Coronahilfen Streit um „Rettungsschirm für Verbraucher“

Deutschlands oberster Verbraucherschützer: Ein Rettungsschirm ist wichtig und richtig.
Berlin Mit Blick auf die coronabedingten Einbußen für Millionen Haushalte fordert Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller weitere Hilfen für Konsumenten. „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind nur zu bewältigen, wenn die Politik die gesamte Bevölkerung im Blick behält und die Verbraucher nicht alleine lässt„, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) dem Handelsblatt.
Für einige Unternehmen und Branchen habe die Politik bereits „großzügige Rettungsschirme“ gespannt, gab Müller zu bedenken. „Nun ist es an der Zeit, die Verbraucherinnen und Verbraucher gezielt zu unterstützen.“
Zuvor hatten die grünen Verbraucherschutzminister von sechs Bundesländern von der Bundesregierung einen „Rettungsschirm für Verbraucher“ gefordert. Millionen Verbraucher seien „derzeit nicht ausreichend vor den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie geschützt“, heißt es in einem Brief an die Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Christine Lambrecht (SPD).
Verlangt werden insbesondere Beschränkungen für Inkasso-Unternehmen. Die Unterzeichner fordern eine Deckelung von Inkasso-Gebühren, eine stärkere Einschränkung von Vorkasse-Geschäften und eine Wiederauflage des Kreditmoratoriums. Die im März eingeführte Möglichkeit, die Bedienung von Krediten aussetzen zu können, ist inzwischen ausgelaufen.
Wer seine Kreditschulden wegen finanzieller Belastungen in der Krise nicht mehr bedienen kann, muss bis auf weiteres also wieder einen persönlichen Tilgungsstopp mit seiner Bank aushandeln. Auch die vorübergehende Stundungsmöglichkeit bei Energie- und Telekommunikationsverträgen lief Ende Juni aus, ebenso wie der Kündigungsschutz für Mieter, die ihre Mietzahlungen coronabedingt nicht leisten.
Kritik von Union, SPD und FDP
Mit Vorkasse-Geschäften werde vielen Menschen die Liquidität für existenzielle Zahlungen wie die Miete entzogen, heißt es in dem Brief. In der Coronakrise sei das Vertrauen von Verbrauchern geschädigt worden, indem etwa Ticket-Zahlungen für stornierte Flüge nicht zeitnah erstattet worden seien.
Angeregt wurde das Schreiben von der rheinland-pfälzischen Verbraucherschutzministerin Anne Spiegel. Unterzeichnet haben auch die grünen Ressortchefs aus Brandenburg, Berlin, Hamburg, Hessen und Thüringen.
Union und SPD wiesen den Vorstoß zurück. „Die Forderungen gehen völlig an der Realität vorbei“, sagte der verbraucherpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), dem Handelsblatt. „Wir setzen gerade alles daran, zur Normalität zurückzukehren und das Wirtschaftsleben wieder ans Laufen zu kriegen.“ Dafür habe die Große Koalition „das größte Kraft- und Zukunftspaket der Nachkriegsgeschichte“ auf den Weg gebracht. „Die bereits beschlossenen Hilfsmaßnahmen wirken, und unsere sozialen Sicherungssysteme haben wir flexibilisiert, so dass sie wirtschaftliche Härten abfedern.“
Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner sprach von einem merkwürdigen Vorstoß. „Dass die grünen Verbraucherschutzminister Forderungen an die Bundesregierung stellen, statt in ihren Landesregierungen Gesetzesänderungen über den Bundesrat zu initiieren, ist merkwürdig und lässt vermuten, dass weniger der Verbraucherschutz, sondern grüne Parteipolitik Beweggrund des Briefes an Ministerin Lambrecht ist“, sagte Fechner.
Im Übrigen liefen zum Inkassorecht und zum Schuldnerschutz längst Gesetzgebungsverfahren, um Verbraucher vor Abzocke zu schützen. Eine „große Hilfe“ für überschuldete Verbraucher sei zudem, dass das Verfahren zur Restschuldbefreiung künftig nur noch drei statt der derzeit üblichen sechs Jahre dauern werde. Unternehmen und Verbraucher sollen demnach bei Insolvenzen rascher von ihren Restschulden befreit werden, um wieder aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. „Das hilft zahlungsunfähigen Schuldnern, finanziell schneller wieder auf die Beine zu kommen.“
Auch Luczak wies mit Blick auf Verbesserungen des Verbraucherschutzes im Inkassorecht darauf hin, dass ein entsprechender Gesetzentwurf bereits im Bundestag in erster Lesung debattiert worden sei. Die öffentliche Anhörung zu dem Gesetz sei für diesen Mittwoch angesetzt. Mit dem Gesetz sollen neue Regelungen zur Höhe und Berechnung von Inkassogebühren umgesetzt werden. „In der Folge werden die Inkassogebühren in vielen Fällen deutlich sinken und die Verbraucher damit wesentlich entlastet“, sagte der CDU-Politiker.
„Vorstoß aufnehmen und zeitnah umsetzen“
Die FDP sprach von nicht durchdachten Forderungen. „Geschäfte auf Vorkasse zu verteufeln, ist absurd“, sagte die Bundestagsabgeordnete Katharina Willkomm dem Handelsblatt. „Gerade das Beispiel der Reisebranche zeigt doch, dass wir klare Regelungen haben.“ Bei der stornierten Reise sei das Geld in 14 Tagen zurückzuzahlen. Im Fall ausstehender Mietzahlungen schlägt Willkomm auf eine gezielte Hilfe durch ein Sonderwohngeld vor. „Niemand darf in diesem Land wegen Corona sein Zuhause verlieren“, sagte sie.
Mit Blick auf Inkassogebühren verwies Willkomm auf die angestoßene Inkassoreform. Die FDP plädiere hier für die Absenkung der Gebühren. „Wir wollen verhindern, dass Inkassokosten höher sind, als die eigentliche Forderung“, sagte die Abgeordnete. „Wenn wir die bestehenden Schlupflöcher schließen, gibt es überhaupt keinen Grund, für eine Deckelung der Kosten.“
Verbrauchschützer Müller sagte hingegen zu den Ministervorschlägen, die Große Koalition solle diese „aufnehmen und zeitnah umsetzen“. Ein Rettungsschirm für Verbraucher sei wichtig und richtig. Die von den Ministern ins Spiel gebrachten Maßnahmen „würden viele Leute spürbar entlasten und das Vertrauen in eine ausgewogene Krisenpolitik erhöhen“.
Wie die Minister plädierte auch Müller dafür, sogenannte Vorkasse-Geschäfte bei Reisen einzuschränken. Eine Wiederauflage des Kreditmoratoriums sei spätestens dann nötig, wenn weitere Jobverluste und Insolvenzen Verbraucher zusätzlich unter Druck setzten, fügte der VZBV-Chef hinzu.
Müller sprach sich auch für eine Deckelung von Inkasso-Gebühren aus. „Das würde endlich das moderne Raubrittertum einer Milliardenbranche stoppen“, sagte er.
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„Die Forderungen gehen völlig an der Realität vorbei“, sagte der verbraucherpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU), dem Handelsblatt. „Wir setzen gerade alles daran, zur Normalität zurückzukehren
Verwegen, uns heute schon sagen zu wollen, was morgen Realität ist!