Corona-Pandemie „Populistischer Mumpitz“: Empörung über Kretschmann-Vorstoß zur Beschneidung von Freiheitsrechten

„Wir sollten grundsätzlich erwägen, ob wir nicht das Regime ändern müssen.“
Berlin Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist nach massiver Kritik an seinem Vorstoß für ein härteres Regime bei Pandemien zurückgerudert. Er bedauere, dass seine Äußerungen in einem Interview zu Missverständnissen geführt hätten, teilte der Grünen-Politiker am Freitag mit.
„Im Rechtsstaat gilt immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – und zwar immer und ohne Einschränkung“, erklärte Kretschmann. Dieses zentrale Prinzip der Verfassung würde er nie in Frage stellen. „Umso mehr ärgert es mich, dass durch meine Äußerungen offenbar dieser Eindruck entstanden ist.“
Kretschmann hatte vorgeschlagen, dem Staat zu erlauben, künftig noch drastischer als bisher in Freiheitsrechte der Bürger einzugreifen. Parteiübergreifend erntete er dafür scharfe Kritik.
Widerspruch kam auch von den Grünen: „Wir können und dürfen Freiheitsrechte nicht prophylaktisch beschränken, weil es eine irgendwie geartete abstrakte Gefahr gibt“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katja Keul, dem Handelsblatt. „Wichtig ist, dass man im richtigen Moment agiert und sich vor allem auf diesen Moment gut vorbereitet.“
Scharf äußerte sich auch Wolfgang Kubicki: „Wer unverhältnismäßige Maßnahmen als angemessen bezeichnet, hat die Grenze des Rechtsstaates überschritten und bewegt sich auf klar autoritärem, jedenfalls verfassungsfeindlichem Boden“, sagte der FDP-Bundesvize dem Handelsblatt. „Es ist ein Staatsverständnis, das Verfassungswidrigkeit als neuen Normalzustand umetikettieren will.“
Ähnliche Kritik kam von CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak. Der Vorstoß Kretschmanns widerspreche klar der Verfassung. „Das befremdet mich“, sagte Luczak dem Handelsblatt. „Anstatt Menschen mit solchen nicht durchdachten Vorschlägen zu verunsichern, sollten wir lieber alles daransetzen, dass die bislang bei Inzidenz und Impfquote erreichten Erfolge nicht gefährdet werden und wir alle einen möglichst unbeschwerten Sommer genießen können.“
Kretschmann hatte im Interview mit „Stuttgarter Zeitung“ und „Stuttgarter Nachrichten“ gesagt: „Meine These lautet: Wenn wir frühzeitige Maßnahmen gegen die Pandemie ergreifen können, die sehr hart und womöglich zu diesem Zeitpunkt nicht verhältnismäßig gegenüber den Bürgern sind, dann könnten wir eine Pandemie schnell in die Knie zwingen.“
Dann müsse man nicht monatelang und in Wellen Grundrechtseinschränkungen machen, mit erheblichen negativen Folgen für die ganze Gesellschaft, erklärte der Grünen-Politiker weiter. „Wir sollten also einmal grundsätzlich erwägen, ob wir nicht das Regime ändern müssen, sodass harte Eingriffe in die Bürgerfreiheiten möglich werden, um die Pandemie schnell in den Griff zu bekommen.“
SPD und FDP fordern Klarstellung von Baerbock
SPD-Bundestagsfraktionsvize Dirk Wiese verlangte eine Klarstellung der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. „Dass ein Grüner von einem permanenten Notstand der Exekutive zu träumen scheint, kritisiere ich scharf“, sagte Wiese. „Hier erwarte ich eine Klarstellung von Frau Baerbock.“
Auch FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte: „Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock muss diesen Versuchungen des Autoritären in der eigenen Partei entschieden und öffentlich entgegentreten.“
Scharfe Kritik kam ebenso vom SPD-Politiker Ralf Stegner. „Herr Kretschmann ist kein Monarch, der schon weiß, was gut ist für sein Volk, deshalb sind solche Forderungen populistischer Mumpitz“, sagte Stegner dem Handelsblatt. „Die Freiheitsrechte unserer Verfassung sind eine hart erkämpfte Lehre aus der Nazidiktatur und der Staat gewährt diese nicht, sondern die Bürgerinnen und Bürger haben den Anspruch darauf, dass Grundrechte nur eingeschränkt werden dürfen, wenn das verhältnismäßig und unabdingbar notwendig ist und auch das nur zeitlich begrenzt.“
Kretschmann zeigte sich indes überzeugt, dass seine Überlegungen für einen Pandemie-Notstand mehrheitsfähig wären. Denn jeder müsse sich die Frage stellen, was auf Dauer mehr Einschränkungen und Schäden verursache: ein kurzer harter Einschnitt, der schnell wieder vorbei sei, oder ein immer wiederkehrender Lockdown.
Im November 2020 habe die Politik „den sanfteren Weg gewählt, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, doch leider führte der pandemisch nicht zum Ziel“. Möglicherweise müsse man dafür das Grundgesetz ändern, damit müsse sich eine Enquetekommission des Bundestags beschäftigen.
Keul sagte indes, zum falschen Zeitpunkt Maßnahmen zu treffen, sei auch nicht geeignet, einer Pandemie vorzubeugen. „Wenn es nötig ist, sind harte Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger möglich, das haben wir in der Pandemie ja bereits erlebt“, sagte die Grünen-Politikerin. „Wir kommen aber nicht um die Beurteilung herum, was wann genau notwendig und verhältnismäßig ist.“
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Herr Kretschmann ist offenbar vom 0-Covid-Virus infiziert. Dabei verkennt er -wie alle anderen Anhänger dieser Strategie auch- , dass Deutschland keine Insel ist. Nach dem von ihm verlangten "kurzen, harten" Einschnitt muss er nämlich die Grenzen dicht halten, bis rundherum auch die Inzidenzen nahe Null sind. Mir der europäischen Freizügigkeit ist es dann auf Jahre hin. Auch jedes noch so geringe "Neuaufflackern" von Infektionen muss dann mit harten Einschnitten begegnet werden (Man kann das in Australien oder Neuseeland beobachten, beide Länder haben sich vollkommen isoliert).
Herr Kretschmann Vorschläge sind nicht nur verfassungswidrig sondern auch antieuropäisch. Oder glaubt er etwa, dass aller anderen europäischen Länder auf seinen Weg einschwenken würden?