, auf dem Rücken von betroffenen Unternehmen und ihren Beschäftigen Wahlkampf zu machen“, sagte Luczak. „Das finde ich zynisch.“
Der Bundestag hatte die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen mit einem Anspruch auf Corona-Hilfen bis zum 30. April ausgesetzt. Dies war fristgemäß am Freitag vergangener Woche ausgelaufen. Die SPD hatte sich für eine Verlängerung bis Ende Juni eingesetzt. Dass darüber nun gestritten wird, sorgt für Unmut beim Handel, der mit Unverständnis auf die „Schaukämpfe“ in der Koalition reagierte.
Der SPD-Rechtspolitiker Fechner rechnet nun ohne eine Fortführung der Regelung damit, dass nun viele Unternehmen, die sich bisher „wacker durch die Krise gekämpft“ hätten, Insolvenz anmelden müssten, nur weil staatliche Hilfen noch nicht ausbezahlt seien. „Diese Firmen sind unverschuldet in die Krise geraten und hätten Anspruch auf staatliche Hilfen“, sagte Fechner. „Wir hätten diese Unternehmen gerne vor der Pleite bewahrt.“
Experten warnen vor Insolvenzverschleppung
Der Union hielt Fechner mit Blick auf die verlangten Kriterien für antragsberechtigte Unternehmen ein „scheinheiliges Ablenkungsmanöver“ vor. Denn genau diese Kriterien und der Kreis der Unternehmen seien in langen Beratungen mit der Union bereits im sogenannten COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz geregelt, „das wir jetzt um zwei Monate verlängern wollten“.
Der CDU-Politiker Luczak betonte das Bestreben der Union, dass gesunde Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie nicht in eine vermeidbare Insolvenz geraten sollen. „Deswegen haben wir staatliche Hilfen in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht“, sagte er. „Diese Rettungsbemühungen wollen wir selbstverständlich nicht konterkarieren und haben deswegen in der Vergangenheit die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages ausgesetzt.“
Ohne die Koalitionseinigung lebt nun die komplette Insolvenzantragspflicht wieder auf, und Unternehmen müssen bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag bei Gericht einreichen. Die Insolvenzordnung sieht vor, dass spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung ein Insolvenzantrag gestellt werden muss.
„Das Ende der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann für Unternehmen in der Krise – trotz aller Befürchtungen – nun auch Chance sein“, meint indes Alexandra Schluck-Amend, Leiterin des Geschäftsbereichs Restrukturierung und Insolvenz bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.
Denn die bisherige Aussetzung habe viel weniger Unternehmen betroffen, als es landläufig angenommen werde. Die Regelungen hätten hohe Voraussetzungen gehabt, die nur schwer nachvollziehbar seien. „Dies führt zu einem großen Haftungs- und sogar Strafbarkeitsrisiko für Geschäftsführer“, erklärt Schluck-Amend.
„Zur Antragstellung verpflichtete Personen sollten die Insolvenzantragspflicht sehr ernst nehmen“, mahnt auch Rechtsanwältin Sirka Huber. Bereits ein zu spät gestellter Insolvenzantrag berge nicht nur das Risiko einer persönlichen Schadensersatzpflicht, sondern auch einer strafrechtlichen Verfolgung. „Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung kann unter Umständen schon bei geringen Geldstrafen dazu führen, dass das Amt als Geschäftsführer auf die Dauer von fünf Jahren nicht mehr ausgeübt werden kann“, warnt sie.
Neben der Insolvenzverschleppung droht auch der strafrechtliche Tatbestand des Eingehungsbetruges. Gehen Firmenlenker trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung neue vertragliche Beziehungen ein oder tätigen neue Aufträge bei Geschäftspartnern, kann das als betrugsrelevante Täuschung gewertet werden. Eingehungsbetrug kann man mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden.
