Coronakrise Mittelständler fürchten Pleitewelle wegen schleppender Corona-Hilfen

Viele Mittelständler können aufgrund des langen Lockdowns nicht mehr auf eigene Rücklagen zurückgreifen (Archivbild).
Berlin In der Wirtschaft wächst der Unmut über die Umsetzung der staatlichen Corona-Hilfen. Der Gesetzgeber müsse „schleunigst nachsteuern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Familienunternehmer-Verbands, Albrecht von der Hagen, dem Handelsblatt. „Denn für viele Unternehmen läuft die Uhr inzwischen gefährlich schnell ab.“
Auch der Mittelstandsverbund ZGV, der nach eigenen Angaben die Interessen von etwa 230.000 mittelständischen Unternehmen vertritt, sorgt sich um die betroffenen Firmen wegen der „viel zu langen und technokratischen Wege“ zu den Fördermitteln. „Immer mehr von ihnen treibt es nach dem krisenbedingten Verzehr ihres Eigenkapitals weiter in die Verschuldung“, sagte Verbandshauptgeschäftsführer Ludwig Veltmann dem Handelsblatt. „Tausende werden gerade auch wegen der verschleppten Hilfen ihre Geschäfte nach der Pandemie nicht mehr öffnen können.“
Der Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer warnte ebenfalls vor den Folgen, sollte es jetzt nicht zügig zu Auszahlungen der Hilfsgelder kommen. „Im März oder April nützen die Gelder vielen Betrieben nicht mehr, weil die dann längst nicht mehr liquide sind und pleite gehen“, sagte Wollseifer. „Besonders bei den kleineren Betrieben sind nicht nur die Rücklagen inzwischen aufgebraucht.“ Sie hätten auch ihr privates Vermögen eingebracht.
Auch von der Hagen gab zu bedenken, dass viele Mittelständler aufgrund der langen Dauer der verschiedenen Lockdowns nicht mehr auf eigene Rücklagen zurückgreifen könnten. Die Bundesregierung habe eine „schnelle“ und eine „unbürokratische Hilfe“ zugesagt. Die Realität sehe aber anders aus. „Diverse Antragsbedingungen waren und sind zum Teil noch immer nicht hinreichend transparent.“ Prüfungen und Auszahlungen zögen sich weiter hin.
Von der Hagen bemängelte, dass etwa die Dezemberhilfe nur Unternehmen nutzen dürften, die bereits im November von bundesweit geltenden Schließungen betroffen waren. Das seien vor allem Restaurants. „Für fast den ganzen Einzelhandel, der erst im Dezember schließen musste und für den Weihnachten die umsatzstärkste Zeit ist, ist dies verheerend.“
Unternehmen können derweil Anträge auf Corona-Hilfszahlungen des Bundes nun länger stellen als bislang geplant. Die Antragsfrist für die November- und die Dezemberhilfe wurde bis 30. April verlängert, für die Überbrückungshilfe II bis 31. März, wie das Wirtschaftsministerium am Donnerstag mitteilte.
Bundesregierung wirbt um Vertrauen
Mit der November- und Dezemberhilfe sollen Firmen, Selbstständige, Vereine und Einrichtungen entschädigt werden, die von Schließungen betroffen sind. mit der Überbrückungshilfe II werden betriebliche Fixkosten wie Mieten und Pachten für den Zeitraum September bis Dezember 2020 erstattet.
Angesichts der länger andauernden Coronakrise wirbt die Bundesregierung bei der Wirtschaft um Vertrauen. „Wir haben die Mittel, die nötig sind, und wir werden sie auch einsetzen. Darauf kann jeder und jede in der deutschen Wirtschaft vertrauen“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigte die Hilfsmaßnahmen. „Wir haben seit Beginn der Pandemie 75 Milliarden Euro an die Wirtschaft gegeben, an kleine selbstständige Mittelständler, an größere Unternehmen“, sagte er am Mittwochabend im ZDF-„heute journal“. Hinzu kämen 20 Milliarden Euro für Kurzarbeitergeld. „Aber es ist für den, der immer noch wartet und das Geld dringend braucht, natürlich eine große Geduldsprobe, und dann habe ich für Kritik auch viel Verständnis.“
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Scholz sagte: „Die Hilfen für die Unternehmen sind wichtig – und da muss ich den Kollegen Altmaier auch vor Kritik etwas in Schutz nehmen: In kurzer Zeit musste eine Plattform programmiert werden, auf der bundesweit diese Hilfen beantragt werden und teilweise sogar automatisiert ausgezahlt werden können. Das ist technisch nicht trivial.“
Laschet kritisiert Scholz – Lambrecht kritisiert Altmaier
Handwerkspräsident Wollseifer zeichnet ein düsteres Bild der Lage. „Viele Betriebsinhaber sind verzweifelt, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Kosten und den Betrieb am Laufen halten sollen“, sagte er. Hinzu komme „der Frust und das völlige Unverständnis“ über die Fülle und Unterschiede bei den Zugangsvoraussetzungen, Antragswegen und dann auch noch Änderungen der Konditionen. „Das muss aufhören und stattdessen müssen unsere Betriebe jetzt dringend an die nötigen Informationen kommen und Hilfen einfach beantragen können“, mahnte Wollseifer.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) nahm Minister Scholz für die stockende Auszahlung der Novemberhilfen in die Verantwortung. „Das ist kein Meisterwerk des Bundesfinanzministers. Wer mit großen Worten eine Bazooka und einen Wumms ankündigt, darf nicht an Ladehemmung scheitern“, sagte der Kandidat für den CDU-Vorsitz dem Handelsblatt. Die Unternehmer schüttelten zu Recht mit dem Kopf.
Dagegen wies Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) auf die Zuständigkeit Altmaiers hin. Scholz habe dafür gesorgt, dass die notwendigen Mittel zur Verfügung stünden. „Jetzt muss der zuständige Bundeswirtschaftsminister Altmaier dafür sorgen, dass die Hilfen auch zügig bei den Unternehmen ankommen, die dringend darauf warten“, sagte Lambrecht dem Handelsblatt.
Mittelstandsverbund-Hauptgeschäftsführer Veltmann kritisierte das Zusammenspiel zwischen Scholz und Altmaier. „Die eher unternehmensnahe Expertise des Bundeswirtschaftsministers findet durch den Bundesfinanzminister mitunter keine Beachtung oder wird blockiert mit der Folge, dass die auf dem politischen Kompromissweg gestalteten Programme letztlich teilweise glatt an den Bedarfen vorbeigehen“, sagte Veltmann. Dies erkläre den oft stockenden Mittelabfluss, wie dies beispielsweise bei der Überbrückungshilfe I der Fall gewesen sei.
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