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Coronakrise Pandemiemüdigkeit in der Koalition: Merkels Corona-Kurs gerät zunehmend unter Druck

Der Stimmungswandel zeigt sich bei der anstehenden Verlängerung der epidemischen Lage. Auch innerhalb der Union wächst der Unmut: „Die Lunte ist kurz“, sagt ein Fraktionsmitglied.
03.03.2021 - 15:08 Uhr 2 Kommentare
An diesem Donnerstag soll die seit einem Jahr geltende epidemische Lage von nationaler Tragweite vom Bundestag verlängert werden. Quelle: dpa
Bundestag

An diesem Donnerstag soll die seit einem Jahr geltende epidemische Lage von nationaler Tragweite vom Bundestag verlängert werden.

(Foto: dpa)

Berlin Ralph Brinkhaus ließ in der virtuellen Fraktionssitzung diese Woche keinen Zweifel, auf wessen Seite er steht. Er gehöre der „Fraktion Vorsicht“ an, erklärte der Vorsitzende der Bundestagsfraktion von CDU und CSU und platzierte sich damit fest an die Seite des Kanzleramts und der Lockdown-Strategie. Dabei war er eigentlich angetreten, um der Fraktion neues Selbstbewusstsein zu geben und das Gefühl zu nehmen, wie unter Vorgänger Volker Kauder nur noch Regierungsvorhaben abzunicken.

Brinkhaus erntete Widerspruch, in der Sitzung entwickelte sich eine heftige Debatte. „Die Lunte ist kurz“, kommentierte ein Fraktionsmitglied hinterher.

Die Diskussion in der Union spiegelt die Lage im Land. Der Corona-Politik stimmen weit weniger Menschen zu als noch vor einem Jahr. Dies ist umso problematischer für die Abgeordneten, da bereits am 14. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz neue Landtage gewählt werden und obendrein in Hessen neue Stadtparlamente.

Zudem sinken die Zustimmungswerte für die Union im Bund – und zwar mit 32,5 Prozent auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Pandemie im März 2020. Die SPD liegt nur noch bei 16 Prozent. Entsprechend wichtig sei die Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Mittwoch heißt es bei Koalitionären im Bundestag. Viele fürchten, dass ohne einen klaren Kurswechsel Union und SPD bald schon die Quittung erhalten könnten.

In der Unionssitzung am Dienstag bildeten sich nach den Äußerungen von Brinkhaus und seiner „Fraktion Vorsicht“ via Wortmeldungen prompt weitere Fraktionen. Der baden-württembergische Rechtspolitiker Ingo Wellenreuther konterte nach Angaben von Teilnehmern: Er sei Mitglied der „Fraktion Grundgesetz“ und lehne Ungleichbehandlungen ab, die bei den zum Teil geöffneten und nicht geöffneten Geschäften und anderen Einrichtungen stattfänden.

Erntet zusehend Widerspruch aus den eigenen Reihen. Quelle: dpa
CDU/CSU-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus

Erntet zusehend Widerspruch aus den eigenen Reihen.

(Foto: dpa)

Grundrechtseinschränkungen seien nur dann gerechtfertigt, wenn es unterschiedliche Risiken gebe, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. „Wenn solche unterschiedlichen Infektionsrisiken allerdings nicht festzustellen sind, dann halte ich eine unterschiedliche Behandlung durch die Exekutive für sachlich nicht gerechtfertigte Grundrechtseinschränkungen und damit nicht für rechtmäßig und zudem für einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 des Grundgesetzes“, argumentiert Wellenreuther. „Auch nicht die Körpernähe der Dienstleistungen ist ein zulässiges Kriterium, das einer rechtlichen Überprüfung standhält.“

Verhältnismäßigkeit und Vorsicht

Es folgte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann aus Niedersachsen. Sie bezeichnete sich als „Fraktion Verhältnismäßigkeit“ und betonte, dass dies kein Gegensatz zu einer „Fraktion Vorsicht“ sei. „Private Kontakte auszuweiten – und das wegen eines Feiertags – wäre unvorsichtig“, erklärte sie. „Einzelhändler, Kultureinrichtungen und Hotels mit ausgefeilten, aufwendigen Hygienekonzepten weiter zu schließen, wäre unverhältnismäßig.“ Dies sei nicht plausibel, kritisierte Connemann. „Und damit bricht die Akzeptanz.“

Auch führende Sozialdemokraten stellen sich immer klarer gegen die Linie des Kanzleramts. Bundesfinanzminister Olaf Scholz forderte im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels eine klare Öffnungsperspektive. „Vieles, was im Augenblick zu lesen und zu hören ist, reicht aus meiner Sicht noch nicht aus“, sagt er der „Bild“-Zeitung.