Wirtschaftsforscher rechnen mit deutlich steigenden Insolvenzzahlen
Was viele Unternehmen in der Coronakrise ignoriert haben könnten: Die Strafbarkeit des Eingehungsbetruges wurde von den pandemiebedingten gesetzlichen Abmilderungen gar nicht berührt, wie Anne Pradel und Tom Brägelmann von der Kanzlei Schalast & Partner erklären. So bestand die „strafrechtliche Verantwortlichkeit“ der Geschäftsführung auch für diejenigen Unternehmen, die Hilfen erhalten und nicht insolvenzantragspflichtig waren. Hier könnte es ein böses Erwachen geben.
Dass pandemiegeplagte Unternehmen nun wieder die Insolvenzantragspflicht ernst nehmen müssen, kann laut CMS-Rechtsanwältin Schluck-Amend jedoch auch etwas Gutes haben: „Das Insolvenzverfahren bietet die Chance für die Sanierung kriselnder Unternehmen – umso mehr, je früher die Insolvenz beantragt wird und umso mehr Substanz noch vorhanden ist.“ Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann auch Sanierungschancen zerstört haben, weil Insolvenzanträge hierdurch zu spät gestellt werden.
„Fieberkurve“ des Innenstadthandels. Unternehmen verlieren seit Monaten weite Teile ihres Umsatzes. Politische Maßnahmen mit unmittelbaren Auswirkungen. pic.twitter.com/hunr5LgsRD
— Olaf Roik (@OlafRoik) April 12, 2021
Wirtschaftsforscher rechnen mit deutlich steigenden Insolvenzzahlen, sollten die staatlichen Hilfsmaßnahmen in den kommenden Monaten auslaufen. Die europäischen Stabilitätswächter für die Finanzmärkte warnten vor einer Pleitewelle, die auch die wirtschaftliche Erholung gefährden könne. Die in der Krise gewährten Hilfen sollten nach dem Ende der Pandemie sanft auslaufen um das Fortbestehen überlebensfähiger Unternehmen zu sichern.
Von der Pandemie stark betroffene Branchen setzen sich deshalb für eine Verlängerung des Insolvenzschutzes ein, darunter Hotels und Gastrobetriebe. Seit November dürfen sie keine Touristen mehr beherbergen und Essen nur noch für den Außer-Haus-Verzehr verkaufen. Auch die Branchen Handel und Reise leiden unter der gegenwärtigen Situation stark.
Der Handelsverband HDE hält denn auch den Streit in der Koalition über eine weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für wenig hilfreich. „Es ist völlig unverständlich, dass in der Frage der Verlängerung der Insolvenzaussetzungspflicht jetzt im beginnenden Bundestagswahlkampf derartige Schaukämpfe ausgetragen werden“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Handelsblatt.
Genth mahnte einen längeren Insolvenzschutz für Unternehmen an, bei denen die staatlichen Corona-Hilfen noch nicht angekommen seien. „Es geht überhaupt nicht darum, alle Unternehmen voraussetzungslos von der Insolvenzantragspflicht zu befreien“, sagte er. „Wenn der Gesetzgeber jetzt aber nicht zu Gunsten der betroffenen Unternehmen tätig wird, werden diese ohne eigenes Verschulden in die Insolvenz gezwungen.“ Das gelte es zu verhindern, „und das sollte auch Konsens unter den Fraktionen der Regierungsparteien sein“.
Mehr: DIW-Präsident Fratzscher erwartet „Welle von Unternehmensinsolvenzen“
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Was in Deutschland finanziell alles gepampert wird ist schon klar.
Wie wäre es mal mit einer vernünftigen politischen Steuerung und funktionalen Gesetzen.
Man muß sich doch nur den Wachstum in den Trabantenstädten anschauen und nicht so tun als gäbe es keine Probleme.
Viele nachteilige Auswirkungen sind auf solchen Seiten wie von Politikversagen zu lesen.
Wer mal Opfer geworden ist, wird seine eigene Meinung dazu haben und ggf. überdenken,
Zur (sozialen evtl.) Marktwirtschaft gehört das Insolvenzrecht.
Es zukünftig wieder auszuführen ist doch selbstverständlich.
Verschleppte Insolvenzen sind ein STRAFBESTAND .