Coronavirus Das sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie im Kreis Heinsberg

Bei 14 Prozent der Bewohner wurde inzwischen eine Immunität nachgewiesen.
Düsseldorf Es ist in diesen Tagen nicht nur in Deutschland die wohl entscheidende Frage: Sind die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus richtig? Ein wichtiger Bestandteil der Klärung dieser Frage ist die Erfassung der bisher nicht erfassten Infektionen. Wie hoch ist die Dunkelziffer? Entsprechende Studien laufen derzeit in München und im Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat an diesem Donnerstag die ersten Zwischenergebnisse der entsprechenden Feldstudie unter der Leitung des Virologen Hendrik Streeck präsentiert. In Heinsberg hat sich nach Karneval ein erster Infektionsschwerpunkt in Deutschland gezeigt. Seit dem 25. Februar sind dort bisher 1.527 bestätigte Fälle aufgetreten, viele Menschen genesen – und die Übertragungswege oft gut nachvollziehbar. Zudem wurden hier früh häusliche Quarantänemaßnahmen durchgeführt.
Wie gefährlich ist das neue Virus? Und wie verhält es sich? Streeck, Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn, konnte mit Laschet zumindest einige dieser Fragen bereits vor Ende der gesamten Studiendauer behutsam beantworten. Das wohl wichtigste Zwischenergebnis: Die Studie zeigt Streeck zufolge, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie gelockert werden können.
- Die Infektionsrate beträgt rund 15 Prozent. Dies sei eine wichtige Zahl und führe dazu, dass sich die Ausbreitung verlangsame, so Streeck. Bei diesen ersten, aber wissenschaftlich schon repräsentativen Zwischenergebnissen handele es sich um eine eher konservative Berechnung.
- Bei 14 Prozent der Bewohner in Gangelt, einer Gemeinde im Kreis Heinsberg, wurde inzwischen eine Immunität nachgewiesen. Bisher wurde lediglich vermutet, dass eine überstandene Erkrankung gegen das Virus schützt, nun lässt sich diese Vermutung nachweisen.
- Die Sterblichkeitsrate, die sich aus den Studienergebnissen in Gangelt ableitet, liegt bei rund 0,4 Prozent. Die Daten der Johns-Hopkins Universität, die weltweit Fallzahlen erfasst, weist für diesen Bereich eine fünffach höhere Mortalität aus. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass strenge Hygienevorschriften das Sterblichkeitsrisiko drastisch senken.
- Eine weitere Ableitung: Durch die Kombination aus nicht-tödlichen Krankheitsverläufen und der Infektionsrate von 15 Prozent habe die Herdenimmunisierung bereits eingesetzt. Die Ausbreitung verlangsamt sich. Es wird davon ausgegangen, dass in Deutschland ab einem Immunisierungsgrad von 60 bis 70 Prozent die Ansteckungsrate unter eins fällt – die Epidemie also unter Kontrolle ist.
„Eine Rückkehr ins normale Leben wird uns leichter fallen, weil die Bürgerinnen und Bürger gelernt haben, Hygieneregeln einzuhalten“, sagte Streeck bei der Vorstellung der Studie. In der ersten Phase habe der Landkreis mit Quarantänemaßnahmen und die Bundesregierung mit der „gesellschaftlichen Quarantänisierung“ richtig gehandelt.

Der Virologe warnt: „Wir müssen lernen, mit Sars-2 zu leben und die Gefahren richtig einzuordnen.“
Jetzt sei man in der Position, in die zweite Phase zu kommen. In der Phase zwei werde die „gesellschaftliche Quarantänisierung“ zurückgefahren, die hygienischen Maßnahmen blieben aber erhalten. „Wir müssen lernen, mit Sars-2 zu leben und die Gefahren richtig einzuordnen“, sagte Streeck. Die Aufgabe der Wissenschaft sei es, entsprechende Erkenntnisse zu erarbeiten und der Politik zur Verfügung zu stellen.
Zuletzt hatten auch das Robert Koch-Institut und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von vorsichtig positiven Signalen gesprochen. Bei Verstetigung des Trends könne man „über eine schrittweise Rückkehr zur Normalität nach den Osterferien reden“, sagte Spahn dem Handelsblatt.
Die Leiter des sogenannten „Heinsberg Protokolls“ machten auch konkrete Vorschläge. Bei Corona-infizierten Kindern habe man kaum schwere Verläufe entdeckt, sagt Martin Exner, Leiter Instituts für Hygiene an der Universität Bonn. Daher könne man Kindertagesstätten wieder schrittweise öffnen. Exner empfiehlt aber, dass Kita-Betreuer über 60 Jahre zu Hause bleiben sollen. Auch die Zahl der Betreuungsgruppen soll reduziert werden.
„An einer riesengroßen Katastrophe vorbeigeschlittert“
Der Hauptübertragungsweg des Virus verläuft über Tröpfchen, bestätigte Exner. Man habe aber auch nachgewiesen, dass Viren auf Oberflächen für einige Stunden überleben könnten. Ob man sich aber über Oberflächen infizieren kann, werde derzeit untersucht.
Streeck geht davon aus, dass die Dunkelziffer in Heinsberg sehr gering sei, weil man im Landkreis repräsentative Studien durchgeführt und sehr breit getestet habe. Aber: Eine Ableitung auf die Dunkelziffer in Gesamtdeutschland lässt sich davon nicht herleiten.
Am kommenden Mittwoch werden Bund und Länder über das weitere Vorgehen in der Coronakrise beraten, sagte NRW-Ministerpräsident Laschet. Die Studie in Heinsberg werde dabei in der Diskussion als wichtige Grundlage dienen. Laschet hofft, dass die Länder einheitlich die Öffnung von Schulen und Kitas beschließen. Er geht zudem davon aus, dass die Spiele der Fußball-Bundesliga ohne Publikum stattfinden werden.
Der Landrat des Kreises Heinsberg, Stephan Pusch (CDU), sagte, die restriktiven Schutzmaßnahmen zeigten Wirkung. Die Kurve der Infektionszahlen flache ab. „Der Kreis Heinsberg ist an einer riesengroßen Katastrophe vorbeigeschlittert.“
Mit Agenturmaterial.
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Das Team von Herrn Prof. Streeck ermittelt eine Infektionsrate von ca. 15% und eine Sterberate (bezogen auf die Zahl der Infizierten) von ca. O,4%. Die einzige mir bekannte sonstige Studie, die ebenfalls eine Grundgesamtheit von Personen, die einem Infektionsrisiko ausgesetzt war, vollständig analysiert, bezieht sich auf sämtliche Personen an Bord des Kreuzfahrtschiffes Diamond Princess, auf dem es Mitte Februar einen mit viel Medienrummel verbundenen Corona-Ausbruch gegegeben hatte. Die London School of Hygiene and Tropical Medicine hat diesen Ausbruch untersucht und die Ergebnisse Anfang März veröffentlicht. Demnach haben sich von 3.711 Personen an Bord, die dem Virus ausgesetzt waren, 634 infiziert und 7 Personen sind gestorben. Dies, obwohl die medizinische Versorgung an Bord nach Medienberichten miserabel war. Dies ergibt eine Infektionsrate von 17% und eine Sterberate deutlich unter 0,5 - also Ergebnisse, die sehr ähnlich wie die der Heinsberg-Studie sind. Offensichtlich haben wir es hier mit einer recht brauchbaren Annäherung an die realen Verhältnisse zu tun.