FDP-Chef: „Es darf nicht zu einer Öffnungs-Fata-Morgana kommen“
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Corona-LockerungenFDP-Chef Lindner: „Es darf nicht zu einer Öffnungs-Fata-Morgana kommen“
Christian Lindner beklagt zu hohe Hürden für Lockerungen in der Wirtschaft. Trotz steigender Infektionszahlen hält der FDP-Chef das Potenzial des Lockdowns für ausgeschöpft.
BerlinChristian Lindner geht mit den beschlossen Corona-Maßnahmen der Ministerpräsidentenkonferenz hart ins Gericht. Dass die „Inzidenz der einzige Maßstab für die Bewertung des Pandemiegeschehens“ ist, sei eine verengte Perspektive. „Mit der richtigen Strategie wäre schon jetzt mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben möglich“, sagte der FDP-Chef dem Handelsblatt.
Es sei richtig, dass es jetzt einen Stufenplan gebe, die Auswirkungen von Corona auf die Wirtschaft würden aber weiterhin „dramatisch unterschätzt“. Trotz steigender Neuinfektionen setzt Lindner deswegen auf Maßnahmen, „die Öffnungen wirklich sicherer machen: die Bereitstellung von Schnell- und Selbsttests und schnellere Impfangebote“.
Für Gesundheitsminister Spahn sieht Lindner „eine letzte Bewährungsprobe“. Als Chef der Taskforce für Schnelltests soll Spahn zusammen mit Andreas Scheuer die Beschaffungsprobleme der Regierung lösen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Lindner, sind Sie mit dem Ergebnis des Bund-Länder-Gipfels zufrieden? Das Ergebnis bleibt hinter dem Nötigen und dem Möglichen zurück. Es ist richtig, dass es nun einen Stufenplan gibt. Der Druck auf die CDU aus der Mitte der Gesellschaft wurde zu groß. Aber die Abwägung zwischen den gesundheitlichen Risiken von Corona und den sozialen und wirtschaftlichen Risiken des Lockdowns ist nicht ausgewogen. Mit der richtigen Strategie wäre schon jetzt mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben möglich.
Was sind Ihre größten Kritikpunkte? Die Hürden zur Öffnung sind so hoch, dass sich im Alltag für viele Menschen lange nichts verändern wird. Es darf nicht zu einer Öffnungs-Fata-Morgana kommen – die Menschen können die Öffnungen zwar sehen, erreichbar sind sie aber nicht. Für manche Bereiche wie die Innengastronomie, weite Teile der Kultur und des Tourismus fehlt es dennoch an einer belastbaren Perspektive.
Offenbar auf Druck des CDU-geführten Kanzleramts bleibt zudem die Inzidenz der einzige Maßstab für die Bewertung des Pandemiegeschehens. Wir müssen aber den Blick auf die Pandemie weiten. Regional muss zum Beispiel die Quote positiver Tests betrachtet werden, die Demografie der Erkrankten, die Auslastung intensivmedizinischer Kapazitäten oder die Unterscheidung zwischen Clusterausbrüchen und einem diffusen Infektionsgeschehen.
Zur Person
Christian Lindner wurde 1979 in Wuppertal geboren. Von Mai 2012 bis Oktober 2017 war er Mitglied des Landtages in Nordrhein-Westfalen. Von Dezember 2009 bis Dezember 2011 war er Generalsekretär der Freien Demokratischen Partei (FDP).
Seit Dezember 2013 ist Lindner der vierzehnte FDP-Bundesvorsitzende seit der Parteigründung. Bis 2017 führte er die Partei in der außerparlamentarischen Opposition, nach dem die FDP bei der Bundestagswahl 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war.
Bei der vergangenen Bundestagswahl im September 2017 zog die FDP erneut in den Deutschen Bundestag ein. Christian Lindner führte die Partei als Spitzenkandidat mit mehr als 10 Prozent der Wähler-Stimmen dorthin zurück und wurde Vorsitzender der neu gebildeten FDP-Fraktion.
Nicht nur der Handel beklagt die fehlende Planungssicherheit. Was hätte man besser machen können? Dort, wo es professionelle Hygienekonzepte gibt, ist eine Öffnung verantwortbar. Mit innovativem Management und schützenden Masken kann außerhalb von Hotspots etwa der Handel öffnen. Ein einfaches Stufensystem, wie die FDP-Fraktion es entwickelt hat, wäre die bessere Wahl.
Die Infektionszahlen gehen aber nicht weiter zurück. Tatsächlich scheint mir das Potenzial des Lockdowns ausgeschöpft zu sein. Weitere, schärfere und repressivere Maßnahmen wie zum Beispiel Verweilverbote an öffentlichen Plätzen zeigen keine Effekte und sind unverhältnismäßig. Stattdessen müssen wir endlich die Dinge vorantreiben, die Öffnungen wirklich sicherer möglich machen: die Bereitstellung von Schnell- und Selbsttests und schnellere Impfangebote. Es ist ein Jammer, dass wir bei diesen Fragen nicht längst weitergekommen sind.
Sind die Belange der Wirtschaft genug berücksichtigt worden? Nein. Die wirtschaftlichen Folgen werden dramatisch unterschätzt. Wer Angst um die Existenz hat, nimmt auch Schaden an der Seele. Insofern kann man Gesundheit und Wirtschaft gar nicht gegeneinander stellen. Beides bedingt sich.
Hätte sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in die Öffnungsdebatte stärker einbringen müssen? Wenn Herr Altmaier wenigstens bei den Wirtschaftshilfen wirken würde, wären wir schon zufrieden.
Droht das nächste Chaos bei den Schnelltests? Es ist schon zum jetzigen Zeitpunkt nicht verständlich, warum es bei Schnelltests so schleppend vorangeht. Ihr Potenzial ist seit dem Beginn der Pandemie bekannt. Österreich nutzt sie seit Wochen. Die Regierung muss dringend für eine flächendeckende Anschaffung und Verteilung sorgen, um nicht schon wieder Chancen für weitergehende Öffnungen zu verspielen. Ein angebotener Schnelltest pro Woche scheint mir zu wenig zu sein.
Wie bewerten Sie, dass Andreas Scheuer und Jens Spahn die Taskforce für die Beschaffung der Schnelltests leiten sollen? Mich verwundert, dass erst gestern eine Taskforce gegründet wurde – das hätte schon vor Monaten passieren müssen. Für Jens Spahn ist es eine letzte Bewährungsprobe. Er trägt die Verantwortung dafür, dass sich die Beschaffungsprobleme bei Masken und Impfdosen jetzt nicht bei den Tests fortsetzen.
Sollte man die Logistik privaten Firmen übertragen? Das muss die Regierung prüfen. Ob privat oder staatlich, es muss Tempo gemacht werden.
Werfen wir einen Blick nach vorn: Werden die Bürger an Ostern wieder reisen dürfen? Wir sind überzeugt: Wenn man Schnell- und Selbsttests klug einsetzt, sollte das möglich sein.
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