Coronakrise Chance für den Umweltschutz: Digitalisierung kann Routinen der Menschen verändern
Berlin Weniger Verkehr, mehr Datenverbrauch und ein größeres Interesse an regionalen Angeboten: Die Coronakrise hat das Bewegungs- und Konsumverhalten vieler Menschen geändert. Einen Bruch mit vielen Routinen, nennt das Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Und: „Manch‘ neue Routine sollten wir uns erhalten, weil es Umwelt und Lebensqualität dient.“
„Covid-19 hat einen Bewusstseinswandel angestoßen“, heißt es in einer Studie, die das Wuppertal Institut und die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) im Auftrag des Umweltministeriums erstellt haben.
Die Möglichkeiten der Digitalisierung für Umwelt und Klima seien breiter akzeptiert. Die Autoren verweisen auf den Umweltmonitor der Deutschen Stiftung Umwelt (DBU). Demnach ist der Anteil derer, die in der Digitalisierung eher Vor- als Nachteile für die Umwelt sehen, während der Coronakrise deutlich von 33 auf 47 Prozent gestiegen ist. Ebenso ist der Anteil der Befragten, die eine Reduktion von Verkehr durch die Digitalisierung erwarten, zwischen März und April 2020 von 53 auf 75 Prozent gestiegen.
Allerdings zeigt sich bereits, dass Verhaltensänderungen mit den Lockerungen wieder abnehmen, heißt es weiter in der Studie „Zwischenbilanz Covid-19: Umweltpolitik und Digitalisierung“. Die Chance für die Umweltpolitik liege nun darin, die Verhaltensänderungen als dauerhaften „Routinenwechsel“ zu verstetigen.
„Niemand will, dass das Leben auf Dauer so bleibt, wie es in der Pandemie war“, sagte die Umweltministerin. Doch Deutschland habe während des Lockdowns einen echten Digitalisierungsschub erlebt. „Jetzt kommt es darauf an, durch kluge Politik die Chancen für den Umweltschutz zu nutzen und die Risiken zu minimieren.“
Förderung von Heimarbeitsplätzen
Der Personenverkehr ging durch die verhängten Einschränkungen deutlich zurück. Ein Viertel aller Arbeitnehmer arbeitete zeitweise im Homeoffice, teilweise reduzierten sich die Aufenthalte am Arbeitsplatz um bis zu 45 Prozent. In einer Befragung von EY geht mehr als ein Drittel aller Interviewten davon aus, dass interne und externe Meetings auch in den kommenden Jahren durch Videokonferenzen ersetzt werden. 31 Prozent erwarten, dass sie weniger berufliche Reisen unternehmen.
Nach Ansicht der Studienautoren lässt sich der gesamte Personenverkehr künftig um bis zu acht Prozent reduzieren – wenn möglichst zeitnah Homeoffice und das virtuelle Arbeitsleben gefördert würden. Dies könne beispielsweise über die steuerliche Förderung von Heimarbeitsplätzen geschehen.
„Die Daten zeigen, dass Verhaltensänderungen möglich sind“, sagte Holger Berg, Co-Leiter des Forschungsbereichs Digitale Transformation am Wuppertal Institut. „Bisher zögerlich genutzte digitale Lösungen für Homeoffice sind quasi über Nacht akzeptiert worden, das ist eine Chance.“ So könnten Energieverbrauch und Emissionen auch künftig reduziert werden.
Der IT-Verband Bitkom erklärte, alle Unternehmen seien gefordert, Homeoffice für geeignete Tätigkeiten einzuführen und auch nach der Krise zum Standard zu machen. Dafür müsse die Politik zügig Hürden beseitigen, die dem flächendeckenden Einsatz solcher digitalen Anwendungen nach wie vor im Wege stehen, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg am Donnerstag. Als Beispiele nannte er eine Modernisierung des Arbeitsrechts, um zeit- und ortsflexibles Arbeiten zu erleichtern. Zugleich müsse auch die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung auf Vordermann gebracht werden.
Der Zwischenbericht zeige, so der Bitkom-Präsident, welche immensen Potenziale in digitalen Technologien für die Einsparung von Treibhausgasen lägen.
In der Vergangenheit allerdings hat sich etwa die Zahl der Flugreisen etwa nach der Finanzkrise immer wieder auf den ursprünglichen Wachstumstrend zurückentwickelt. Dieses Szenario halten die Experten des Wuppertal Institut und die Berater von EY auch für die Coronakrise für denkbar. Allerdings seien die digitalen Möglichkeiten bei der Finanzkrise noch wesentlich weniger entwickelt und Videokommunikation nicht flächendeckend verfügbar gewesen. Deswegen sei es jetzt realistischer, dass es zu dauerhaften Verhaltensänderungen komme.
Förderung von energieeffizienter Software
Der Bedarf an Technologie und digitaler Infrastruktur hat sich während der Krise allerdings erhöht, was gleichzeitig den Bedarf an Ressourcen treibt. So zeigt die Studie, dass gerade in der Anfangszeit der Corona-Einschränkungen die Nutzung digitaler Medien kräftig angestiegen ist. Das Datenvolumen erhöhte sich etwa durch Videokonferenzen (plus 120 Prozent) und Online-Gaming (plus 30 Prozent).
Klar ist: Ohne Digitalisierung wären die negativen Auswirkungen auf Wirtschaft und Zusammenleben sehr viel größer geworden. Dennoch muss Digitalisierung stärker mit Klimaschutz zusammengedacht werden, damit größere Datenvolumen nicht zu einem deutlich höheren Energieverbrauch führen und die Emissionen weiter steigen lassen.
Die Studienautoren schlagen deswegen vor, die bereits in der umweltpolitischen Digitalagenda angelegten Maßnahmen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks umzusetzen. Etwa durch energieeffizientere Software, eine intelligentere Auslastungssteuerung oder eine verstärkte Abwärmenutzung. Gleichzeitig müsse die vollständige Umstellung auf Strom aus erneuerbaren Energien vorangetrieben werden.
Das Ministerium hatte im März seine umweltpolitische Digitalagenda vorgelegt. Jetzt plant die SPD-Politikerin, das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Juli auf die europäische Ebene zu heben. Mitte Juli ist ein virtuelles Treffen der EU-Umweltminister zu diesem Thema geplant.
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Online-Einkäufe nahmen um bis zu 60 Prozent zu. Profitiert haben aber in der Regel die großen Anbieter, obwohl das Interesse an regionalen Produkten durchaus gestiegen ist – aber die Angebote fehlten in der Breite. Ein Ausweg könnte in der Förderung regionaler digitaler Vertriebsplattformen liegen.
„Unsere Konsumdaten zeigen, dass sich das Verbraucherverhalten ändert“, sagte EY-Partner Thomas Losse-Müller. Damit regionale Wertschöpfungsketten davon profitierten, müsse der lokale Einzelhandel in eigene Onlineangebote investieren. „Das ist ein Feld, das bisher kaum bedient worden ist.“
Mehr: Die Grünen fordern schon lange ökologische Leitplanken für die Digitalisierung.
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