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Coronakrise Schnelltests, „Notbremse“, Inzidenzberechnung: Wie die Politik ihre eigenen Corona-Beschlüsse unterläuft

Bund und Länder erwarten, dass die Corona-Regeln strikt beachtet werden. Dabei halten sie sich teilweise selbst nicht an vereinbarte Beschlüsse. Fünf Beispiele.
10.03.2021 Update: 15.03.2021 - 23:35 Uhr Kommentieren
In den Testzentren herrscht derzeit großer Andrang. Quelle: dpa
Schnelltests

In den Testzentren herrscht derzeit großer Andrang.

(Foto: dpa)

Berlin In diesen Tagen ist viel von Vertrauen die Rede: in das Corona-Krisenmanagement der Bundes- und Landesregierungen und in die gewählten Volksvertreter in den Parlamenten. Dass das Vertrauen aktuell einer enormen Belastungsprobe ausgesetzt ist, zeigt die Affäre um Profite von Bundestagsabgeordneten der Union bei der Beschaffung von Schutzmasken.

Das sei mit den Grundwerten der Union unvereinbar, erklärte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) mit Blick auf die Abgeordneten Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU). Für Söder stehen daher „grundlegende Konsequenzen“ für die Betroffenen außer Frage, weil alles andere das Vertrauen in die Politik beschädige. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sprach angesichts der Maskenaffäre von Vertrauen als dem „höchsten Gut in dieser Pandemie“.

Hintergrund sind die Fälle der Unionsabgeordneten Nikolas Löbel (CDU) und Georg Nüßlein (CSU). Löbels Firma soll Provisionen von rund 250.000 Euro kassiert haben, weil sie Kaufverträge über Schutzmasken zwischen einem baden-württembergischen Lieferanten und zwei Privatunternehmen in Heidelberg und Mannheim vermittelt hat. Nach heftiger Kritik trat Löbel am Montag aus der CDU aus und zog sich auch umgehend aus dem Parlament zurück.

Der CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein soll ebenfalls eine sechsstellige Euro-Summe für die Vermittlung von Lieferverträgen für FFP2-Masken an den Bund und die bayerische Staatsregierung erhalten haben. Gegen ihn ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München wegen des Anfangsverdachts der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dem Kauf von Masken. Nüßlein kündigte ebenfalls seinen Rückzug aus der Politik an. Zudem trat er zuerst aus der Fraktion, dann auch aus der CSU aus.

Vertrauen leidet indes auch, weil die Politik ihre eigenen Corona-Beschlüsse unterläuft. Der nordrhein-westfälische CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke erklärte dazu auf Twitter: „Man muss es sagen, wie es ist: Das Vertrauen in die Politik wird aktuell arg strapaziert.“ Und das sei noch freundlich ausgedrückt.

Berlins Regierender Bürgermeister, die Kanzlerin und Bayerns Ministerpräsident erklären das weitere Vorgehen in der Pandemie. Quelle: AP
Michael Müller (SPD), Angela Merkel (CDU) und Markus Söder (CSU)

Berlins Regierender Bürgermeister, die Kanzlerin und Bayerns Ministerpräsident erklären das weitere Vorgehen in der Pandemie.

(Foto: AP)

Folgende fünf Beispiele zeigen exemplarisch, wie die Politik Gefahr läuft, Vertrauen zu verspielen:

1. Schnelltests

Parallel zur Lockerung von Corona-Beschränkungen setzt die Bundesregierung verstärkt auf Tests, die nicht extra im Labor ausgewertet werden müssen. Angeboten werden sollte ab Montag, dem 8. März zumindest ein kostenloser Schnelltest pro Woche für alle Bürger. Doch in der Praxis sah es so aus, dass viele Apotheken und Arztpraxen zunächst keine Schnelltests anbieten konnten – auch mit Verweis darauf, dass die entsprechende Bundesverordnung noch nicht vorliege. In den Testzentren herrschte zum Teil großer Andrang, wie etwa die Länder Berlin und Sachsen berichteten.

Der Vizechef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gar vor, für ein Testchaos gesorgt zu haben. Zwar kämen nun vermehrt Schnelltests zum Einsatz, „doch leider in einer absolut kurzfristigen, ja formal sogar rückwirkenden Umsetzung, die direkt beim Start zum Chaos geführt hat“, sagte Hofmeister dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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Wie das Chaos vor Ort aussieht, zeigt etwa das Beispiel des Landkreises Potsdam-Mittelmark in Brandenburg. Landkreissprecherin Andrea Metzler sprach von vielen offenen Fragen, zum Beispiel um einen „Testtourismus“ zu verhindern. So sei keine Kontrolle darüber möglich, ob Testwillige nicht innerhalb einer Woche zwei oder mehr verschiedene Apotheken zum Testen aufsuchten, sagte Metzler den „Potsdamer Neuesten Nachrichten“. „Wer soll das kontrollieren, wer die Personalien aufnehmen“, fragte sie auch mit Blick auf Bedenken zum Datenschutz.

2. Impfreihenfolge

Der Schutz von Risikogruppen, also etwa Menschen mit Vorerkrankungen, hat für die Bundesregierung oberste Priorität. Daher regelt sie die Impfreihenfolge in ihrer Impfverordnung. Allerdings setzen sich die Bundesländer bei den Corona-Impfungen nach Angaben des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, eigenmächtig über die Verordnung des Bundes hinweg. „De facto wird in den Ländern schon lange gegen die Priorisierung verstoßen“, sagte der Ulmer Virologe der Nachrichtenagentur dpa.

