Coronakrise Staatsrechtler: „Heinsberg könnte zum Corona-Risikogebiet erklärt werden“

Bundesweit am stärksten vom Coronavirus betroffen: Der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen.
Berlin Nach Einschätzung des Speyrer Staatsrechtlers Joachim Wieland sind angesichts der Coronavirus-Epidemie umfassende staatliche Abwehrmaßnahmen möglich. „Der Staat könnte Heinsberg zum Risikogebiet erklären“, sagte Wieland dem Handelsblatt. „Es würde sich um eine staatliche Warnung handeln, die mit dem Grundgesetz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar wäre, wenn es sich um eine zutreffende und sachlich gehaltene Information über die dort drohenden Gefahren handelte.“
Ob eine solche Warnung erfolge, hänge von Ermessenserwägungen ab – insbesondere von der Höhe der gesundheitlichen Risiken, „die mit den Nachteilen wie unnötiger Panik und wirtschaftlichen Schäden abgewogen werden müssen“. Der Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen ist bundesweit am stärksten vom Coronavirus betroffen.
Der Chef-Virologe der Berliner Charité plädierte deshalb für die Absage von Bundesligaspielen in der Region. „Volle Stadien mit Zehntausenden von Fans – gerade in Gegenden wie dem vom Coronavirus jetzt stark betroffenen Rheinland – müssten aus medizinischer Sicht eigentlich gestoppt werden“, sagte Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Das Stadion von Borussia Mönchengladbach liegt keine zehn Kilometer vom Kreis Heinsberg entfernt. Die Behörden hatten dennoch entschieden, dass das Bundesliga-Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund an diesem Samstag (18.30 Uhr) stattfinden kann.
Auch der Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) äußerte sich in einer Videobotschaft am Freitagmorgen verwundert über diese Entscheidung in der Nachbarstadt. Während im Kreis Heinsberg noch mindestens bis zum Ende der kommenden Woche alle Schulen und Kitas geschlossen bleiben müssten, um die Ausbreitung des Virus Sars-CoV-2 zu verhindern, finde wenige Kilometer weiter eine solche Großveranstaltung statt.
Spahn rät von Reisen in bestimmte NRW-Regionen ab
„Ich würde mir natürlich wünschen, dass man das mal näher erklärt“, sagte Pusch. „Beispielsweise, welche Risikoabwägung dem zugrunde liegt, warum man davon ausgeht, dass vielleicht die Ansteckungsgefahr geringer ist als üblich.“ Eine solche Erklärung der Behörden in Mönchengladbach vermisse er.
#coronavirus-Fallzahlen in #Deutschland (Quelle: @rki_de ) #coronavirusdeutschland #CoronaVirusDE pic.twitter.com/BnnJO3aQoh
— Dietmar Neuerer (@dneuerer) March 7, 2020
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte am Mittwoch mitgeteilt, das Gesundheitsamt der Stadt Mönchengladbach sehe keinen Grund für eine Absage des Bundesliga-Spitzenspiels. Andererseits hatte auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Bürger aufgerufen, Corona-Risikogebiete zu meiden. Auf nicht notwendige Reisen in besonders betroffene Regionen in Italien, aber auch in Nordrhein-Westfalen sollte man verzichten, sagte Spahn am Freitag am Rande der Treffen der EU-Gesundheitsminister in Brüssel.
Laut dem Staatsrechtler Wieland könnte der Staat nach dem Infektionsschutzgesetz und nach dem Polizei- und Ordnungsrecht auch Sportveranstaltungen verbieten und Schulen schließen. Dabei müssten aber immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet sowie Vor- und Nachteile solcher Maßnahmen abgewogen werden. „Das gilt vor allem für so einschneidende Maßnahmen wie Reiseverbote“, sagte der Staatsrechtler. „Es ist also vieles rechtlich möglich, aber kaum etwas rechtlich zwingend erforderlich.“
Bundesbürger sollen indes nun auch von nicht erforderlichen Reisen nach Südtirol absehen. Das Auswärtige Amt erweiterte entsprechende Reisehinweise für Italien, wie ein Sprecher am Freitag bestätigte. Abgeraten wird nun von nicht nötigen Reisen in die Provinz Südtirol und die Regionen Lombardei und Emilia-Romagna sowie in die Stadt Vo in der Provinz Padua. Das Robert Koch-Institut (RKI) stufte bislang zudem Regionen in China, Südkorea und dem Iran als Risikogebiete ein.
Südtirol reagierte mit Unverständnis auf die Einstufung als Coronavirus-Risikogebiet. Dort gibt es nach Angaben des Zivilschutzes nur vier Infizierte. Eine Sprecherin des Landeshauptmanns Arno Kompatscher betonte, dass Südtirol selbst in Italien als kein Risikogebiet gelte. Die Wintersportregion ist vor allem bei deutschen Urlaubern beliebt. Die neue Einstufung bedeute eine Katastrophe für den Tourismus. Unterdessen hat auch der Vatikan einen ersten Coronavirus-Fall vermeldet.
EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte, in den kommenden Wochen sei in den EU-Staaten mit einem raschen Anstieg der Fallzahlen zu rechnen. Dies werde zum Test für die Gesundheitssysteme in der EU. Sie appellierte an die Bürger, Hygienemaßnahmen einzuhalten und dankte dem medizinischen Personal.
Mehr: Lesen Sie hier, was Anleger aus Krisen lernen können.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.