Immer mehr Branchen fordern klare Öffnungsperspektiven. Quelle: imago images/penofoto
Geschlossene Gastronomie

Immer mehr Branchen fordern klare Öffnungsperspektiven.

(Foto: imago images/penofoto)

Besonders deutlich zeigt sich der Stimmungswandel in der Koalition bei der seit einem Jahr geltenden epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die am Donnerstag vom Bundestag verlängert werden soll. Die Verlängerung hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unter dem Druck der Fraktionen von Union und SPD auf drei Monate befristet. Damit enden die Sonderbefugnisse der Regierung bei der Pandemiebekämpfung im Juni, wenn das Parlament den Ausnahmezustand dann nicht erneuert.

Spahns Gesetzentwurf zur epidemischen Lage erfuhr darüber hinaus im parlamentarischen Verfahren einige Änderungen. Vor allem die Sozialdemokraten machten sich dafür stark, die Bedeutung der erst im November gesetzlich festgeschriebenen Inzidenzwerte für eine Lockerung oder Verschärfung von Corona-Maßnahmen abzuschwächen. Das habe man „trotz Widerstands aus dem Kanzleramt“ durchsetzen können, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, bei einem Pressegespräch am Mittwoch.

Der Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes hält Bund und Länder zu bestimmten Maßnahmen an, wenn die Zahl der registrierten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen über der Schwelle von 35 beziehungsweise 50 liegt. Die Kritik an diesen starren Orientierungswerten hatte zuletzt deutlich zugenommen.

Abgeordnete wollen mehr Mitsprachemöglichkeit

Der entsprechende Paragraf soll nun so geändert werden, dass auch Fortschritte beim Impfen bei künftigen Lockdown-Entscheidungen berücksichtigt werden. Auch der R-Wert, an dem sich die Dynamik des Infektionsgeschehens ablesen lässt, wird aufgeführt.

„Ergänzend wird in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Nennung dieser beiden Kriterien nicht abschließend ist und insbesondere auch die Auslastung des Gesundheitswesens berücksichtigt werden muss“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner. „Wir können die zum Teil erheblichen Grundrechtseingriffe nicht allein an den Inzidenzwerten ausrichten.“

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Die Abgeordneten sollen außerdem mehr Mitsprachemöglichkeiten beim Kampf gegen Corona erhalten. Am Donnerstag wollen die Fraktionen von Union und SPD die Schaffung eines „Parlamentarischen Begleitgremiums“ beschließen, das formal als Unterausschuss dem Gesundheitsausschuss des Bundestags angegliedert wird.

Dem 21-köpfigen Gremium sollen Abgeordnete aus verschiedenen Fachgebieten und aller im Parlament vertretenen Parteien angehören. Auch externe Sachverständige und Vertreter der Bundesregierung sollen einbezogen werden. Der Ausschuss soll „interdisziplinär“ arbeiten und dabei „künftige gesundheitliche und soziale Fragen der Bewältigung der Covid-19-Pandemie“ behandeln sowie „auf wissenschaftlicher Grundlage“ Empfehlungen geben.

Wie groß der Einfluss dieses Pandemiegremiums in den kommenden Monaten tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten. Die Opposition hat jedenfalls Zweifel, ob eine kleine Gruppe von Abgeordneten ein Gegengewicht zu den mächtigen Beschlussrunden von Merkel und den Ministerpräsidenten bilden kann. Der FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann kritisierte: Grundlegende Fragen zur Corona-Pandemie „dürfen nicht in einem neuen Unterausschuss eines Fachausschusses versenkt werden“.

Mehr: Durch den breiten Einsatz von Schnelltests erhoffen sich Bund und Länder, weitergehende Öffnungen zu ermöglichen. Doch diese Strategie hat Tücken.

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2 Kommentare zu "Coronakrise: Pandemiemüdigkeit in der Koalition: Merkels Corona-Kurs gerät zunehmend unter Druck"

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  • Der Focus hat heute einen sehr interesannten Artikel veröffentlicht. Aus diesem geht hervor dass ca. 60-70% der derzeit in Kliniken behandelten Corona -Kranken einen Migrationshintergrund haben. Wieso findet keiner unserer Herrschaften in der Regierung- im weitesten Sinne- dazu einen Kommentar und entsprechende Maßnahmen. Kein Lauterbach, kein RKI Sabbler hat dazu einen Kommentar. Vieleicht wäre es sinnvoll hier einmal Ansätze zu suchen, anstatt einfach jedermanns Freiheit einzuschränken, ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz.

  • Gut geschrieben und alle Positionen aus allen Persepktiven dargestellt

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