Digital Services Act Europa will Facebook und Co. den Kampf ansagen – aber Deutschland zieht nicht mit

Deutschland bremst das Anti-Hetz-Gesetz.
Brüssel Als kürzlich Plakate mit dem Aufruf „Hängt die Grünen“ an ostdeutschen Straßenrändern auftauchten, verstummte das Wahlkampfgetöse für einen Moment. Andere Parteien zeigten sich erschüttert, solidarisierten sich mit den Grünen.
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz, wonach die Plakate einer rechtsextremen Splitterpartei weiterverbreitet werden dürfen, verstärkt nun die Empörung noch. Und doch hat der Vorfall etwas Tröstliches. Denn er zeigt, es gibt Normen der politischen Auseinandersetzung, die Demokraten bereit sind, gemeinsam zu verteidigen. Zumindest in der analogen Welt.
Im digitalen Raum sind diese Normen längst gefallen. Die Anfeindungen, denen Politiker im Internet ausgesetzt sind, erregen kaum noch Aufmerksamkeit. In Onlinenetzwerken verbreiten sich Hassbotschaften so inflationär, dass sie hingenommen werden.
Einen kleinen Ausschnitt dessen, Nutzerkommentare unter Facebook-Posts der AfD, hat die Organisation Reset zusammengestellt. An übelste Beleidigungen reihen sich Gewaltfantasien und Mordgelüste, unter denen die Forderung „sofort eliminieren“ noch zu den harmloseren gehört.
Plattformen wie Facebook, Youtube und Twitter quellen über vor Hass und Hetze. Doch ausgerechnet die Bundesregierung bremst die Bemühungen der EU, die Konzerne zu mehr Verantwortung zu zwingen. Dabei würde man annehmen, dass gerade Deutschland bei den Brüsseler Beratungen eine konstruktive Rolle spielt.
Das 2017 vom Bundestag beschlossene und im Sommer überarbeitete Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gilt als Pionierarbeit der Onlineregulierung und war in Teilen Vorbild für den „Digital Services Act“ (DSA), der jetzt auf EU-Ebene diskutiert wird.
Tatsächlich geschieht eher das Gegenteil. Hinter vorgehaltener Hand wird in Brüssel kritisiert, dass Deutschland rote Linien definiere und damit die Kompromissfindung zum DSA erschwere. Derzeit stimmen Mitgliedstaaten und das Parlament ihre Positionen ab, doch die Verhandlungen kommen nur schleppend voran. Auch ein aktueller Kompromissvorschlag der slowenischen Ratspräsidentschaft, der dem Handelsblatt vorliegt, genügt den deutschen Ansprüchen nicht.
Denn darin ist – anders als im deutschen NetzDG – keine Vorgabe dazu enthalten, wie schnell illegale Inhalte aus dem Netz entfernt werden müssen. Die Bundesregierung aber beharrt auf einer solchen Löschpflicht, verbunden mit konkreten Fristen.
„Bei Hassrede brauchen wir aus meiner Sicht eindeutige Regeln“, sagt Christian Kastrop, Staatssekretär im Justizministerium. „Es kann nicht von den selbst gegebenen Community-Standards der Plattformen abhängen, ob strafbare Hassrede gelöscht wird.“ Das NetzDG sei dafür beispielhaft und funktioniere gut. Ohne Löschpflicht und Löschfrist würde der DSA zum „zahnlosen Tiger“, warnt Kastrop.
Zwei unterschiedliche Ansätze
Es treffen zwei unterschiedliche Ansätze aufeinander, wie das Problem angegangen werden soll. Deutschland hat sich entschieden, die Grenzen der Meinungsfreiheit mithilfe der Digitalkonzerne schneller durchzusetzen.
Die EU hat einen anderen Weg gewählt: Statt nachträglich bestimmte Inhalte aus dem Netz zu fischen, will sie die Verhaltensweise der Konzerne verändern, sodass Hassbotschaften weniger Menschen erreichen. Von „systemischer Regulierung“ ist in Brüssel die Rede. Der DSA sieht etwa Transparenzvorschriften für Algorithmen vor, die die Unternehmen bisher als Geschäftsgeheimnis hüten.