Es seien schon jetzt viele geimpft worden, die nach wissenschaftlichen Kriterien der Priorisierung noch nicht an der Reihe wären – etwa Erzieher, Lehrkräfte oder Polizisten. Ein Lockern der Priorisierung dürfe nicht dazu führen, dass die Schwächsten und Gefährdetsten für schwere Covid-19-Verläufe benachteiligt würden, warnte Mertens.

3. Corona-„Notbremse“

Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Brandenburg weichen im Fall steigender Infektionszahlen von der von Bund und Länder beschlossenen „Notbremse“ ab. Vereinbart war, dass im Fall eines starken Anstiegs der Infektionszahlen Lockerungen wieder wegfallen. Konkret soll die „Notbremse“ greifen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 liegt. Die Sieben-Tage-Inzidenz zeigt, wie viele Menschen sich pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen mit dem Virus infiziert haben.

In NRW soll die „Notbremse“ nach Angaben des Gesundheitsministeriums nicht automatisch greifen. Zunächst sei zu prüfen, welche Umstände zu der Überschreitung geführt hätten, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. „Wenn alleine durch die vielen zusätzlichen Testungen bei einem ansonsten stabilen Infektionsgeschehen die Zahlen steigen, muss man das bei den weiteren Bewertungen mit einbeziehen.“

Die brandenburgische Landesregierung hatte zuvor bereits eine abweichende Regelung erlassen. Danach sollen erst dann wieder schärfere Kontaktbeschränkungen und Maßnahmen festgesetzt werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz für mindestens drei Tage in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt den Wert von 200 übersteigt.

Möglicherweise rückt Brandenburg von dieser Regelung aber wieder ab. Der Grund: Zuletzt gab es in dem Bundesland 80,9 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von einer Woche, das Land nähert sich damit dem kritischen Wert 100.

„Im Moment gibt es keinen Spielraum für weitere Lockerungen“, sagte Landes-Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) . Die Landesregierung müsse vielmehr beraten, ob Lockerungen möglicherweise zurückgenommen werden. Es gehe um geöffnete Baumärkte und Floristikgeschäfte sowie die Kontaktbeschränkungen.

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Für die Lockerung der „Notbremse“ hatte die Potsdamer Landesregierung viel Kritik einstecken müssen. Der SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologe Karl Lauterbach nannte den Beschluss „mittelgradig unglaublich“. „Wenn das alle Bundesländer machen, wird es eine schwere dritte Welle geben und dann einen langen Lockdown“, schrieb Lauterbach auf Twitter. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin übte Kritik und nannte den Beschluss „unglaublich unverantwortlich“. Die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, nannte die Brandenburger Regelung „ziemlichen Wahnsinn“. „Das gefährdet das Leben und die Gesundheit von Menschen“, sagte Wissler bei RTL/ntv.

Brandenburgs Regierungssprecher Florian Engels wies die Kritik zurück. Sollte sich der landesweite Wert einer Inzidenz von 100 beharrlich nähern, werde die Landesregierung entscheiden, welche konkreten Schritte ab Überschreiten der 100er-Linie über drei Tage ergriffen würden.

4. Inzidenzwert-Berechnung

Bund und Länder haben vereinbart, dass bei einer Sieben-Tage-Inzidenz zwischen 50 und 100 die Öffnung des Einzelhandels nur noch für sogenannte Terminshopping-Angebote („Click and Meet“) möglich ist. Wer vorher einen persönlichen Termin mit dem Geschäft seiner Wahl online, telefonisch oder persönlich an der Ladentür ausmacht, kann dann zum vereinbarten Zeitpunkt vorbeikommen.

In der Corona-Verordnung in Baden-Württemberg gibt es allerdings ein Schlupfloch. Dort heißt es: „Bei der Bewertung der Inzidenzwerte kann das Gesundheitsamt die Diffusität des Infektionsgeschehens angemessen berücksichtigen.“ Der Landkreis Göppingen hat davon bereits Gebrauch gemacht und eine eigene „Notbekanntmachung“ erlassen.

Als Grund für die Entscheidung gab die Behörde an, dass die Erhöhung der Inzidenz auf über 50 „nicht durch eine Diffusität des Infektionsgeschehens verursacht ist, sondern dass der Anstieg der Fallzahlen im Wesentlichen durch Ausbruchsgeschehen (unter anderem Pflegeheim, Kindergarten, Großfamilie) verursacht wurde“. Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz am 5. März also 57,3 betrug, bewertete das Gesundheitsamt das Infektionsrisiko mit einer Inzidenz von unter 50 Neuninfektionen pro 100.000 Einwohner.

5. Quarantänepflicht bei Rückreise aus dem Ausland

Seit dem 8. November 2020 gilt grundsätzlich für Ein- beziehungsweise Rückreisende aus dem Ausland, die sich innerhalb der letzten zehn Tage vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, die Verpflichtung, sich unverzüglich nach Einreise in eine zehntägige Quarantäne zu begeben. Das gilt auch, wenn die Inzidenz zwischenzeitlich im Ausland deutlich niedriger ist als in Deutschland.

Nach frühestens fünf Tagen der Quarantäne können sich die Einreisenden auf Sars-CoV-2 testen lassen, um die Quarantänepflicht durch ein negatives Testergebnis zu beenden. Für Unverständnis sorgt diese Regelung bei Reisenden, die etwa von der spanischen Mittelmeerinsel Mallorca zurückkommen. Auf den Balearen lag die Sieben-Tage-Inzidenz am 5. März bei 25,49 – ist also niedriger als in Deutschland. Die Quarantänepflicht gilt dennoch.

Mehr: Maskenaffäre verhagelt CDU-Chef Laschet den Start ins Superwahljahr

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