Corona-Pandemie Bund und Länder wollen bei Impfung von Jugendlichen Tempo machen – Auch Auffrischungsimpfungen kommen

Millionen Impfstoffdosen blieben bislang ungenutzt.
Berlin Gesundheitsminister Jens Spahn ist besorgt. Zwar hätten mittlerweile gut 52 Prozent der Bürger den vollen Impfschutz, twitterte der CDU-Politiker am Montag. „Allerdings ist die Zahl der Erstimpfungen so niedrig wie zuletzt im Februar.“ Und anders als damals sei jetzt ausreichend Impfstoff vorhanden. Also „bitte impfen lassen!“, appellierte Spahn an die Bevölkerung
Die Impfmüdigkeit greift um sich – und das hat wohl nicht allein mit der Ferienzeit zu tun. Zwischen März und Mitte Juli erhielten pro Tag meist deutlich mehr als 100.000 Menschen ihre erste Impfung, zuweilen auch mehr als 500.000, der Rekord wurde mit fast 1,1 Millionen Erstimpfungen am 12. Mai erreicht.
Am 1. August erhielten nur noch knapp 33.000 Menschen ihre erste Dosis. Und nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild am Sonntag“ wollen 54 Prozent der Bürger, die das Impfangebot bisher noch nicht wahrgenommen haben, sich auch grundsätzlich nicht impfen lassen.
Bei ihrer Konferenz am Montag berieten die Gesundheitsminister aus Bund und Ländern deshalb auch darüber, wie sich die Impfbereitschaft weiter steigern lässt. Ein Vorstoß: Auch Zwölf- bis 17-Jährige sollen in großem Stil geimpft werden, Impfzentren entsprechende Angebote machen dürfen. Dabei sei aber eine entsprechende ärztliche Aufklärung erforderlich.
Zudem sollten Kinder und Jugendliche auch durch Kinder-, Haus- und Betriebsärzte geimpft werden können, wenn diese in Firmen Angehörige von Beschäftigten immunisieren. Für Jugendliche und junge Erwachsene in Universitäten und Berufsschulen sind ebenfalls Impfangebote geplant. „Wir gehen vorbereitet in den Herbst“, sagte der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek (CSU).
Allerdings bleibt die Ständige Impfkommission (Stiko) vorerst bei ihrer Empfehlung, Kinder und Jugendliche nur zu impfen, wenn eine Vorerkrankung vorliegt oder im Haushalt besonders gefährdete Angehörige leben.
Der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens betonte im NDR, das Gremium werde an seiner Haltung nichts ändern, solange es noch zu wenige Daten über mögliche Folgeschäden einer Impfung von Jugendlichen gebe. Mediziner unterstützen diese vorsichtige Haltung: Ein Impfangebot für Jugendliche sei zwar gut und wichtig, betont der Essener Virologe Ulf Dittmer. „Die Entscheidung über die Impfung müssen aber unbedingt Kinderärzte treffen“, sagte er dem Handelsblatt. Nur diese könnten für jeden Jugendlichen eine Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen.
Er sei ganz auf der Linie der Stiko, betont Dittmers Freiburger Kollege Hartmut Hengel: „Ich rate, vorsichtig zu sein, bis wir eine ausreichende Datengrundlage über mögliche Nebenwirkungen haben.“ Eine neue Situation könne sich ergeben, wenn sich die Delta-Variante in jüngeren Altersgruppen als hochgefährlich erweisen sollte. „Das ist aber bisher noch nicht belegt.“
Die Gesundheitsminister haben auch beschlossen, Auffrischungsimpfungen für Bürger anzubieten, die bereits den vollen Impfschutz haben. Denn erste Studienergebnisse wiesen darauf hin, „dass es bei bestimmten Personengruppen vermehrt zu einer reduzierten oder schnell nachlassenden Immunantwort nach einer vollständigen Covid-19-Impfung kommen kann“, heißt es im Beschluss.
Deshalb sollen ab September mobile Teams und Hausärzte pflegebedürftigen und anderen besonders gefährdeten Personen in Heimen oder zu Hause eine Auffrischungsimpfung anbieten, und zwar in der Regel mindestens sechs Monate nach Abschluss der ersten Impfserie. Die Auffrischung soll mit einem der beiden Impfstoffe auf mRNA-Basis erfolgen, also Biontech-Pfizer oder Moderna – unabhängig davon, mit welchem Vakzin die Personen vorher geimpft worden sind.
Man werde über eine dritte Impfung für Ältere oder Menschen mit unterdrücktem körpereigenem Abwehrsystem diskutieren müssen, sagt auch Virologe Dittmer. „Deren Schutz vor einer Infektion mit der Delta-Variante lässt mit der Zeit eindeutig nach.“ Allerdings sei leider noch unklar, wie lange der Schutz gegen Erkrankung ohne Auffrischung bei diesen Menschen erhalten bleibe.
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) forderte angesichts der Warnung des Robert Koch-Instituts (RKI) vor erneuten schweren Covid-19-Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen, die dritte Impfung sofort in die Coronavirus-Impfverordnung aufzunehmen: „Gegen die prognostizierte vierte Welle müssen wir uns mit allen verfügbaren Mitteln wappnen“, sagte BPA-Präsident Bernd Meurer. Man dürfe nicht riskieren, dass die besonders gefährdeten Gruppen erneut der Gefahr ausgesetzt würden, sich zu infizieren und schwere oder gar tödliche Krankheitsverläufe zu erleiden.
Der Freiburger Virologe Hengel hält die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt allerdings für verfrüht und fürchtet einen negativen Nebeneffekt: „Die Debatte über eine dritte Impfung wird die Impfbereitschaft derer, die noch gar nicht geimpft sind, sicher nicht erhöhen“, warnt er.
Hohe Inzidenz bei jungen Menschen in Berlin
Aus seiner Sicht muss es momentan vor allem darum gehen, den Menschen das Impfen so leicht wie möglich zu machen und Termine auch bei der Arbeit, nach dem Fußball oder im Urlaub zu ermöglichen. „Aber allen muss klar sein: Es ist gefährlich, sich jetzt gleichgültig zu verhalten – und verantwortungslos gegenüber der Gemeinschaft“, sagt Hengel.

Auf einem Schild am Eingang des Freizeitparks "Nürnbärland" wird für eine Impfaktion geworben.
Für den Vorstoß, trotz der Zurückhaltung der Stiko die Impfkampagne auch bei Kindern und Jugendlichen zu forcieren, hatte es vor dem Treffen breite Unterstützung gegeben. In Berlin sei zu beobachten, dass die 15- bis 25-Jährigen eine doppelt bis vierfach so hohe Inzidenz aufwiesen wie andere Bevölkerungsgruppen, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in der ARD. Ärzte und Wissenschaftler seien der Ansicht, dass eine Impfung Jugendliche besser schütze.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (Ema) hat die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen. Die Bildungsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Bettina Martin (SPD), äußerte die Hoffnung, dass auch die Ständige Impfkommission bald eine Empfehlung zur Impfung von Jugendlichen ausspricht.
Das würde „uns in der Schule sehr helfen“, sagte Martin dem Sender Phoenix. Denn dann könnte man mobile Impfteams in die Schulen schicken. In Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sind am Wochenende die Schulferien zu Ende gegangen.
Über die Frage, ob und ab wann Corona-Tests kostenpflichtig werden sollen, wollen Bund und Länder später entscheiden. Das Thema soll am 10. August in der Runde von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten besprochen werden.
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