Dies würde es Regulierungsbehörden überhaupt erst erlauben zu überprüfen, ob die Angaben der Plattformen zu ihren internen Sicherungssystemen gegen Hass und Hetze zutreffen. Entsprechende Risikoanalysen zählen zu den wichtigsten Neuerungen des DSA. „Die Plattformen werden intensiver an ihren Algorithmen arbeiten müssen“, stellt die dänische Sozialdemokratin Christel Schaldemose klar, die im Europaparlament für den DSA zuständig ist.
Aus Brüsseler Sicht ist dieser Ansatz überlegen, schon deshalb, weil es in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit verlaufen. „Es gibt viele schreckliche Inhalte, die wir stoppen wollen“, sagt Schaldemose. „Vieles davon ist nicht illegal, aber trotzdem schädlich. Und dann wird es kompliziert.“
Wegen der unterschiedlichen Rechtskulturen lässt sich das NetzDG nicht einfach zum EU-Standard erheben. Zumal das Gesetz in Deutschland umstritten ist. In einem gemeinsamen Bericht zur Bundestagswahl weisen die NGOs Hateaid und Reset auf gravierende Mängel bei der Anwendung des NetzDG hin: Das Gesetz schütze „weder Menschen noch Demokratie vor entfesselter digitaler Gewalt“, heißt es darin.
Koexistenz der Ansätze ist ausgeschlossen
Reset-Experte Felix Kartte wirft der Bundesregierung daher vor, die falschen Prioritäten zu setzen. „Die Dauer der Löschfrist ist nicht der maßgebliche Anreiz – vielmehr müssen die Plattformbetreiber zu Sorgfalt und Transparenz gezwungen werden“, sagt er. „Erst die geballte Marktmacht der EU kann die Konzerne dazu bringen, gesetzliche Vorgaben einzuhalten.“
Ob sich der Berliner und der Brüsseler Ansatz miteinander versöhnen lassen, ist offen. Eine Koexistenz jedenfalls ist ausgeschlossen: Dem DSA-Entwurf zufolge sollen die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Regeln in dem Bereich erlassen, um die Einheitlichkeit nicht zu gefährden.
In der EU ist man der Auffassung, aus den Fehlern gelernt zu haben, die beim NetzDG gemacht wurden. Seit der Verabschiedung des Gesetzes hat die Bundesregierung eine Zensurdebatte am Hals. Auch rechtliche Bedenken sind nicht ausgeräumt. Kaum war die Novelle des NetzDG beschlossen, reichte Google, die Konzernmutter von Youtube, Klage ein. Dabei geht es um eine Klausel, die Onlineplattformen vorschreibt, bestimmte Inhalte an das Bundeskriminalamt weiterzuleiten. Diese Regelung wird auch in Brüssel kritisch gesehen, da sie Datenschutzvorschriften verletzen könnte.
Eine spalterische Macht
Dabei besteht in der Sache eigentlich Einigkeit. Plattformen wie Facebook und Youtube sind keine neutralen Mittler von Meinungen. Ihre Algorithmen verstärken die Wirkung von Hass und Desinformation, indem sie diese tausendfach verbreiten und gezielt an empfängliche Nutzer ausspielen.
Spätestens seit dem in Internetforen und Facebook-Gruppen vorbereiteten Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 gibt es einen Konsens darüber, dass Social Media eine spalterische, aufrührerische Macht entfalten.
Aktuell zeigt sich das vor allem am Widerstand gegen die Impfkampagnen. In Deutschland warnen die Behörden vor einer Radikalisierung der „Querdenker“-Bewegung, die ebenfalls stark digital getrieben ist. Schon im Februar hatte Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts, gewarnt, dass Hasskriminalität „demokratiegefährdende Ausmaße“ erreichen könne – „nämlich dann, wenn sich Menschen nicht mehr trauen, ihren Beruf, ihr Ehrenamt oder ihr Mandat auszuüben“.
Facebook dagegen betont, dass es schon jetzt erfolgreich gegen Hetze vorgehe. Ein Sprecher sagt: „Wir erlauben keine Hassrede auf Facebook und investieren stark in KI-Systeme und menschliche Überprüfungsteams, um sie proaktiv zu erkennen und zu entfernen.“
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